Befürchtung von Moderator Louis Klamroth tritt ein: "Hart aber fair" endet im Chaos
1.200 Menschen versammelten sich am Montag vergangener Woche in der 42.000-Einwohner großen Gemeinde Freiberg in Sachsen, um gegen Rechtsextremismus einzustehen. "Wir haben auf den Moment gewartet, der uns zusammenbringt", erzählte Organisatorin Maria Fichte von "Freiberg für alle" in der ersten Folge "Hart aber fair" (ARD) nach der Winterpause. Das Thema: "Wut, Proteste, neue Parteien: Wer hält unser Land noch zusammen?" Gegründet wurde Fichtes Netzwerk bereits 2019, doch erst die Enthüllungen der Plattform Correctiv brachten den Stein ins Rollen. Für Fichte und ihre Mitstreitenden stand fest: "Wir müssen versuchen, die Stimmung – und sie ist schlechter als die Lage – ins Positive zu drehen." Dafür müssten Begegnungsorte geschaffen werden, um Ressentiments gegen Menschen mit Migrationshintergrund etwas entgegenzusetzen.
Zahlreiche Menschen gingen in ganz Deutschland auf die Straßen. "Ziel der Proteste ist nicht, Wähler der AfD zu überzeugen", weiß Nils Kumkar, Soziologe an der Universität Bremen. Vielmehr brächten die Proteste einen frischen Wind für die Zivilgesellschaft. Dass Menschen gegen "Rechtsextremismus auf die Straße gehen, freut mich, aber es sollte nicht davon ablenken, was die Ursachen für die Erstarkung der AfD ist", warf Sahra Wagenknecht (BSW) ein, "die Ursache ist die hohe Unzufriedenheit." So habe sich "Deutschlands dümmste Regierung" (Zitat Parteitag BSW) von Lobbys steuern lassen, "aber nicht von dem, was Menschen bewegt", ergänzte sie.

Man dürfe Proteste, wie die in Freiberg oder München, nicht mit den Bauerndemonstrationen verwechseln, widersprach Fichte der Gründerin und Vorsitzenden des gleichnamigen Bündnisses BSW - Vernunft und Gerechtigkeit "vehement". Dort würden die Betroffenen vermutlich tatsächlich "für ihre Rechte, meinetwegen gegen die Ampel" auf die Straße gehen.
Louis Klamroth als Reporter auf der Straße
Wie lautstark Landwirte, Milchbauern und gar Rentner ihren Unmut mit der Bundesregierung Ausdruck verleihen, davon konnte sich Louis Klamroth selbst ein Bild machen. Statt wie bisher Brigitte Büscher stürzte sich der Moderator nun selbst in die Menschenmengen und holte die Protestierenden vors Mikrofon. Die Frustration über die Beschlüsse der Bundesregierung verschlug sogar ihm die Sprache: "Stimmt das, hat man einfach vergessen mit den Landwirten zu sprechen?", wollte er in der Live-Sendung dann stellvertretend für die Betroffenen von Carsten Schneider (SPD) wissen. "Eindeutig", gab der Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland den "klaren Fehler" zu.
Dass dieser bloß der "Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen brachte", wie Wagenknecht treffend beschrieb, war auch Klamroths Eindruck von der Straße. Die "generelle Unzufriedenheit" und das Gefühl "nicht gehört zu werden von der Politik", bestätigen die Zahlen: 82 Prozent aller Deutschen seien von der Ampelregierung enttäuscht, ergab eine Umfrage. Ein "Grundrauschen der Enttäuschung" sei in parlamentarischen Demokratien normal, erklärte Protest-Forscher Kumkar. Allerdings hätten sich eben dieses Grundrauschen Parteien wie die AfD zunutze gemacht. Ihre Botschaft laute: Alle anderen kriegen ihren Willen, nur dir wird nicht zugehört. "Das ist gefährlich und lässt sich mit Politik nicht wieder einfangen", gab er zu bedenken, "das Gefühl wird bleiben".
Friseurmeisterin: SPD kümmert sich nicht um die Arbeiter
Zur AfD ist Friseurmeisterin Zuhra Visnjic aus Remscheid nicht gewechselt. "Ich habe immer SPD gewählt, von klein auf. Mein Vater hat gesagt, das ist die Arbeiterpartei", erzählte die Blondine Louis Klamroth auf dem Podium, "aber sie kümmern sich nicht um die Arbeiter". Sie erhoffte sich, dass die Politik ihre Existenzängste ernst nimmt und sie sich ab und an eine Reise, einen Kino- oder Theaterbesuch gönnen kann. Dass ihr Schneider als Vertreter der SPD in der Sendung seinen Respekt zollte, davon kann sich die dreifache Mutter all das nicht leisten. Auch von dessen Einschätzung, dass die "wirtschaftliche Lage besser ist als die Stimmung", kann sich die Unternehmerin mit Migrationshintergrund nichts kaufen. Die Löhne ihrer Mitarbeitenden zahlen kann sie genauso wenig vom Ansatz des CDU-Generalsekretärs Carsten Linnemann, das Bürgergeld wieder abzuschaffen. "Ich bekomme kein Bürgergeld", antwortete Visnjic unter Applaus.

"Vielleicht probieren wir es mit einer neuen Partei", richtete Louis Klamroth die Frage an Sahra Wagenknecht, wie sie für mehr Geld in den Taschen sorgen wolle. Energiepreise kurzfristig senken, bürokratische Auflagen minimieren, Erbschaftssteuer für Vermögende, "aber nicht für die Mittelschicht und das kleine Häuschen am Stadtrand", Einkommen aus Vermögen stärker besteuern als aus Arbeit und ein Mindestlohn von 14 Euro, nannte die ehemalige Linken-Politikerin auf Nachfrage des Moderators einige Punkte.
Unternehmerin Tijen Onaran vermisst eine "Agenda 2024"
"Auf den ersten Blick vernünftig", lautete das Urteil von Unternehmerin und Autorin Tijen Onaran darauf. Der "große Aufschlag für Deutschland, die Agenda 2024" fehle der Investorin aus "Die Höhle der Löwen" (VOX) allerdings. Aus Sicht von CDU-Politiker Linnemann müsse dieser Themen wie Steuern, eine Entlastung der Energiepreise, Abschaffung des Bürgergelds sowie eine Entbürokratisierung enthalten. Für Schneider hingegen wären die Investition in Chipfabriken zur Stärkung von Deutschlands technologischer Unabhängigkeit sowie das Nein zu Kürzungen im Sozialbereich der große Plan.
"Jetzt passiert, was wir vor der Sendung besprochen haben, dass alle hier sitzen und streiten", brachte Klamroth mit einem trockenen Kommentar wieder Ordnung ins Chaos. Eine solche "starke Führung" wäre auch in der Politik notwendig, plädierte Onaran für einen "Action Plan, sodass Leute nicht mehr auf die Straße gehen". Es wäre nämlich nicht die Aufgabe der Bürgerinnen und Bürger für sich aufzustehen, sondern Aufgabe der Politik, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sich Menschen entfalten können.
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