Film über Jazz-Trompeter Chet Baker: Tritte, Drogen, Aufrappeln
Ein Film über Chet Baker? Reicht eigentlich nicht aus. Das hochdramatische Leben dieses Trompeters und Sängers, dieser Ikone des Cool böte genug Stoff für mehrere Staffeln einer TV-Serie. Denn wer auch immer es unmittelbar mit diesem zwischen strotzendem Selbstbewusstsein und starken Zweifeln schwankenden Mann zu tun bekam, weiß Anekdoten zu erzählen, viele Anekdoten.
Die Vita des 1988 verstorbenen Musikers war randvoll mit haarsträubenden Episoden, grotesken Kapiteln – von denen einige vielleicht unerwähnt bleiben sollten. Aber das taugt ja bestens zur Legendenbildung.
Zwei Wochen vor seinem Tod sollte Chet Baker mit dem Tenorsaxofonisten Archie Shepp beim Deutschen Jazzfestival Frankfurt gastieren. Da die beiden Männer nie zusammen musiziert hatten, war nachmittags vor dem Konzert eine Probe angesetzt. Um 14 Uhr erreichte die Veranstalter ein Anruf aus Mailand: der Trompeter hatte sich dort ein neues Auto gekauft und mache sich jetzt sofort auf den Weg. Als er eine halbe Stunde vor dem avisierten Konzertbeginn immer noch nicht da war, wollten die Festivalmacher schon absagen. "Aber wie durch ein Wunder stand er plötzlich vor uns, mit total ölverschmierten Händen", erinnert sich Buchautor Peter Kemper lachend, der damals zu den Programmgestaltern in Frankfurt gehörte. "Aber er war total cool." Und das Konzert? Nun ja. Immerhin ein Zeitdokument.
Chet Baker (Ethan Hawke) singt mit zarter Stimme. Foto: Alamode
Mit seiner Unzuverlässigkeit und Unberechenbarkeit hat sich der Junkie Chet Baker selbst im Weg gestanden. Aber er strahlte etwas aus, was Viele veranlasste, ihm doch immer wieder eine Chance einzuräumen. Den Münchner Produzenten Matthias Winckelmann, Chef von "enja records", hat er mal für Aufnahmen versetzt. Bei einer anderen Gelegenheit aber hielt der Trompeter Wort und war zunächst trotzdem nicht auffindbar: Als er mit großem Aufwand im Funkhaus Hannover das einspielen sollte, was später als "The Last Concert" erschien, hatte man ihn zuvor im Hotel nicht einchecken lassen – weil er so abgerissen aussah. Die Veranstalter fanden ihn schließlich in einem nahe gelegenen Park.
Matthias Winckelmann beschreibt Baker als Mann, der eben nicht der geborene Melancholiker war, nicht nur "Born to Be Blue" – sondern ein mitunter durchaus heiterer Mensch, der kurz vor seinem ominösen Ende noch voller Pläne gewesen sei. Unter bis heute ungeklärten Umständen war der Trompeter 1988 aus einem Amsterdamer Hotelfenster gestürzt. Der Musiker und Autor Bill Moody hat übrigens einen lesenswerten Roman geschrieben, in dem es auch um dieses unrühmliche Ende geht. Mord? Suizid? Matthias Winckelmann: "Wenn einer kein Selbstmord-Typ war, dann Chet Baker."
Ethan Hawke als der „King of Cool“. Foto: Alamode
Als Baker kurz vor seinem Ableben im Münchner Domicile auftrat, sah er allerdings aus wie das wandelnde Elend, kam auf die Bühne, hatte offensichtliche Schwierigkeiten mit seinem Ansatz an der Trompete. "Wohl das Kukident vergessen", rief ihm einer aus dem Publikum zu. Baker setzte ab und versetzte dem verdutzten Mann darauf Tritte und jagte ihn die Treppe hoch.
Warum das jetzt startende Chet Baker-Biopic "Born To Be Blue" (Regie: Robert Bureau) es historisch nicht so genau nimmt mit dem Leben des Trompeters, bleibt etwas unersichtlich und ist so unnötig wie ärgerlich. Dennoch vermag der Film einen durchaus zu packen und versteht es, sentimentale Gemüter zu bewegen. Wenn "My Funny Valentine" erklingt, so fragil und zart gesungen, so unverschämt delikat auf der Trompete intoniert, bleibt kein Auge trocken.
Baker hofft auf einen Neuanfang (Carmen Ejogo). Foto: Alamode
Die Zerrissenheit von Chet Baker ist gut heraus gearbeitet – dieser Minderwertigkeitskomplex gegenüber schwarzen Heroen wie Dizzy Gillespie oder Miles Davis, denen er es dann aber doch immer wieder zeigen wollte. Auch zeigt "Born to Be Blue", dass der von Hollywood-Star Ethan Hawke gespielte Baker Verführungen nicht widerstehen konnte, dass er seine Methadon-Phase abbrach und wieder zur Nadel griff.
Ein Stehaufmännchen ist Chet Baker bis zu seinem Ende geblieben, wenn auch ein sehr kaputtes. Den Kampf gegen das Heroin hat er nicht mehr ernsthaft gekämpft. Ihm war klar, dass er nicht loskommen würde von dem Teufelszeug und hatte sich mit diesem Schicksal arrangiert. Dennoch hat ihn manchmal sehr getroffen, wenn man ihn als Junkie wahrnahm. Autor Peter Kemper erinnert sich, wie Baker nach einem Konzert mal ein Jazz-Comic in die Hände fiel. Als er darin eine Karikatur von sich fand, in der seine Trompete Heroinspritzen statt Ventilen trug, war er vollkommen aufgelöst.
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