TSV 1860 München: Löwen-Legende Peter Grosser zieht Bilanz

München - Der Löwen-Fan kennt diese Gefühle seit Jahrzehnten, denn sie machen diesen so besonderen Arbeiterverein TSV 1860 aus: himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt – und nicht viel dazwischen. Was der Psychologe als bipolare Störung beschreiben würde, ist bei 1860 der ganz normale Wahnsinn. „Es war wieder einmal ganz schön was los.
Ich kann zum Glück ein ruhiges Weihnachtsfest verbringen, ich trage ja bei 1860 keine Verantwortung“, erklärt Meisterlöwe Peter Grosser der AZ über das Löwen-Jahr 2016. Ein Mann habe dabei „ein wahres Wunder vollbracht“, während einmal mehr das „Chaos“ auf Giesings Höhen Einzug hielt – und neue Hoffnung. In der AZ schildert der 78-Jährige seine positiven wie negativen Höhepunkte der vergangenen zwölf Monate.
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Bierofkas Rettung
Mitte April: 1860 ist punktgleich mit Schlusslicht Duisburg, gegen den es eine 1:2-Pleite setzt. Höchste Abstiegsgefahr! Und das nach der anfangs erfolgreichen Aufholjagd unter Benno Möhlmann, die Sportchef Oliver Kreuzer mit Transfers wie Jan Mauersberger, Levent Aycicek und Sascha Mölders unterstützt hatte. Dennoch ging die Luft aus.
„Der Trainerwechsel war überfällig“, so Grosser. Denn: Der Retter nahte – Daniel Bierofka. „Er hat ein wahres Wunder vollbracht, weil das Team plötzlich ein anderes Gesicht gezeigt hat. Das war absolut notwendig für den Klassenerhalt“, sagt Grosser über das Neun-Punkte-aus-drei-Spielen-Wunder: „Die Rettung war ein hundertprozentiger Biero-Effekt.“
Sommerchaos
Bierofka muss mangels Trainerlizenz zurück ins zweite Glied, Nachfolgersuche, Machtkämpfe: Grosser beklagt, dass nach dem Nichtabstieg die falschen Schlüsse gezogen wurden. „Nach der Rettung waren alle Verantwortlichen dermaßen happy – absolut unangebracht! Man hätte am nächsten Tag eine große Kerze kaufen und dann nach Altötting pilgern müssen.“ Stattdessen habe man „in Euphorie geschwelgt, als wären wir Meister“. Der Titelträger von 1966 muss es wissen.
Die Folge: „Vier Wochen lang herrschte Stillstand, dann kam die Demontage von Kreuzer dazu.“ Nachfolger Thomas Eichin übernahm erst am 1. August, was laut Grosser eine vernünftige Kaderplanung unmöglich machte.
Euphorie um Aigner
Dennoch waren die Erwartungen an die neue Saison riesig. „Neue sportliche Führung, große Investitionen und die Rückkehr von Stefan Aigner“, zählt Grosser auf, „sorgten für große Euphorie.“ Vor allem der Aigner-Deal verzückte die Sechzger, die sich prompt Aufstiegshoffnungen hingaben. Der Meisterlöwe weiß aber: „Dazu hätte man von Anfang an eine andere Mannschaft sehen müssen.“ Die knappen Erfolge gegen Bielefeld, im Pokal gegen den KSC und in Nürnberg wären „nur vermeintlich in die richtige Richtung gegangen“.
Das Runjaic-Aus
Es folgte, was für Grosser folgen musste: die Entlassung von Kosta Runjaic nach 13 Spieltagen. Der einstige Spielmacher dazu: „Für mich war er ohnehin nicht die richtige Wahl. Bei 1860 muss man Erfolge vorweisen können, und er hatte noch nichts erreicht.“ Die Gründe, neben großen Verletzungsproblemen: „Unter Runjaic hat sich die Spielweise nicht verbessert, die Euphorie war viel zu schnell wieder weg.“ Auch Eichin sei „eine verkehrte Wahl“ gewesen, der „keine Balance im Kader“ fand.
Die Ismaik-Pressekonferenz
Runjaic-Entlassung, Eichin-Degradierung – Grosser kritisiert die Sechzger für eine „katastrophale Außendarstellung“ und nennt den nachfolgenden Medienboykott einen „Witz: Bei dem Chaos, das da vollbracht wurde, haben sich die Medien sehr zurückgehalten. Mit Kritik muss man umgehen.“ Hinsichtlich der Querelen um Ismaik sagt er: „Man muss einen gemeinsamen Weg finden.“ Dazu gehöre auch, dass Präsident Peter Cassalette gegenüber dem schier allmächtigen Jordanier „die Interessen der Löwen“ durchsetzt.
Bierofkas zweites Engagement
Die 1860-Ikone musste kurz vor der Winterpause erneut als Retter einspringen. Trotz nur drei Zählern aus drei Spielen habe Bierofka es „geschafft, einer konditionell unfitten Mannschaft wieder Leben und Kampfgeist einzuhauchen“, sagt Grosser.
Der Pereira-Plan
Jetzt soll der neue Trainer Vitor Pereira die Löwen in anderthalb Jahren aus dem (zweitklassigen) Tabellenkeller in die Bundesliga führen. Grosser über den 48-Jährigen: „Er ist sicher ein anderes Kaliber, eigentlich zu groß für Sechzig.“ 50 Millionen hat Ismaik in Aussicht gestellt. Grosser weiß: „Erfolg lässt sich nicht kaufen. Aber mit richtigem Konzept UND Geld hat Pereira eine Chance.“