Schotten dicht beim TSV 1860!

München - Fünf, sechs Kiebitze zeigten sich schließlich trotzdem, um einen Blick auf ihre Sechzger zu erhaschen. Und einem platzte der Kragen. "Ja Kruzefix", donnerte er los, "ins Stadion soll'ma gehen, aber s'Training is tabu?" Grantigem Kopfschütteln folgte der Entschluss: "Dann kennans mi gern ham." Zu (Hoch-)Deutsch: Die Zustände schlagen dem treuen Fan mächtig aufs Gemüt. Und das droht, ihn vom Stadionbesuch abzuhalten.
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Der Grund: Sechzig macht endgültig die Schotten dicht! Jede Einheit vor dem Spiel in Bielefeld (Freitag, 18.30 Uhr) findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Damit nicht genug: 1860 entzog Bild, Merkur und tz die Dauerakkreditierungen. Da es "derzeit keine Basis für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit", geben würde, erklärte Geschäftsführer Anthony Power, hinter dessen Anordnung aber Investor Hasan Ismaik steckt. Der äußerte sich bei Facebook nur darüber, dass seine "Investment-Aktivitäten" hinter seinem Dasein als Fan "in den Hintergrund gerückt sind". Die AZ zeigt, was durch Sechzigs Politik der Abschottung ebenfalls leiden muss – aber nicht sollte.
Medien: Ein Profiverein will öffentlich wahrgenommen werden. Im Optimalfall, durch sportliche wie wirtschaftliche Erfolge: positiv. Grundsätzlich aber auch, und das trifft für minder erfolgsverwöhnte Löwen eher zu: um durch kontroverse Berichterstattung in der Öffentlichkeit und bei den Anhängern im Gespräch zu bleiben. Das wird durch Maßnahmen wie den Dauerkartenentzug aber nur erschwert.
Die Presse reagiert (siehe auch Kommentar unten). Michael Busch, Vorsitzender des BJV, sprach von einer "Pressepolitik nach Gutsherrenart" und appellierte an 1860, wieder auf "professioneller und kollegialer Basis" mit den Journalisten zusammenzuarbeiten.
AZ-Chefredakteur Michael Schilling gab dazu folgende Stellungnahme ab: "Bei der AZ finden wir den Fall befremdlich und berichten deshalb auch darüber. Das Vorgehen der Löwen ist genauso willkürlich und schikanös wie die Auswahl der Kollegen, denen die Dauerakkreditierung entzogen worden ist. Ihnen fühlen wir uns solidarisch. Dass die Löwen ausgerechnet in einer Phase, in der sie mit einem personellen Umbruch eine sportliche Wende einleiten wollen, zu solchen Mitteln greifen, passt leider nur zu gut in die turbulente jüngere Geschichte dieses Klubs."
Sponsoren: Der Presseboykott Ende 2016 wurde auf Drängen der Geldgeber nach kurzer Zeit zurückgenommen. Wie die SZ berichtet, soll auch die Vermarktungsagentur "Infront" mit ihrem Ausstieg gedroht haben. Klar ist: Verringerung der Aufmerksamkeit, Aneinanderreihung von Eklats – das kann von den Unternehmen nicht gutgeheißen werden, die ihre Marken mit dem (leidenden) Image der Sechzger verknüpfen.
Fanshop: Weniger Trainingsgäste, weniger potenzielle Kunden. Ein Mitarbeiter zuckte gestern nur mit den Schultern. Er hoffe, dass es bis zum Sommer anders werde und die wenigen öffentlichen Trainings, quasi als rare Güter, dann mehr Besucher anziehen. Das klang eher nach frommem Wunsch, denn fixem Umsatz.
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Nachwuchs: Permanente Abschottung, sinkendes Interesse. Auch die Junglöwen und deren hin und wieder zeitgleich stattfindenden Spiele würden weniger Beobachter anlocken. Die chaotischen Zustände könnten talentierte Spieler sogar von einem Wechsel in die Löwen-Jugend abhalten.
Löwen-Stüberl: Christl Estermann, die Kult-Wirtin des Stüberls, ist derzeit wirklich nicht zu beneiden. Zum Jahreswechsel wusste sie nicht, ob sie gehen oder bleiben sollte – und blieb.
AZ-Kommentar
"Selbstzerfleischung"
Der AZ-Sportchef Matthias Kerber über die Aktion der Löwen gegen unliebsame Medien.
Es ist ja in diesen Tagen en vogue, per Dekret zu regieren, Andersdenkende des "Verrats" zu bezichtigen und Wahrheiten lieber alternative Fakten entgegenzusetzen, als sich mit der unliebsamen Realität auseinanderzusetzen. In diesen postfaktischen Zeiten, in denen Emotionen und Polarisierung wichtiger sind als der Wahrheitsgehalt, wird auf diese Art gerne versucht, seine Kritiker zu stoppen. Kritikfähigkeit würde Selbstreflexion statt Narzissmus voraussetzen.
Die Löwen haben nun drei Münchner Zeitungen – die Abendzeitung ist (noch) nicht darunter – die Dauer- akkreditierung entzogen. Was man nicht hören (oder lesen) mag, versucht man mundtot zu machen. Das erinnert an kleine Kinder, die sich die Ohren zuhalten, in der Hoffnung, dass, wenn sie etwas nicht vernehmen, es nicht existiert. Nach dem plakativen Medienboykott vor ein paar Monaten ist diese Aktion offenbar der nächste Versuch, von eigenen Verfehlungen abzulenken. Es zeugt von einem eigenwilligen Demokratieverständnis und ist eine Schikane gegenüber Kollegen, die sich nichts zuschulden haben kommen lassen, außer, dass sie eine andere Meinung vertreten als das Objekt der Berichterstattung.
Der Bayerische Journalisten-Verband geißelt dieses Vorgehen als "Pressepolitik nach Gutsherrenart" und als "willkürliche Maßnahmen, die letztlich auch dem Ansehen des Vereines in der Öffentlichkeit schaden".
Das ist das eigentlich Traurige. Statt die Aufbruchstimmung, die durch den neuen Trainer und die vielen Neuverpflichtungen entstanden ist, mitzunehmen, wird der Fokus wieder auf das Nichtsportliche gelenkt. Selbstzerfleischung auf Löwen-Art. Mal wieder. Leider!