1860-Ikone Daniel Bierofka: Den Löwen im Herzen

Der Abschied von Daniel Bierofka war unwürdig. Dennoch gilt er für die meisten Fans als Klub-Ikone. Ein Mann, dem in seiner langen Sechzger-Karriere nicht nur Verletzungen zu schaffen machten
von  Florian Kinast
8. August 2000: Bierofkas Löwen-Debüt gegen Leeds.
8. August 2000: Bierofkas Löwen-Debüt gegen Leeds. © imago/Mary Evans

München - Sein Abgang tat weh. Schon beim Hinschauen. Wie Daniel Bierofka jetzt im November unter Tränen das Gelände an der Grünwalder Straße verließ, es war mehr als nur der Abschied eines Trainers. Bierofka verließ den Ort, der für ihn längst Heimat geworden war. Als Blauer, wie es sonst kaum noch einen gab. Ohne Gewissheit, ob er jemals wieder zurückkehren würde.

Die Bierofkas, eine ganze Familiendynastie mit dem Löwen im Herzen. Angefangen hatten sie alle in Feldmoching, bei der SpVgg. Opa Willi gleich nach dem Krieg. Papa Willi 1960. Und Daniel selbst 1985. Aber wenn es drum ging, mitzufiebern mit einem Verein, dann waren sie alle Sechzger und schon von früh an im Stadion.

Den Derbysieg von Papa Willi gegen die Bayern im November 1977 erlebte Daniel Bierofka noch nicht mit, er kam erst 1979 auf die Welt. Überhaupt sah er seinen Vater nicht mehr spielen, im Jahr seiner Geburt musste Willi Bierofka mit nur 26 Jahren seine Karriere beenden, als Sportinvalide. Sicher, ein roter Fleck in der Vita des Filius war die Zeit beim FC Bayern, wo er nach einem Jahr in Unterhaching in der Jugend kickte, später dann auch in der zweiten Mannschaft. "Das hatte mit Fan-sein nichts zu tun", sagte Vater Willi einmal. "Es war wichtig, dass er eine gute Ausbildung bekommt."

Bierofka: Damals der einzige Münchner bei Sechzig

Im Jahr 2000 aber, mit 21, kam Bierofka jr. zu den Löwen – und debütierte im August gleich in einem denkwürdigen Spiel. An der Elland Road, in der Champions League-Quali in Leeds, beim 1:2 im Hinspiel, als ihn Werner Lorant gleich für die Startelf nominierte. Im Mittelfeld, in einer Reihe mit so klangvollen Namen. Häßler, Cerny, Mykland, Zelic.

Bierofka erstürmte sofort die Herzen der Fans, so großartig die Mannschaft damals spielte, so überragend einzelne Spieler herausstachen: Münchner bei Sechzig gab es damals nicht viele. Genau gesagt nur Bierofka.

8. August 2000: Bierofkas Löwen-Debüt gegen Leeds.
8. August 2000: Bierofkas Löwen-Debüt gegen Leeds. © imago/Mary Evans

Im Herbst 2000 traf man den damals 21-Jährigen nach dem Training zu einem langen Exklusivgespräch, man stieg am Trainingsplatz in sein Auto und fuhr drei Minuten weiter südlich ins gute alte Deml am Tiroler Platz, ein herrlich alteingesessenes Café mit recht angestaubtem Münchner Oma-Charme und sagenhaft kalorienbombigen Cremetorten. Das Deml war ein kleines Kuchenstück vom alten München. Eines der Lokale in der Art, in denen man, wenn man es nicht extra dazu sagte, lieber aufgeschäumte Milch auf den Kaffee zu wollen, den Capuccino mit Sahne serviert bekam. Heute ist das Haus längst abgerissen, mittlerweile steht hier eine von vielen Filialen einer Biomarkt-Kette. Mag gesünder sein als Cremetorte. Ist aber nicht mehr so besonders.

Nach der Meisterschaft zurück zu den Löwen

Im Deml also plauderte man mit Daniel Bierofka bei einer Tasse Tee (weder mit Milch noch mit Sahne) über sein Leben als Löwe und seine Ziele, es ging dann auch um eine mögliche Karriere in der Nationalmannschaft. Das, sagte Bierofka damals, sei noch recht weit weg.

So weit war es dann aber gar nicht, schon damals spielte er in der U21-Auswahl des DFB, 2002 dann holte ihn Ex-Löwe Rudi Völler, mit dem Bierofka oft verglichen worden war, in die A-Nationalelf. Kurz vor der WM, Bierofka spielte erst gegen Kuwait, dann gegen Österreich, er stand im vorläufigen Kader für die WM. Doch mitfahren nach Japan und Südkorea durfte er nicht. Vielleicht ja 2006 dann bei der Heim-WM, hieß es. Als gestandener Profi, mit 27 im besten Alter. Doch so weit kam es nicht.

Bierofka ging nach Leverkusen, quälte sich mit Bandscheibenproblemen, 2005 unterschrieb er in Stuttgart, doch noch vor der Saison brach er sich in einem Testspiel den Knöchel. Es dauerte lang, bis er wieder auf die Füße kam, 2007 wurde er Meister, dann ging er zurück zu den Löwen. Seinen Löwen.

Kämpfer, Retter, (Ex-)Trainer: Daniel Bierofkas Karriere beim TSV 1860

Bitterer Bierofka-Abschied in Giesing

Doch auch hier warfen ihn Verletzungen immer wieder zurück, 2011 wurde er zum 19. Mal in seiner Laufbahn operiert. 2014 beendete er dann seine Karriere, übernahm immer wieder als Interimstrainer, nach dem Absturz aus der Zweitklassigkeit 2017 als Cheftrainer, führte die Löwen zum Aufstieg, hielt die Drittklassigkeit – und verließ dann die Grünwalder Straße unter Tränen.

Abgang einer Klubikone: Daniel Bierofka verlässt am Dienstagnachmittag das Vereinsgelände des TSV 1860.
Abgang einer Klubikone: Daniel Bierofka verlässt am Dienstagnachmittag das Vereinsgelände des TSV 1860. © Ulli Wagner

Gemobbt habe er sich gefühlt, hört man aus seinem Umfeld, die Klubführung hätte ihm "Messer in den Rücken" gerammt. Andere Stimmen aus dem Verein sagen, er sei zu sensibel gewesen, hätte überstürzt hingeworfen. Es ist auch müßig, darüber zu urteilen, die Sichtweisen sind unterschiedlich. Fakt ist, dass der Löwe mit Daniel Bierofka eine blaue Persönlichkeit verloren hat, einen Publikumsliebling, eine Integrationsfigur.

Michael Köllner mag ein sehr guter Trainer sein, aber einen wie Bierofka kann er nicht ersetzen. Genausowenig wie ein Biomarkt das Café Deml.

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