Graciano Rocchigiani tot: Box-Weggefährten verabschieden sich in der AZ

Wenn auch die einstigen Gegner weinen, weiß jeder, dass ein ganz Großer gegangen ist – gehen musste. Die Stimme von Henry Maske ist tränenerstickt, als ihn die AZ erreicht. Der Tod von Graciano Rocchigiani, mit dem sich der Gentleman-Boxer 1995 zwei Ringschlachten geliefert hatte, geht ihm unüberhörbar nahe. "Der Schock sitzt tief, ich bin unendlich traurig", sagt Maske, "ich kann es nicht verstehen, er war doch einfach noch nicht dran."
Am 1. Oktober hörte das einst vom unvergessenen Max Schmeling besungene "Herz eines Boxers" bei Rocchigiani auf zu schlagen. An einem Straßenrand neben der Schnellstraße 121 bei Belpasso, einem Vorort der sizilianischen Stadt Catania, verstarb der Ex-Weltmeister. Was genau passiert ist, damit beschäftigt sich die italienische Polizei. "Wir glauben, dass Rocchigiani sehr betrunken war und nicht mehr genau wusste, wo er lang lief", wird die von der "Bild" zitiert. Klar ist, dass Rocchigiani an der unbeleuchteten Straße zu Fuß unterwegs war. Wie "Bild" berichtet, wurde Rocky kurz zuvor an einer Tankstelle gesichtet, gegen 23.30 Uhr wurde er von einem Smart erfasst. Rocchigiani verstarb an der Unfallstelle. Er wurde nur 54 Jahre alt. Seine Tochter Janine flog nach Sizilien. Da eine Obduktion angeordnet wurde, ist der Leichnam noch nicht zur Überführung freigegeben. Die Polizei erklärte, dass der Unfallfahrer nicht unter Alkohol gestanden und auch keinen Verkehrsverstoß begangen habe. "Graciano wird in Berlin beerdigt, das ist seine Heimat, hier soll er in Frieden ruhen", sagte Rockys Mutter Renate der "B.Z.".
Regina Halmich: "Wir haben erst vor einer Woche telefoniert"
In den letzten Jahren hielt sich Rocchigiani oft in Sizilien auf. "Er hatte dort eine Freundin, mit der er zwei kleine Kinder hat", sagt die einstige Box-Queen Regina Halmich, die – wie Rocchigiani – zum Expertenteam des TV-Senders Sport1 gehört, der AZ. "Wir haben erst vor einer Woche telefoniert. Man hatte das Gefühl, dass er zuletzt mit seinen inneren Dämonen Frieden geschlossen hatte. Es ist eine Tragödie. Aber irgendwie passt dieses Ende auch zu seinem Leben."
Mit den Dämonen war Rocky stets auf Du und Du. Er, der dritte deutsche Box-Weltmeister nach Schmeling und Eckhard Dagge. Rocky, der sich 1988 durch den Sieg über Vincent Boulware den WM-Titel geholt hatte, war immer ein Mann, der keine Rücksicht auf seine Gegner nahm – aber noch weniger auf sich selbst.
Rocchigiani lebte zwischenzeitlich im Obdachlosenheim
Alkohol- und Drogenexzesse, Körperverletzungen, Gefängnis, Depressionen, der Absturz. Rocchigiani lebte zwischenzeitlich im Obdachlosenheim und von Hartz IV. Dabei hatte ihm ein Gericht 31 Millionen Dollar als Entschädigung zugesprochen, weil ihm der Weltverband WBC 1998 einfach den Titel aberkannt hatte. Nachdem die WBC gedroht hatte, Konkurs anzumelden, nahm Rocchigiani 2004 einen Vergleich über 4,5 Millionen an. Die Kohle verprasste er mit "Sekt, Buletten und dicken Weibern", wie es Rocky beschrieb. "Ich habe 50 Jahre auf der Überholspur gelebt. Die 22 Monate im Knast habe ich vielleicht auch verdient." Als Sport1-Experte hatte er zuletzt ein Einkommen, der Sender installierte zudem das Format "The Next Rocky", bei dem Boxer an den Profisport herangeführt werden sollten. Der Sender stoppte die Ausstrahlung vorerst.
Schulz über Rocky: Im Ring ein Tier, aber mit gutem Herz
Rocky trug das Herz, aus dem er nie eine Mördergrube machte, immer auf der Zunge. "Alle Boxer hatten Angst, wenn sie hörten, dass er ihren Kampf kommentiert", sagt Ex-Boxer Axel Schulz, ein Freund von Rocchigiani: "Er war im Ring ein Tier, hatte aber ein gutes Herz. Ich bin froh, dass sich die Leute positiv an ihn erinnern, nicht sagen: Der Penner, der Assi. Rocky war eine Type, immer für knallharte, ehrliche Sprüche gut." Unvergessen, als er im tiefsten Berlinerisch meinte: "Jegner am Boden, jutes Jefühl." Oder als er beim Kampf gegen Dariusz Michalczewski bei der Pressekonferenz stänkerte: "Es gibt schlaue und dumme Polen. Und du bist ein dummer Pole." Als Kommentator bei Sport1 pestete er nach einem verletzungsbedingten Abbruch: "Wir sind doch nicht beim Pussysport."
"Rocky ließ sich nie verbiegen", sagt Thomas Pütz, Präsident des Bundes Deutscher Berufsboxer, "wir haben einen der größten deutschen Boxer aller Zeiten verloren. So einen gibt es nie wieder." Sein Lebensmotto beschrieb Rocky einst so: "Wat braucht der Mensch außer Glotze gucken, een bisschen bumsen und een bisschen Anerkennung?" Anerkennung bekommt er posthum noch mehr als zu Lebzeiten. "Er war die letzte wirklich schillernde Persönlichkeit, die der deutsche Boxsport hervorgebracht hat", sagt Halmich, "er war nicht immer einfach, aber genau das hat ihn ausgemacht. Ich bin sicher, er wird durch seinen Tod noch mehr zur Kultfigur. Ein Buch reicht nicht aus, um sein Leben zu erzählen." Und Maske meinte: "Ich hoffe, er ruht in Frieden" – dann erstickten Tränen seine Stimme. Wenn selbst die Gegner weinen...