Benjamin Adrion im AZ-Interview: "Die Mafia würde sich nie so plump verhalten wie die Fifa-Funktionäre"
AZ-Interview mit Benjamin Adrion: Der ehemalige Fußball-Profi (41, VfB Stuttgart, FC St. Pauli) ist Gründer der internationalen Wasserinitiative Viva con Agua und hat aktuell für Pro7 eine Doku über die WM in Katar gedreht.
AZ: Herr Adrion, Sie sind ein ehemaliger Fußball-Profi, der Gründer der internationalen Wasserinitiative Viva con Agua, Sozialunternehmer, Bundesverdienstkreuzträger und und und... Was Sie laut eigener Aussage aber nicht sind: die Mutter Teresa der Nachhaltigkeit. Was wäre denn so schlimm daran?
BENJAMIN ADRION: Nichts gegen Mutter Teresa und ikonische Vorbilder, aber ich wollte damit sagen, dass ich kein Heiliger bin. Bei Viva con Agua haben wir eher einen All-Profit statt eines Non-Profit-Ansatzes, das heißt: Engagement und positiver Wandel, Einsatz für Menschenrechte darf freudvoll sein, sowie Weiterentwicklung und Potenzialentfaltung auf vielen Ebenen fördern, inspirieren. Und es ist meines Erachtens prinzipiell ungesund, wenn man zur Ikone gemacht wird - dann kann man Menschen nur enttäuschen.
WM in Katar: Viele Arbeiter starben an Dehydrierung
Der freie Zugang zu Wasser ist ebenso ein Menschenrecht wie das Recht, nicht als Arbeitssklave auf einer WM-Baustelle ausgebeutet zu werden. Ist das die Verbindung, über die bei Ihnen die Idee zur Doku "Das Milliardenspiel", die am Montagabend auf Pro7 (20.15 Uhr) läuft, entstanden ist?
Ja, das ist für mich die Brücke zu Katar. Eine der Haupttodesursachen auf den Baustellen dort ist Dehydrierung. Deshalb wird da ja hauptsächlich auch nachts gearbeitet, weil es sonst zu heiß wäre. Und die andere Verbindung ist für mich als ehemaligen Profi natürlich der Fußball, der eine große transformative Kraft hat, die Welt ein bisschen besser zu machen. Aber beim Thema Katar wird der Fußball stattdessen hauptsächlich mit Menschenrechtsverletzungen und Korruption in Verbindung gebracht.
Sie sind von der Fifa-Zentrale in Zürich bis nach Doha gereist, haben dabei mit Whistleblowern, ehemaligen Funktionären, Arbeitern vor Ort und Menschenrechtsaktivisten gesprochen. Was war für Sie der verstörendste Moment auf diesem Trip?
Es gab viele Aha-Momente im Laufe der Recherche. Einer davon war sicherlich, das Gespräch mit Mark Pieth, einem ehemaligen Mitglied der Ethikkommission der Fifa. Der Mann ist Jurist, Professor an der Uni Basel und normalerweise drücken sich Juristen ja eher diplomatisch aus. Aber wie desillusionierend Mark Pieth aus dem Inneren der Fifa berichtet hat, wie pessimistisch er über Zukunft, die Korruption und auch über die aktuelle Führung dieses Verbandes gesprochen hat, das war für mich schon schockierend.
Ist der Fußball überhaupt noch zu retten?
Die Leitthese ihrer Doku lautet: Die WM wurde verschachert!
Ja, daran besteht kein Zweifel. Das ist mittlerweile bestätigt, und da gab es auch Festnahmen, 2015 hat das FBI ja zugeschlagen, da haben die Handschellen geklickt. Es entbehrt natürlich nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet die USA, die 2010 bei der Entscheidung zur WM-Vergabe Katar unterlegen sind, dann wirklich ernst gemacht haben. Es gibt in unserem Film auch einen schönen O-Ton von einem US-Anwalt, der damals involviert war: Er sagte, man könne die Fifa mit der Mafia vergleichen, aber eigentlich würde man der Mafia damit Unrecht tun, weil die sich nie so plump und gleichzeitig arrogant verhalten würde wie die Fifa-Funktionäre. Das bestätigt auch Bonita Mersiades, die 2010 versucht hat, die WM für Australien an Land zu ziehen. Sie hatte - bis sie ausgestiegen ist - guten Einblick, was damals im System Fifa gefordert war. Sie beschreibt auch, wie sie 50 Millionen australische Dollar an staatlichen Geldern ausgegeben - und dann dafür genau eine Stimme für die australische Bewerbung bekommen hat!
Ihr Fazit nach Ihrer Doku-Reise: Ist der Fußball überhaupt noch zu retten?
Ja natürlich! Der Fußball ist doch so viel mehr als die Fifa und die Sponsoren. Aber nichtsdestotrotz wünscht man sich, dass Fairplay nicht nur auf dem Platz, sondern auch im Fußball-Business gilt. Das wird allerdings noch ein weiter Weg. Es wird ja immer über eine Entfremdung zwischen dem Fußball und seinen Fans gesprochen, aber die Werbemillionen fließen weiter kräftig, in der Champions League werden die Prämien von Jahr zu Jahr höher und dennoch konsumieren die Menschen das Produkt Fußball weiterhin - also ist der Leidensdruck offenbar noch nicht hoch genug.
Die Fans und Profis stecken in einem Katar-Dilemma
Aktuell scheint der Fußball politisch aufgeladener denn je. Können Sie verstehen, dass sich manche Fans davon langsam überfordert fühlen?
Ich kann das total nachvollziehen. Bei mir war das so bei den Olympischen Winterspielen in Peking. Früher habe ich die Spiele gerne verfolgt, ich fand den Gedanken eines internationalen Sportfestes romantisch. Aber von Olympia in China habe ich keinen einzigen Wettkampf gesehen. Ganz einfach, weil die Institution Olympische Spiele für mich ihren Zauber verloren hat. Dass das Menschen mit dem Fußball genauso geht, kann ich verstehen.
Dabei stecken nicht nur die Fans, sondern auch die Profis in einem Katar-Dilemma. So eine WM ist eigentlich ein absolutes Karriere-Highlight - und dann wird einem durch Korruption und Menschenrechtsverletzungen dieses WM-Gefühl kaputtgemacht.
Das ist für die Jungs echt eine blöde Situation. Die Spieler müssen sich jetzt im Vorfeld mit Sachen beschäftigen, für die sie selbst überhaupt keine Verantwortung haben. Der australische Nationalspieler Jackson Irvine (aktuell unter Vertrag beim FC St. Pauli, d. Red.) sagt mir in der Doku: "Ich war zwölf Jahre alt, als die WM nach Katar vergeben wurde! Warum muss ich mich jetzt dafür rechtfertigen?" Also von den Spielern zu verlangen, die WM zu boykottieren, ist unfair. Da geht für die Jungs ein Lebenstraum in Erfüllung und man kann von niemandem erwarten, dass er den aufgibt.
Auch beim FC Bayern wird das Thema Katar hitzig diskutiert
Ist Katar in der WM-Geschichte nun der negative Höhe- und damit womöglich sogar der Wendepunkt?
Das wird sich zeigen. Ich glaube aber schon, dass alle Beteiligten nach dieser Erfahrung ein bisschen demütiger werden. Wenn sich die Vergabe-Richtlinien substanziell ändern würden, wäre das ein entscheidender Schritt. Aber man muss auch sehen: Wie viele lupenreine Demokratien, die dann die Kriterien erfüllen würden, gibt es denn auf der Welt? Vielleicht muss man ja auch akzeptieren, dass Länder unterschiedliche Entwicklungsstufen haben und so eine WM dort wie eine Art Transformator in Richtung Demokratie und Menschenrechte wirkt. Und da gibt es ja einige, die sagen: Das ist auch jetzt in Katar passiert.
Das Thema Katar wird in München aufgrund des Sponsorings für den FC Bayern besonders hitzig diskutiert. Sie haben für diesen Film auch mit Bayerns Chef-Kritiker Michael Ott gesprochen.
Ich finde das sehr positiv und auch gesund für den deutschen Fußball, dass es wenigen Vereinsmitgliedern des FC Bayern - wie zum Beispiel Michael Ott - gelingt, dieses Thema so öffentlich zu machen und damit auch Dinge anzustoßen wie den Runden Tisch, den es dazu ja gegeben hat. Ich glaube, der berühmte Schuss vor den Bug, dass es so nicht einfach weitergehen kann, ist bei den Verantwortlichen des FC Bayern schon angekommen. Das ist für mich auch ein klares Plädoyer für die 50+1-Regel, dass die Vereinsmitglieder eben noch etwas mitbestimmen können.
Zum Schluss die Katar-Gretchenfrage: Werden Sie sich die WM-Spiele überhaupt anschauen?
Aufgrund der Doku bin ich natürlich gespannt, wie das Turnier ablaufen wird und wie sich die Berichterstattung darüber entwickelt. Und ganz ehrlich ist es bei mir auch noch nicht ganz so weit, dass ich gar keine WM gucken werde. Aber ich kann es verstehen, wenn Leute das Turnier komplett boykottieren.
Mehr zu Viva con Agua und wie man den gemeinnützigen Verein unterstützen kann, finden Sie unter www.vivaconagua.org
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