Zuerst gefeiert, dann gefeuert: Der gravierende Unterschied zwischen Flick beim FC Bayern und DFB

Nach dem 1:4 gegen Japan hatte Hansi Flick als Bundestrainer ausgedient. Das, obwohl er mit dem FC Bayern noch alle Titel abräumte. Welche Faktoren zur Wandlung führten.
Victor Catalina
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Eine selten dagewesene Spaltung: Während Hansi Flick beim FC Bayern noch der gefeierte Triple-Held war, vermochte für ihn bei der Nationalmannschaft nicht mehr viel zu funktionieren.
Eine selten dagewesene Spaltung: Während Hansi Flick beim FC Bayern noch der gefeierte Triple-Held war, vermochte für ihn bei der Nationalmannschaft nicht mehr viel zu funktionieren. © IMAGO / Jan Huebner

München - Es lief die 89. Minute des Champions-League-Viertelfinals 2019/20 zwischen dem FC Barcelona und dem FC Bayern. 7:2 führte der Rekordmeister zu diesem Zeitpunkt. Die Partie war längst entschieden. Der von den Katalanen ausgeliehene Philippe Coutinho legte noch den achten Treffer nach.

Im Anschluss schwenkte die Kamera an die Seitenlinie, auf Hansi Flick. Keine Jubelsprünge, kein ungläubiger Blick. Stattdessen saß Bayerns Coach mit versteinerter Miene auf seinem Stuhl, während im oberen linken Eck das Ergebnis leuchtete: "88:36 | BAR 2-8 BAY". Ein Bild für die Ewigkeit. 

Konzentrierter Hansi Flick wird zum Inbegriff der Dominanz des FC Bayern

Über die kommenden Wochen und Monate wurde jenes Bild zum Inbegriff von Bayerns Gnadenlosigkeit. Der Gegner wird so lange überrollt, bis der Busfahrer den Motor anlässt. Ohne Wenn und Aber.

Folgerichtig holte sich der Rekordmeister im Finale gegen Thomas Tuchel und Paris Saint-Germain (1:0) den sechsten Champions-League-Titel und später sogar das "Sextuple", das komplette Set. Hansi Flick war auf dem Fußball-Olymp angekommen. Es gab bereits Vergleiche mit den Allergrößten, Jupp Heynckes oder Pep Guardiola. 

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Vergangenen Samstag gab es erneut einen deutlichen Spielstand, erneut schaute Flick versteinert drein und erneut gab es die Vergleiche. Diesmal jedoch mit Erich Ribbeck oder Rudi Völler.

Gut 24 Stunden später wurde Flick entlassen, als erster Bundestrainer überhaupt. Manchmal musste man sich fragen: Ist das wirklich dieselbe Person? Der seltsame Fall des Dr. Hansi und Mr. Flick. 

"Ich kenne meine Bayern": Jupp Heynckes stärkt verunsicherten Hansi Flick

Nach dem Spiel gegen Japan war Flick die Verunsicherung anzusehen. In einem fragwürdigen Interview bei RTL sprach er davon, man könne der Mannschaft nichts vorwerfen und dass er weiterhin der richtige Trainer sei. Wahrscheinlich hat er bereits gespürt, was Joshua Kimmich (28) wenig später heimlich bestätigte: Man müsse Flick vertrauen. Das oberste Gut der Flick'schen Philosophie war nicht mehr gegeben. 

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Selbige Verunsicherung und Nervosität soll Flick auch vor seinem allerersten Bundesligaspiel gegen Borussia Dortmund im November 2019 gezeigt haben, berichtet die "Bild". Die Lösung: Ein Telefonat mit Mentor Jupp Heynckes. "Mach dir keine Sorgen. Ihr gewinnt 3:0 oder 4:0. Ich kenne meine Bayern". So kam es. Der Rekordmeister gewann 4:0. Flick hatte seinen Takeoff in die Traumsaison und die Mannschaft komplett hinter sich.

Thiagos Abgang beim FC Bayern lässt das System von Hansi Flick bröckeln

Auch, weil er sie spielerisch von der Leine ließ, weil er es sich erlauben konnte, sie spielerisch von der Leine zu lassen. In Thiago hatte Flick den perfekten Mittelfeldspieler für sein System: Eine Mischung aus absoluter Ballsicherheit, Kreativität und defensiver Robustheit. Nach Letzterem sucht Thomas Tuchel noch immer.

Dadurch konnte der FC Bayern sein brutal hohes Pressing aufrechterhalten. Wenn doch gefährliche Bälle hinter die Abwehr kamen, wurden sie entweder von "Roadrunner" Alphonso Davies abgelaufen oder Manuel Neuer saugte sie weg. Ganz vorne erzielte Robert Lewandowski immer zwei Tore mehr, als die Münchener kassierten. 

Nicht zuletzt, weil Thiago (li.) im Mittelfeld für Stabilität sorgte, gewann Hansi Flick mit dem FC Bayern sämtliche Titel.
Nicht zuletzt, weil Thiago (li.) im Mittelfeld für Stabilität sorgte, gewann Hansi Flick mit dem FC Bayern sämtliche Titel. © Michael Regan/IMAGO / Poolfoto UCL

Mit Leadern wie Neuer, Jérôme Boateng, David Alaba, Thiago, Thomas Müller und Lewandowski sowie der Generation um Kimmich und Leon Goretzka, die gerade begann, Verantwortung zu übernehmen,  hatte Flick die perfekten Bedingungen – für den Moment.  Am Ende der Triple-Saison hinterlegte Thiago seinen Wechselwunsch und zog gen Liverpool weiter.

Da auch der damals 20-jährige Davies mit Formschwankungen kämpfte, brach Flicks System die defensive Stabilität weg. Lange Bälle hinter die Abwehr wurden postwendend gefährlich. Egal, ob sie von Paris Saint-Germain oder Holstein Kiel kamen. In der Bundesliga allein setzte es 44 Gegentore. Dennoch brachte der Rekordmeister den Titel ins Ziel. Die offensive Wucht gab es schließlich noch immer. Lewandowski erzielte mit der letzten Aktion der Spielzeit sein 41. Saisontor und radierte den Jahrhundertrekord von Gerd Müller aus. 

Gegen Spitzenteams wurden die Mängel im System von Hansi Flick offensichtlich

Direkt im Anschluss an die Saison wurde Flick Bundestrainer. Heißt: Den Großteil seines Bayern-Grundgerüsts hatte er noch immer. Aber neben Thiago musste er nun auch Davies und Lewandowski ersetzen. Der Start gelang Flick zwar auch hier, mit acht Siegen aus den ersten acht Partien.

Sobald es gegen Spitzenteams ging, wurden die Mängel in Flicks System jedoch offensichtlich. Vorne fehlte es an Durchschlagskraft. Hinten kassierte das DFB-Team zu viele, zu einfache Gegentore. Das 5:2 über Italien in der Nations League bleibt Flicks einziger Erfolg gegen einen Gegner auf Augenhöhe.

Ordentliche Ansätze, aber kein Sieg: Gegen Spitzenteams wollte dem DFB-Team unter Hansi Flick zu selten das erwartete Statement gelingen.
Ordentliche Ansätze, aber kein Sieg: Gegen Spitzenteams wollte dem DFB-Team unter Hansi Flick zu selten das erwartete Statement gelingen. © IMAGO / Pro Shots

Erneut verfiel Flick in die generelle Verunsicherung und begann, wild zu experimentieren – vor allem in der Defensive. In 25 Partien ließ Flick 22 unterschiedliche Abwehrformationen auflaufen. Dadurch verlor er zunehmend den Anschluss an sein Team – gerade vor der anstehenden WM. 

Joshua Kimmich und Thomas Müller kritisieren, Flick verliert langsam den Rückhalt

Amazons Vierteiler "All or Nothing: Die Nationalmannschaft in Katar" zeigt beispielsweise, wie dünnhäutig Flick reagierte, als er nach der Pleite gegen Japan in der Analyse zur offenen Diskussion anregte und von Kimmich und Müller für das Defensivverhalten im Mittelfeld kritisiert wurde.

"Seine Rhetorik ist eine Mischung aus sozialpädagogischem Kumpel-Kauderwelsch und abgestanden Actionfilm-Kraftmeiereien", bewertet die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" Flicks Kabinenansprachen. Der Trainer redete offensichtlich an seiner Mannschaft vorbei und konnte diese eben nicht mehr erreichen. 

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Zu diesem Zeitpunkt und insbesondere mit dem frühen Ausscheiden war der Schaden bereits angerichtet. Nach der WM gab es nur noch einen weiteren Erfolg, das 2:0 gegen Peru. Im Anschluss taumelte das DFB-Team vor sich hin.

Besonders die Auftritte gegen Belgien (2:3) oder Kolumbien (0:2) waren spielerische Bankrotterklärungen. Mittlerweile war Flicks Demission nahezu unvermeidlich. Es war den Japanern überlassen, den entscheidenden Stich zu setzen. "90:00 | 1:08 +5 | GER 1-4 JPN". Aus. 

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6 Kommentare
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  • Südstern7 am 13.09.2023 20:48 Uhr / Bewertung:

    Wir erinnern uns alle an den Zoff mit Salihamidzic. Nichts außergewöhnliches im Profifußball! War es wirklich ein Streit oder nur das übliche Gerangel um Pfründe, wie es im Profisport immer vorkommt? Denn jeder Trainer ist Angestellter seines Vereins und das Management gibt immer die Direktive vor. Der Fußballlehrer macht das Beste aus der Situation, er zieht sein Ding auch gegen Widerstand durch.

    Gekämpft hätte auch Flick beim FC Bayern, wenn da nicht der Jogi demissioniert wäre und der DFB ihm eine Offerte machte. 6,5 Millionen Jahresgehalt sind Lockangebot genug und außerdem eine Riesenchance für Flick, ein Traum sozusagen. Das war die Situation. Und was macht der Hansi? Plötzlich thematisiert er die Differenzen mit Brazzo, spielt die beleidigte Leberwurst mit dem einzigen Ziel einen Grund zu haben bei Bayern alles hinzuwerfen. Taktisch geschickt sicherlich, ich würde es hinterwärts nennen. Da war mir klar, dass der Flick keinen geraden Weg geht. Das tut ein GUTER Trainer aber.

  • TheSpecialOne am 13.09.2023 19:55 Uhr / Bewertung:

    Flick hatte eine Mannschaft übernommen, die die Schnauze voll hatte von Kovacs eher diktatorischen Führung. Er hat sie mit seiner menschlichen Art gepackt, die Spieler waren richtig froh, das hat man in jedem Spiel gemerkt, und sie haben es ihm mit Erfolgen gedankt. Das hat exakt ein halbes Jahr gehalten. Dann war der Zauber vorbei. Denn dieser Halleluja-alle-Mann-nach-vorne-Fußball kann auf Dauer einfach nicht gutgehen.

  • Max Merkel am 13.09.2023 15:26 Uhr / Bewertung:

    Der Hansi war der Vater des WM Erfolges 2014, nicht der Jogi. Das Problem ist, der Hansi hätte diesen Job erst gar nicht antreten dürfen. Die Probleme haben sich schon damals abgezeichnet. Ich sag es immer wieder, ein Trainer muß sich die Gesamtlage ganz genau vorher anschaun und ann entscheiden, mach ichs oder mach ichs nicht. Der Nagelsmann wär blöd wenn er diesen Job annimmt.

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