Valerien Ismael im AZ-Interview: "Paris ist der klare Favorit“
München - Am Mittwoch steht für den FC Bayern der erste große Härtetest der Saison an. Gegen den neureichen französischen Top-Klub Paris Saint-Germain steht der Rekordmeister nach dem holprigen Saisonstart unter Druck. Für Ex-Bayer Valerien Ismael sind die Pariser Favorit.
Herr Ismaël, in die allermeisten Spiele geht der FC Bayern als Favorit. Gilt das auch fürs Champions-League-Duell am Mittwoch bei Paris Saint-Germain?
Valerien Ismael: Nein, Paris ist für mich klarer Favorit. Der Klub hat unglaublich viel Geld im Sommer investiert, mit Neymar einen der besten Spieler der Welt geholt, mit Kylian Mbappé eines der größten Talente. Paris ist sehr ambitioniert und hat zuhause bislang souverän gespielt. In der aktuellen Form müsste PSG gewinnen, Bayern tut sich noch schwer.
238 Millionen Euro gab PSG im Sommer für neue Stars aus. Muss diese Saison der Champions-League-Titel her?
Der Druck ist gewaltig, das spürt man. Die Mannschaft muss in dieser Saison ins Finale kommen, alles andere wäre eine Enttäuschung. Der Anspruch ist ganz klar, die Champions League zu gewinnen. Ich sehe die Situation ähnlich wie bei Chelsea und Roman Abramowitsch (Besitzer, d.Red.). Er hat auch so lange Geld in den Klub gepumpt, bis es mit dem großen Triumph geklappt hat.
"Paris meint es ernst"
2012 war das, in München. Hat Paris aus Ihrer Sicht größere Chancen auf den Königsklassen-Titel als Bayern?
Beide haben Chancen, die Konkurrenz in der Spitze ist insgesamt riesig. Ich habe das Gefühl, dass Paris die anderen großen Klubs mit den Transfers von Neymar und Mbappé wachgerüttelt hat. Barcelona ist sehr gut in die Saison gestartet, auch Real Madrid und Bayern werden jetzt noch konzentrierter auftreten. Sie wissen alle: Paris meint es ernst.
Zuletzt gab es jedoch Zoff: Neymar und Edinson Cavani stritten um die Ausführung eines Elfmeters.
Ja, das ist doch klar. Der neue Star will Tore schießen, der Toptorjäger auch. Ich sehe bei PSG kein Problem wegen der Egos. Inzwischen ist der Streit auch schon wieder ausgeräumt, das Team hat sich zu einem gemeinsamen Essen getroffen.
Jeder spricht aktuell vom Traumsturm Neymar, Cavani, Mbappé. Auf wen muss Bayern sonst noch aufpassen?
Thiago Motta im zentralen Mittelfeld ist der eigentliche Star und Chef dieser Mannschaft. Ein super Spieler, der eine unglaubliche Ruhe am Ball hat und das Spiel ordnet. Aber klar: Die größte Gefahr geht vom Angriff aus. Vorne ist Paris sehr beweglich. Bayern muss als Kollektiv dagegenhalten und PSG am besten früh stören.
Zuletzt gegen Wolfsburg gelang das den Bayern nicht sehr erfolgreich.
Das stimmt. Vor der Partie dachte man, dass Bayern mit den Siegen gegen Schalke und Mainz ins Rollen gekommen ist. Wolfsburg war ein Rückschlag. Eine 2:0-Führung darf man nicht mehr aus der Hand geben. Bayern wollte den Sieg nur noch verwalten, sich für Paris schonen. Aber mit der Handbremse klappt es nicht.
Wie groß ist der Nachteil, dass am Mittwoch Sven Ulreich im Tor steht – und nicht Manuel Neuer?
Einen Weltklasse-Torhüter wie Neuer kann man kaum ersetzen. Ulreich hat gezeigt, dass er ihn ein paar Spiele gut vertreten kann. Aber wir reden von der Nummer eins. In den großen Spielen will man den besten Torhüter natürlich dabei haben.
"Coman kann Spiele entscheiden"
Apropos dabei sein: Das galt für die deutschen PSG-Stars Kevin Trapp und Julian Draxler zuletzt eher selten. Wie sind ihre Perspektiven?
Trapp hat sich ein paar Patzer geleistet, die Erwartungen nicht erfüllt. Er ist jetzt die Nummer zwei und hat es schwer. Draxler hat zu Beginn bei Paris überzeugt, aber dann gab es im Sommer eben die Möglichkeit, Neymar zu holen. Da hat PSG keine Rücksicht auf Draxler genommen. Er spielt auf der gleichen Position wie Neymar, links außen. Angel Di Maria gibt es auch noch. Es ist hart für Draxler. Die Qualität, sich durchzusetzen, hat er.
Gilt das auch für die jungen Franzosen bei Bayern, Corentin Tolisso und Kingsley Coman?
Definitiv. Tolisso macht es gut bislang, es ist sein erstes Jahr bei einem Topklub im Ausland. Manchmal wirkt er unruhig, macht individuelle Fehler. Aber er kann sehr viel. Wenn er mehr Routine bekommt und sich frei fühlt, wird er eine Säule dieser Mannschaft werden.
Und Coman?
Er bringt jedes Mal einen Schuss Unberechenbarkeit und Genialität, wenn er reinkommt. Coman kann Spiele entscheiden. Ich denke, dass die Zeit für ihn jetzt gekommen ist. Er wird bei Bayern durchstarten.
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