Typisch Ancelotti: Alles ganz natürlich!
München - Herr Ancelotti, eine Frage bitte noch. Okay. Die Reporterin bemühte sich, ihre Entrüstung in die Formulierung der Frage zu legen, wollte den Bayern-Trainer herausfordern. Was er von Neymars aberwitzigem Rekordtransfer vom FC Barcelona zu Paris St. Germain für 222 Millionen Ablöse halte? Ancelotti wiederholte die Summe und sagte: "Das ist eben im Moment der Marktwert für einen der besten Spieler der Welt." Ende. Ist halt so. Danke. Abgang.
Man muss dem 58-Jährigen zugutehalten, dass er am Mittwochabend andere Sorgen hatte als Neymar und die Einhaltung des "Financial Fairplay". Sein FC Bayern hatte gerade 0:2 gegen den SSC Neapel verloren. Mikrokosmos schmerzt mehr als irgendwelche moralische Sorgen. 4:14 Tore in sechs Spielen, nur ein Sieg in sechs internationalen Testspielen. Letzter beim Audi Cup, dem Prestige-Turnier des strategischen Partners.
Schon vor Saisonbeginn die erste Krise
Zig Verletzte und Spieler, die auf höchst unterschiedlichem Niveau sind nach dem Confed Cup. Und das in einem ungeraden Sommer, in dem eine Pre-Season einfacher zu handeln ist als etwa kommendes Jahr, wenn bis zu 16 (!) Profis des aktuellen Kaders die WM in Russland in den Köpfen und Knochen haben könnten. Die Saison hat noch nicht begonnen und der Meister steckt in der ersten Krise. Na bravo.
Man erlebe die "anspruchsvollste, aber auch schlechteste Vorbereitung seiner Geschichte", schreibt Bild. Für die SZ hat "der FC Bayern sein System verloren. Und er hat kein neues." Gemeint ist die Mischung aus "Spinnennetz- und Ballbesitz"-Strategie, mit der man unter Trainer Pep Guardiola von 2013 bis 2016 die Gegner ermüdete, dominierte und meist besiegte. "Natürlich sind wir nicht glücklich mit unserer Situation, aber die Saison mit den offiziellen Spielen hat noch nicht begonnen", verteidigt sich Ancelotti, nach außen gefasst und ruhig. Er sagt: "Natürlich sind wir besorgt. Natürlich sind wir beunruhigt."
Ancelotti betont dieses "natürlich" stets so, als wolle er explizit ausdrücken, dass er besorgt und beunruhigt sei, weil man in dieser Situation von ihm erwarte, dass er besorgt und beunruhigt sei. Typisch Carlo. So mancher wünscht sich, der Trainer würde einmal mit der Hand auf den Tisch hauen und sagen: "ICH BIN BESORGT!" Wahlweise auch wütend, sauer oder zumindest beunruhigt.
Carlo Ancelotti, der Anti-Pep
18 Trophäen in 14 Jahren hat Ancelotti gewonnen, er holte als Trainer in Italien, England, Frankreich und Deutschland die nationale Meisterschaft, mit Real Madrid die Champions League. Abteilung ganz dickes Fell. Alles gesehen, alles erlebt. Das gibt Vertrauen, welches sich mit einer Besonnenheit mischt, die ihn mitunter zum Stoiker werden lässt. Auch am Spielfeldrand, wenn er seine Gedanken an Kaugummis abarbeitet. Er beobachtet, greift nur selten ein. Ein Anti-Pep. "Ich verstehe die Pfiffe, wir haben viele Spiele verloren", sagte Ancelotti zu den Unmutsbekundungen der Fans, "aber wir arbeiten daran, in den nächsten Spielen erfolgreich zu sein." Wer tut das nicht? Der Italiener glaubt: "Wir sind kompetitiver als letzte Saison, haben uns gut verstärkt. Wir müssen die Vergangenheit vergessen, am Samstag startet die Saison."
Der Supercup gegen Dortmund als Stresstest
In Dortmund. Der Supercup. Auch für ihn und seine Kaugummis ein echter Stresstest. „Wir müssen schnell die Kurve kriegen“, forderte Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge, "ich hoffe, dass der Trainer die richtigen Rezepte findet." Der neue Sportdirektor Hasan Salihamidzic meinte: "Wir müssen intensiver trainieren.“ Nur so dahingesagt oder tatsächlich Ausdruck der Meinung der Verantwortlichen? Die Kernfrage der Saison lautet: Kann der unaufgeregte und dadurch geschickte Moderator und Launenversteher des Starensembles den Umbruch nach dem Abschied der Strippen- und Spinnennetz-Zieher Lahm & Alonso vorantreiben, eine neue Mannschaft entwickeln?
Könnte zäh werden. Carlo strahlt aus: Nur die Ruhe, Leute. Ob das mal gut geht?