Nach Bayern-Höhenflug: Das Gaudino-Rätsel

München - So mancher Zuschauer in der Allianz Arena fühlt sich an diesem 22. August 2014 an Mehmet Scholl erinnert. Anderen fällt sofort der Name Sergio Busquets ein, den Pep Guardiola einst beim FC Barcelona vom Jugendspieler zu einem der besten Sechser der Welt formte.
Und das alles liegt an diesem 17 Jahre alten Burschen im Mittelfeld des FC Bayern, dem Jungen mit dem Wuschelkopf, der bei seinem Debüt in der Bundesliga gegen den VfL Wolfsburg so cool spielt, als gebe es nichts Leichteres auf der Welt.
Sein sicheres Passspiel, seine eleganten Bewegungen, die Übersicht, seine Ideen – dieser Junge, den sie "Gianni" rufen, begeistert alle.
Was keiner ahnt: Gianluca Gaudinos Karriere hat an diesem Abend bereits ihren höchsten Punkt erreicht – bis heute kann man diesen Satz nicht revidieren, im Gegenteil: Knapp anderthalb Jahre später heißt die Realität für den Sohn von Maurizio Gaudino, dem früheren Nationalspieler, nämlich Regionalliga.
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Wenn Gianluca Gaudino nicht immer noch verdammt jung wäre – heute ist er 19 –, würde man bei einer solchen Geschichte von einem Absturz reden. So weit will Vater Maurizio aber natürlich nicht gehen.
Im Gespräch mit der AZ sagt er: "Es ist eine schwierige Situation für Gianluca, keine Frage. Letzte Saison hatte er noch so ein Hoch, da ist er gefördert worden und hatte sogar Einsätze in der Bundesliga."
Acht Mal setzte Pep Guardiola den technisch starken Mittelfeldspieler in der Liga ein, einmal sogar in der Champions League gegen ZSKA Moskau. "Dann hofft man schon, dass es so weitergeht – vor allem dann, wenn man einen Profivertrag bekommt, und das war bei Gianluca der Fall", sagt Maurizio Gaudino.
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Im Dezember 2014 besserten die Bayern Gaudinos Arbeitspapier auf, wenige Tage später wurde dann die Verpflichtung Joshua Kimmichs öffentlich gemacht. "Gianluca wurde gesagt, dass es eine Perspektive im Klub gibt, dass auf ihn gesetzt wird", sagt Maurizio Gaudino.
Und er fügte hinzu: "Pep hat Gianlucas Qualität ja gesehen. Er ist das Risiko eingegangen und hat ihn auch von Beginn an spielen lassen. Und Gianluca hat ja gezeigt, dass er auf diesem Niveau schon mithalten kann."
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Es habe Angebote für Gaudino junior gegeben, "aber Gianluca wollte bleiben", erzählt sein Vater. Im August wurde er dann zur Regionalliga-Mannschaft geschickt, wie auch Sinan Kurt und Julian Green, die beiden anderen großen Bayern-Hoffnungen im Nachwuchsbereich. Gaudinos Rolle als Mittelfeld-Talent nahm Kimmich ein.
"Natürlich war es sehr enttäuschend, dass er plötzlich nicht mehr bei den Profis trainieren durfte", sagt Maurizio Gaudino. In diesem Sommer kam Gianluca dann nur noch beim Traumspiel in Deggendorf und bei einer Partie gegen eine Fan-Auswahl zum Einsatz – nicht auf der großen Bühne Bundesliga.
Vor ein paar Tagen dann der vorläufige Tiefpunkt: Gaudino und Kurt wurden vor dem Derby gegen Unterhaching sogar aus dem Kader gestrichen. "Es gibt Gründe für meine Entscheidung", sagte Trainer Heiko Vogel, "aber die bleiben im Verborgenen."
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Sportliche Gründe konnten es freilich nicht sein, dafür braucht Vogel die Qualität der beiden Jungstars viel zu dringend. Schließlich wollen die „kleinen Bayern“ aufsteigen in die dritte Liga. Fehlt es den Talenten, zu denen auch Mehmet Scholls Sohn Lucas zählt, manchmal am nötigen Biss?
Pep Guardiola klingt beinahe so. "Sie müssen in der 2. Mannschaft gut gespielt haben, eine gute Einstellung gezeigt haben, damit sie verdienen, hier zu spielen."
Das sagt der Bayern-Trainer auf AZ-Nachfrage zur Situation von Gaudino und Kurt, der kürzlich wegen eines dekadenten Helikopter-Flugs in die Schlagzeilen geriet. "Sinan", sagt Pep, "muss erstmal in der 2. Mannschaft gut spielen, um zu uns zurückkommen zu können. Aber da hat er nicht viel gespielt."
Kurt, der für mehr als eine Million Euro aus Gladbach verpflichtet worden war und vergangene Saison zu einem Bundesliga-Einsatz kam (im April beim 1:0 gegen Hertha BSC), sitzt selbst bei den Amateuren bisweilen nur auf der Ersatzbank.
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Dabei wären er und Gaudino eigentlich Optionen für das Champions-League-Spiel am Mittwoch in Zagreb gewesen. Der Gruppensieg steht fest, warum also nicht den Spielern aus dem Nachwuchs eine Chance geben?
Dass Guardiola beide Talente wohl zu Hause lassen wird, sagt alles über ihre Perspektive aus. Deshalb stehen die Zeichen auf Abschied, vielleicht sogar schon nach Abschluss dieses Jahres.
"Mit dem FC Bayern ist vereinbart, dass wir im Winter über Sinans Situation sprechen", sagt Kurts Berater Michael Decker zur AZ. "Es ist alles offen, was danach passiert."
Maurizio Gaudino äußert sich ähnlich. "Ich bin ja nicht nur sein Vater, sondern auch sein Berater", sagt er. "Die Voraussetzungen sind jetzt andere als damals, als Gianluca seinen Profivertrag unterschrieben hat. Es ist natürlich ein Unterschied, ob du bei den Profis trainierst mit lauter Weltmeistern und Weltklassespielern."
Oder eben mit Regionalliga-Kickern. Deshalb sei jetzt auch ein Wechsel "nicht mehr ausgeschlossen, auch nicht im Winter. Dann muss aber alles passen, das ist in dieser Phase nicht so einfach. Gianluca muss die Einsatzzeit bekommen."
Ob es ein Klub in Deutschland für seinen Junior sein soll oder einer im Ausland? "Nicht wichtig", findet Gaudino: "Was entscheidend ist: Der Verein muss von Gianluca überzeugt sein."
Gilt das exakt 473 Tage nach diesem erstaunlichen 22. August 2014 auch noch für den FC Bayern?