Mehr Müller wagen: Der Bayern-Star will unter Flick beim DFB wieder durchstarten
Hamburg - Mit Louis van Gaal verbindet Hansi Flick nun wirklich herzlich wenig, mal abgesehen von der Tatsache, dass beide die Nationaltrainer ihres Heimatlandes sind. Wobei: eine Gemeinsamkeit dürfte es womöglich doch geben, und zwar bezüglich der Einschätzung der Bedeutung von Thomas Müller für eine Fußballmannschaft.
Das viel zitierte Diktum des Holländers aus dem Jahre 2010 ("Müller spielt immer!") würde Flick allein schon aus Copyright-Gründen und wegen des van Gaalschen Hangs zur Überreaktion natürlich nie übernehmen. Aber wenn man sich Flicks Umgang mit dem Spargeltarzan aus Pähl anschaut, dann ist die Maxime "Mehr Müller wagen!" sicher eine zulässige Zusammenfassung aus Flicks Handeln.
Mit gerade einmal 30: Müllers Zeit schien schon abgelaufen
Vor zwei Jahren erlebte Thomas Müller den wohl trübsten Herbst seiner Kickerkarriere. Bayern-Coach Niko Kovac konnte mit dem unkonventionellen Müller wenig bis nichts anfangen, wechselte den Weltmeister in jedem der ersten 14 Saisonspiele aus oder ein, nicht selten für die letzten zehn Minuten. Reihenweise Demütigungen für den Immer-Spieler.
Das führte so weit, dass es Spekulationen gab, der Ur-Bayer könne den Verein verlassen, dem er seit dem Jahr 2000 angehört. Müller zu Manchester United oder Inter Mailand, hieß es damals - was sich natürlich niemand vorstellen konnte.
Zuerst die reichlich uncharmante Ausbootung aus der DFB-Elf durch Bundestrainer Joachim Löw im März 2019, dann Kovacs offenkundiges Desinteresse: Müllers Zeit schien abgelaufen, mit gerade mal 30. Dann kam der 3. November, das 1:5 in Frankfurt, Kovacs Entlassung - und es kam Hans-Dieter "Hansi" Flick, dem Spieler Müller wohl bekannt aus vielen gemeinsamen Jahren bei der Nationalmannschaft.
Müller verpasste die ersten Länderspiele unter Flick
Der ließ - grob gesagt - den Müller wieder Müller sein, und der Rest ist längst Fußballgeschichte: sechs Titel in einer halben Spielzeit, Champions-League-Triumph inklusive. Immer mittendrin statt nur dabei und dank der coronaleeren Stadien stets bestens zu hören: Thomas Müller. Reumütig kroch Löw zu Kreuze und holte den Unverzichtbaren vor der EM zurück.
Löw ist in Rente, und erneut ist Flick Müllers Boss, diesmal halt bei der Nationalmannschaft. Den Drei-Siege-Start des neuen Bundestrainers im September hatte der 32-Jährige wegen einer Verletzung nur als Zuschauer miterleben können. Vor den WM-Qualifikationsspielen gegen Rumänien (am Freitag, 20.45 Uhr, in Hamburg, live bei RTL) und Nordmazedonien (am Montag, 20.45 Uhr, in Skopje) sprach der Bayer nun von einem ersten "kleinen positiven Aufschwung" unter Flick.
Thomas Müller im DFB-Team mit großer Konkurrenz
Der Comebacker ist als Fixpunkt jedenfalls sofort wieder omnipräsent, sowohl als Wortführer und gefragter Gesprächspartner bei der obligatorischen Pressekonferenz als auch in Kickstiefeln auf dem Trainingsplatz. Unter einem herbstgrauen Hamburger Himmel dirigierte der Rückkehrer beim ersten Training des Nationalteams seine Mitspieler, ärgerte sich über jeden verlorenen Ball und scherzte in den kurzen Pausen. So wie er das eben seit Jahren schon tut, auch beim FC Bayern.
Allzu forsche Ansprüche an "Projektleiter" Flick formulierte Müller gleichwohl nicht. "Gerade im Offensivbereich haben wir sehr, sehr viele exzellente Alternativen. Da will natürlich jeder spielen, da zähle ich mich natürlich auch mit dazu." Wer aber aufgestellt werde, sei allein eine Frage für den Bundestrainer. "Da wird es keine persönlichen Befindlichkeiten oder irgendwelche Ego-Spielchen geben, die den Aufschwung stören", versprach Müller. Zum Thema Startelf-Ambitionen sagt er nur: "Elf dürfen anfangen. Die Regeln haben sich nicht geändert."
Lautsprecher Müller will Teamkollegen anstacheln
Über seine neue, alte Rolle als verlängerter Arm des Trainers auf dem Spielfeld sagt Müller: "Ich traue mich sehr viel, andere anzusprechen, und scheue mich nicht, das in einer gewissen Frequenz zu tun."
Wenn er als "Spielertrainer" auf dem Platz Kommandos gebe, wolle er "nicht belehrend" sein, sondern "sachdienliche Informationen" rüberbringen und "andere damit anstacheln". Das erwartet er auch von den Kollegen: "Da müssen sie mich nicht mit Vor- und Nachnamen ansprechen oder per Sie, da kann es auch mal ruppiger zugehen."

Mit dieser Offenheit und der Fähigkeit, andere zu coachen, hat Müller der DFB-Elf in 106 Länderspielen viel gegeben. "Thomas ist für mich ein Phänomen", sagte Flick über den Weltmeister von 2014. Müller bringe einem Team "so unendlich viel". Für Flick steht fest: "So jemanden wie ihn wird es nie wieder geben."
Thomas Müller: Voller Fokus auf die WM 2022
Deshalb hat er Müller auf der Zehnerposition als Herzstück seiner in der Tat exquisit besetzten Offensive auserkoren. Weil sein einstiger Münchner Lieblingsschüler bei der Flick-Premiere im September kurzfristig ausfiel, wird er diese Rolle am Freitag gegen Rumänien erstmals unter dem neuen Chef übernehmen.
Und wie lange geht das mit diesem Müller noch in der DFB-Elf? Die WM 2022 in Katar habe er fest im Blick, sagte er, seine Ansprüche müsse man aber "natürlich mit Leben füllen". Das tut Müller - auf und neben dem Platz.