Katar-Reise: FC Bayern sollte Menschenrechtsverletzungen ansprechen

Umstrittenes Trainingslager des FC Bayern: Sachbuchautor Dietrich Schulze-Marmeling kritisiert im AZ-Interview den Trip des Rekordmeisters nach Katar.
München - Kurt Landauer prägte als Präsident einst den FC Bayern. Als Jude wurde er im Dritten Reich von den Nazis verfolgt. Zu Ehren des früheren Vereinsbosses hat jüngst eine Stiftung ihre Arbeit aufgenommen. Fußball-Historiker Dietrich Schulze-Marmeling erklärt im Interview mit der AZ, wie Karl-Heinz Rummenigge das Gedenken an Landauer forcierte - und warum das Trainingslager in Katar auch unter diesem Aspekt kritisch zu bewerten ist.
AZ: Herr Schulze-Marmeling, kürzlich hat die Kurt-Landauer-Stiftung die Arbeit aufgenommen, bis zum Sommer soll eine Statue an der Säbener Straße errichtet werden, um an den früheren Bayern-Präsidenten zu erinnern. Wird das der Bedeutung Landauers gerecht?
DIETRICH SCHULZE-MARMELING: Es ist eine gute Sache, um dem Thema Kurt Landauer Nachhaltigkeit zu verleihen. Das erste Projekt, das die Stiftung angeht, ist die Statue. Es soll eine Bank werden, auf der Landauer sitzt und von der aus er das Gelände überschauen kann. Die Säbener Straße ist sehr eng mit Landauer verbunden, die Heimat des FC Bayern geht auf Landauer zurück.
"Landauer Vater der Modernität des FC Bayern"
Welche Bedeutung hat Landauer für den FC Bayern?
Was oft vergessen wird, ist die erste deutsche Meisterschaft der Bayern im Jahr 1932. Landauer hatte daran als Präsident großen Anteil, genauso an der Entwicklung des Klubs in den folgenden Jahren. Bayern war schon zu Zeiten der Weimarer Republik ein moderner Klub, der sehr professionell geführt wurde. Man kann schon sagen, dass Landauer der Vater dieser Modernität des FC Bayern ist.
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In den Jahren danach wurde der jüdische Präsident von den Nazis verfolgt, er musste zurücktreten, kam ins KZ Dachau und emigrierte in die Schweiz. 1947 kehrte Landauer zum FC Bayern zurück.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs war Landauer sehr wichtig für Bayern, weil es darum ging, gegenüber den Alliierten und der Stadtregierung zu dokumentieren, dass dieser Verein ein Partner sein kann im Wiederaufbau der Demokratie. Es war damals wichtig für alle Vereine, dass sie jemanden vorzeigen konnten, der lauter war, der einen guten Leumund hatte und sich glaubwürdig als Partner anbieten konnte. Die Person Landauer hat dem FC Bayern sicher einen gewissen Startvorteil eingeräumt nach dem Krieg, weil der andere Verein der Stadt, der TSV 1860, den Nationalsozialisten näher stand. Der FC Bayern konnte hingegen glaubwürdig sagen: Wir haben ein Opfer in unseren Reihen mit Landauer, wir stehen deshalb für einen Neuanfang.
Spektakuläre Choreo: Ultras des FC Bayern gedenken Ex-Präsident Kurt Landauer in der Allianz Arena. (Foto: Sampics/Augenklick)
Wäre die erfolgreiche Entwicklung des FC Bayern bis heute ohne Landauer überhaupt möglich gewesen?
Er hat auf jeden Fall eine Spur gelegt, in der sich andere später bewegen konnten. Er hat die Tradition dieses Vereins begründet, die man mit Ambition und Professionalität beschreiben kann. Landauer hat Bayern in den Weimarer Jahren zum Volksverein gemacht. Außerdem hat er intellektuelle und kaufmännische Milieus angezogen, was dem Klub sehr geholfen hat. Bayern hat diese rote Linie in seiner Geschichte, die Linie des modernen Vereins – von Landauers Zeiten bis heute.
Warum fand die Figur Landauer innerhalb des Klubs dann lange so wenig Beachtung?
Das ist tatsächlich so gewesen. Ich denke, Landauer ist eher ungewollt in Vergessenheit geraten. Nach der Einführung der Bundesliga, dem Aufstieg des FC Bayern 1965 und den großen Erfolgen des Klubs in den Jahren danach hat man nicht mehr daran gedacht, was vorher so gewesen war. Die Geschichte wurde gewissermaßen mit Trophäen zugeschüttet. Ab 2009 kann man aber beobachten, dass sich bei Bayern ganz stark etwas geändert hat. Die Vereinsführung, namentlich Karl-Heinz Rummenigge, hat sich diesem Thema angenommen, Kurt Landauer zugewandt und dazu beigetragen, dass diese Person und ihre Geschichte wieder zu Bayern zurückkehrt.
"FC Bayern sollte Zustände in Katar ansprechen"
Ist es angesichts der Geschichte Landauers, der jüdischen Vergangenheit des Klubs vertretbar, dass Bayern in einem Land wie Katar sein Trainingslager abhält?
Ich finde das schon schwierig. Meine persönliche Meinung ist, dass man das nicht machen sollte. Ich habe aber auch noch nie mit einem Bayern-Offiziellen über ihre Beweggründe diskutiert. Man sollte als FC Bayern zumindest die Zustände in Katar ansprechen, die Menschenrechtsverletzungen, den Antisemitismus. Man sollte nicht vergessen: Kurt Landauer dürfte in der aktuellen Situation ja gar nicht in Katar einreisen. Da wäre ein Statement des Vereins durchaus wünschenswert. Das gilt aber auch für die Fifa und den DFB.
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Der Sachbuchautor Dietrich Schulze-Marmeling hat zahlreiche Werke über den deutschen Fußball und den FC Bayern verfasst.