Hilft die Wut aus Madrid dem FC Bayern in den nächsten Jahren weiter? "Kommen stärker als zuvor zurück"
Madrid/München - Trauer und Tränen. Wut und Verzweiflung. Der Emotionscocktail hielt am Mittwoch aus Sicht des FC Bayern alles bereit.
Ohne Drama machen es die Bayern nicht in einem ihrer Schicksalsstadien, im Estadio Santiago Bernabéu.
Vier Fehler zum falschen Zeitpunkt: Für den FC Bayern kommt alles zusammen
Nüchtern betrachtet, aber das gelingt verständlicherweise nur Außenstehenden, lassen sich die beiden Halbfinalspiele gegen Real Madrid so zusammenfassen: Zwei Spiele, vier Fehler, vier Schuldige. Beim 2:2 im Hinspiel patzte Verteidiger Min-jae Kim doppelt, bei der 1:2-Niederlage im Rückspiel Torhüter Manuel Neuer. Und dann auch noch der Schiedsrichter und einer seiner Assistenten. Zu viel des Schlechten für die Bayern.
"Es war maximal unglücklich, in den letzten Minuten ist alles zusammengekommen", lamentierte ein total bedienter Thomas Tuchel. Nur wenige Minuten fehlten den Münchnern nach der Führung zum Einzug ins Champions-League-Endspiel von London, zur Neuauflage des Bundesliga-Duells gegen Borussia Dortmund von 2013. Tuchel haderte mit dem Schicksal, sagte: "Wir waren fast über der Ziellinie."
Als die Nachspielzeit bereits abgelaufen war, lag der Ball nach einem Schuss von Matthijs de Ligt plötzlich im Tor der Gastgeber. 2:2? Schiedsrichter Szymon Marciniak pfiff sofort, weil sein Linienrichter direkt auf Abseits entschieden hatte. Dadurch konnte der VAR nicht mehr eingreifen. In solch engen Situationen lassen Schiedsrichter ansonsten weiterlaufen, um abzuwarten, ob ein Tor fällt. Danach wird die kalibrierte Linie gezogen, eine Abseitsstellung überprüft. Am Mittwoch nicht.
Abseitsentscheidung gegen den FC Bayern: Thomas Tuchel und Max Eberl wüten
"Die Entscheidung ist ein Desaster, ein absolutes Desaster", echauffierte sich Tuchel, "die Spielszene muss zu Ende gespielt werden. Das ist ein Regelverstoß. Das ist gegen jede Regel des modernen Fußballs." In der Emotion schob er einen Vorwurf nach, der bei den Gastgebern nicht gut ankam: "Das wäre auf der anderen Seite nicht passiert." In eine ähnliche Kerbe schlug der verhinderte Torschütze de Ligt: "Ich finde die Szene unglaublich. Ich möchte nicht sagen, dass Madrid immer Glück hat, aber das macht heute den Unterschied."
Dass der Schiedsrichter hinterher den Fehler eingestand und sich bei den Bayern entschuldigte, konnte die erste Wut nicht lindern. "Davon können wir uns einen Scheißdreck kaufen", tobte Sportvorstand Max Eberl, der tief enttäuscht eine Spur drüber nachlegte: "Wir waren alle für ein deutsches Finale. Alle außer die polnischen Schiedsrichter." Doch auch diese Polemik kann den Fakt, dass Bayern erstmals seit der Saison 2011/12 ohne Titel dasteht, nicht ausradieren. Ein turbulentes, teils chaotisches Jahr erreichte in diesem Achterbahnspiel von Madrid seine passende Zuspitzung. Aber dieser Schock, das Ende in Madrid, könnte ein Anfang sein. Wut tut gut.
Die Wut aus Madrid könnte dem FC Bayern in den nächsten Jahren weiterhelfen
Als Antrieb. Und mit cleveren Entscheidungen, wenn das Adrenalin abgebaut ist, einem neuen Trainer (den sie übrigens auch in den 48 Stunden in Spanien nicht gefunden haben) und einer durch Transfers erneuerten Mannschaft will Bayern in die kommende Spielzeit gehen. In eine Saison, die 2025 ins zweite "Finale dahoam" in der Allianz Arena führen soll.
Als erster verwies darauf Vorstandsboss Jan-Christian Dreesen bei seiner Rede auf dem mitternächtlichen Bankett: "Wir sind auch in der Vergangenheit schon durch solche Talsohlen, durch tiefe Gräben gegangen. Das zeichnet uns aus, dass wir nach so bitteren Niederlagen wieder stärker als zuvor zurückkommen." Dreesen verwies auf "unseren Mia-san-Mia-Reflex".
"Finale dahoam 2.0": Wiederholt sich Geschichte?
Im Veranstaltungssaal "Platea", einem ehemaligen Kino mit Gourmetküche auf der Plaza de Colón, erinnerte Dreesen an den Horrorfilm von 2012, als die Bayern in ihrem ersten "Finale dahoam" gegen den FC Chelsea trotz absurder Überlegenheit nicht gewinnen konnten und dann im Elfmeterschießen tragisch scheiterten.
Ohne 2012 wäre der Champions-League-Triumph von Wembley 2013 gegen den BVB wohl nicht möglich gewesen. Auf die zwei späten Gegentore, durch die Bayern 1999 in Barcelona äußerst tragisch noch 1:2 gegen Manchester United verloren, folgte zwei Jahre später der Gewinn des Henkelpotts gegen den FC Valencia.
Also rief Dreesen in Madrid ins Mikrofon: "Kopf hoch, Mannschaft! Wir haben nächstes Jahr das Finale zu Hause, das ist jetzt unser großes Ziel." Wiederholt sich die Geschichte?