FC Bayern München: Marcel Reif über Hoeneß und Heynckes
München - Der 68 Jahre alte Sportjournalist und Kommentator arbeitet aktuell als TV-Experte beim Doppelpass (Sonntag, 11 Uhr auf Sport1).
AZ: Herr Reif, der FC Bayern hat am Samstag in Gladbach nach neun Siegen die erste Niederlage (1:2) unter Jupp Heynckes kassiert. Ein einmaliger Ausrutscher?
MARCEL REIF: Das werden wir am nächsten Samstag gegen Hannover sehen. Dass sie auch unter Jupp Heynckes nicht sämtliche Spiele gewinnen können, versteht sich von selbst. Aber es hat sich gezeigt, dass nach wie vor einiger Handlungsbedarf da ist. Momentan ist Ruhe da, Jupp Heynckes verschafft den Bayern Zeit. Jetzt ist die Frage, wie sie damit umgehen werden.
Wurden die Probleme der Bayern dank Heynckes also mehr überdeckt als gelöst?
Die sind noch lange nicht gelöst. Heynckes ermöglicht es dem Klub, sich über seine Probleme klar zu werden: Was wollen wir? Wer sind wir? Wie gut sind wir? Und wie gut wollen wir werden? Auf welche Art lässt sich das machen? Wollen wir das, was verlangt wird, Neymar-Dimensionen oder nicht?
Uli Hoeneß kann sich jedenfalls auch eine längerfristige Zukunft mit Heynckes vorstellen.
Ich kann seine Äußerungen auf der Hauptversammlung verstehen und dass es Freude macht mit Heynckes. Vielleicht war das aber auch wieder ein typisches Ablenkungsmanöver, was viele Jahre immer wieder funktioniert hat. Man sagt eine Geschichte und bringt uns Journalisten in eine bestimmte Richtung, verfolgt aber eine ganz andere. Jeder kann sich das offenbar vorstellen, außer Jupp Heynckes. Deshalb ist es für mich auch unfair, ihn jetzt noch einmal öffentlich so in die Pflicht nehmen zu wollen.
Angeblich ist Joachim Löw nun Bayerns Wunschkandidat. Wäre er Heynckes’ logischer Nachfolger?
Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Jogi Löw nach der Nationalmannschaft einen deutschen Klub übernimmt. Da sind so viele Stöckchen, die er überspringen müsste. Warum sollte er sich das antun? Die Frage ist, ob er überhaupt noch mal Vereinstrainer werden möchte. Kann er das noch mal? Anderswo wäre das jedenfalls sehr viel einfacher.
Auch 2019, wenn Heynckes ihm möglicherweise doch bis dahin den Platz freihalten würde?
Das hielte ich für unanständig Jupp Heynckes gegenüber. Wenn ein Mann schon sagt: "Ich mag nicht mehr und ich mach es noch einmal, weil der Klub meines Herzens mich darum gebeten hat." Und dann zu sagen, wir brauchen dich noch ein Jahr, um den Platz für jemanden freizuhalten, das gehört sich nicht.
Sind Thomas Tuchel und Julian Nagelsmann für Sie die realistischeren Kandidaten?
Ja, zusammen mit Ralph Hasenhüttl. Viel größer wird das Reservoir derer, die für den FC Bayern ministrabel sind, nicht werden. Das Trainerthema ist aber nicht das Entscheidende.
Sondern?
Die Frage, was der Klub grundsätzlich will. Wohin er will und auf welche Art und Weise er das erreichen möchte. Da wird ein Trainer gefunden werden müssen, der dabei mitzieht. Bis möglicherweise eine neue Generation im Jugendcampus heranwächst, wird es dauern.
Also wird man sich überlegen müssen: Was bieten wir einem Trainer? Was verlangen wir von ihm? Zu sagen, das Champions-League-Halbfinale ist das Mindeste, allerdings geben wird die Summen, die die anderen ausgeben, nicht aus – das wird nicht funktionieren.
Karl-Heinz Rummenigge hat bereits "aggressivere Transfers" angekündigt.
Geld schießt Tore. Wenn Neymar 250 Millionen gekostet hätte, hätte Paris halt das bezahlt. Denen ist das wurscht, weil das Geld da ist. Mit Neymar und dem, was er da noch nach Paris anzieht, ist Paris jetzt ein klarer Mitfavorit auf den Champions-League-Sieg. Wer sagt: "Das ist uns zu teuer", der wird die Besten nicht bekommen und hoffen, dass er jedes Mal einen Trüffel findet. Das wird aber in dieser gläsernen Fußballwelt immer schwieriger.
Und junge Spieler wie Dembélé müssen sich in München hinter Robben oder Ribery anstellen und gehen dann eben lieber zu einem Verein wie dem BVB, wo sie spielen. Aber wenn es Rummenigge um Aggressivität in Bezug auf die Transfersummen geht, wäre das ja eine Entscheidung. Man darf sich keinen Sand in die Augen streuen: Wenn du die Champions League gewinnen willst, brauchst du die besten Spieler.
Sind sich Hoeneß und Rummenigge da jetzt einig? Hoeneß sagt, es passe kein Blatt mehr zwischen die beiden.
Wenn sie sich nicht einig sind, dann wird es nicht funktionieren. Mit dem Glasperlenspiel nach dem Motto: "Jetzt nehme ich einen, dann darfst du einen", wirst du auf Dauer keinen Erfolg haben. Man wird eine Philosophie benennen und gemeinsam tragen müssen. Die kann lauten: "Wir machen es auf unsere Art, auch wenn der Preis dafür ist, dass wir die Champions League nicht mehr zu gewinnen."
Oder eben: "Es ist in unserer DNA, den größtmöglichen Erfolg zu haben, also müssen wir uns von unserer bisherigen Strategie, nicht jeden Wahnsinn mitzumachen, trennen." Welche Richtung es sein wird, ist für mich die spannende Frage des Jahres.
Zum Duell der beiden Philosophien kommt es nächste Woche auch im Rückspiel gegen Paris.
PSG wird ein Prestigespiel, das wird lustig. Die Bayern wollen zeigen, dass sie es besser können als in Paris und sich nicht noch einmal vermöbeln lassen. In der Meisterschaft wird es spannend. Aber da war der FC Bayern immer dafür bekannt, dass wenn es drauf ankommt, da zu sein.