FC Bayern: Julian Nagelsmann zwischen dem Ukraine-Schock und Angstgegner Frankfurt
München - Der Trainer der Bayern muss schlucken. Sichtlich bewegt, versucht Julian Nagelsmann, passende Worte zu finden, seine Emotionen zu kaschieren und seine Gedanken sinnvoll zu ordnen. Einer wie du und ich in diesen schrecklichen Tagen.
Freitagmittag, Säbener Straße. Da spricht der Mensch Julian, der eine Pressekonferenz abhält, die zu seinem Job gehört. Im Mikrokosmos Fußball, speziell zum Thema Spielvorbereitung auf den kommenden Gegner Eintracht Frankfurt. Im Makrokosmos Ukraine sterben währenddessen unschuldige Menschen. Im Krieg.
"Das lässt mich bestürzt zurück. Natürlich verurteile ich Krieg"
"Ich bin schockiert und auch ein Stück weit ängstlich, dass sowas passiert. In einem Land, in dem wir vor nicht allzu langer Zeit noch über den Platz gejoggt sind und uns die sehr schöne Stadt angeschaut haben", sagt Nagelsmann und denkt dabei an den 2:1-Erfolg seiner Bayern in der Champions League bei Dynamo Kiew vor rund drei Monaten am 23. November. "Jetzt sieht man die fürchterlichen Bilder aus der Ukraine. Das lässt mich bestürzt zurück. Natürlich verurteile ich Krieg."
Danach zitiert der Familienvater einen Spruch, den er im Laufe des gestrigen Tages aufgeschnappt hat: "Es gibt keinen Weg zum Frieden. Frieden ist der Weg. Das sollte schnellstmöglich wieder das Motto sein, so darf es nicht weitergehen."
Und doch muss es weitergehen. Ob mit der Bundesliga liegt nicht in Nagelsmanns Händen. Also macht er seinen Job, für viele Menschen aktuell eine schöne Ablenkung von der grausamen Realität.
Die Ablenkung heißt: Ein Spiel steht an, ein Fußballspiel. Eines, über das in Wochen oder Monaten niemand mehr die Begleitumstände diskutieren wird. Zumal beide Mannschaften irgendwie abschalten müssen. Tunnelblick grüner Rasen. Und zum Tunnelblick gehört immer die aktuelle Tabelle, ebenso die Vorgeschichte dieses Traditionsduells.
"Gegen Bayern ist die Gier noch mal größer"
"Wir haben sechs Punkte Vorsprung, damit sind wir zufrieden, aber es hätten auch mehr sein können. Wir wollen vermeiden, dass es weniger werden", erklärt Nagelsmann und verweist vor dem Auftritt beim Tabellenzehnten (18.30 Uhr live bei Sky und im AZ-Liveticker): "Deshalb ist es eine wichtige Aufgabe in Frankfurt. Dort ist es nicht einfach. Und gegen Bayern ist die Gier noch mal größer."
Die Gier der Adler vom Main haben die Münchner schon oft zu spüren bekommen - zuletzt in der Liga sogar zweimal hintereinander. Am 3. Oktober sorgten die Hessen mit Hero Kevin Trapp für einen aberwitzigen 2:1-Erfolg in der Allianz Arena, bei dem die Gastgeber absurd viele Chancen vergaben oder Torhüter Trapp zig Hände zu haben schien. Es war Nagelsmanns erste (von mittlerweile fünf) Pleite(n) als Bayern-Coach überhaupt. Und vor etwas mehr als einem Jahr, am 20. Februar 2021, verlor man unter Trainer Hansi Flick mit 1:2.
Damit sind die Frankfurter das einzige Team, gegen das die Bayern in den vergangenen beiden Aufeinandertreffen keine Punkte holen konnten. 1976 bis '77 gab es sogar drei Niederlagen in Serie gegen die SGE. Ein neuerliches Anti-Triple hätte höchsten Seltenheitswert. Erinnert sei an dieser Stelle auch an das 1:5 am 2. November 2019, dem letzten Spiel unter dem tags darauf geschassten Coach Niko Kovac.
"Sie haben klare Abläufe und eine gute Disziplin, dazu eine gute Galligkeit und Körperlichkeit", sagte Nagelsmann über die Eintracht anno 2022 und fügte hinzu: "Die Eintracht hat einen sehr, sehr guten Trainer." Dass er solch eine hohe Meinung seines Kollegen hat, hängt auch damit zusammen, dass er noch nie gegen Oliver Glasner gewinnen konnte. In fünf Duellen (zu dem in der Hinrunde gegen die Eintracht kommen vier Begegnungen zwischen Leipzig und Wolfsburg), in denen es vier Unentschieden gab.