Der FC Bayern patzt schon wieder: Alles reine Kopfsache?
München - Warten und Geduld sind keinesfalls ausgeprägte Stärken von Julian Nagelsmann, doch der Trainer des FC Bayern musste sich am Sonntagabend in der BayArena in beiden Disziplinen üben.
Schiedsrichter Tobias Stieler durfte bei allen TV-Stationen direkt vor Nagelsmann Auskunft geben, also befand sich der Coach in der Warteschleife. Während der Schiedsrichter erleichtert war, dass seine beiden Fehlentscheidungen durch den Eingriff des Video-Assistenten korrigiert wurden, stand Nagelsmann reichlich bedient da.
Dortmund profitiert von Bayern-Pleite und übernimmt Tabellenspitze
Das 1:2 in Leverkusen bedeutete nicht nur den Verlust der Tabellenführung an Borussia Dortmund, sondern war zugleich ein erneuter Rückfall in unstete Zeiten, die nach dem Weiterkommen in der Champions League gegen Paris Saint-Germain (1:0/2:0) abermals überwunden schienen.
"Wenig Power auf dem Feld", machte Nagelsmann als Grund für die "verdiente Niederlage" aus, er bemängelte: "Defensiv und offensiv hatten einige Spieler eine Null-Prozent-Quote." Ein vernichtendes Urteil des Fußball-Lehrers über seine Schüler, die nicht nur bei den drei Pflichtspiel-Pleiten in dieser Saison nicht so wollten, wie es ihr Vorgesetzter vorgab.
Bayern in Leverkusen: Instabilität und seltsame Launen
"Das hatten wir immer wieder mal", echauffierte sich der 35-Jährige, der zuletzt mantraartig den Schlüssel zum möglichen Triple als Wenn-Dann-Regel formulierte: "Wenn wir die maximale Gier und Emotionalität mit unserer Qualität paaren, dann sind wir sehr schwer zu schlagen, dann können wir alles erreichen." Doch wie in Leverkusen paaren die Hochbegnadeten des "besten Kaders der Vereinsgeschichte" (DFB-Rekordnationalspieler Lothar Matthäus) auch gerne Instabilität mit seltsamen Launen.
Salihamidzic: "Das war nicht das, was Bayern München bedeutet"
Alles reine Kopfsache? Intensität und Emotionalität verkörperten in Leverkusen lediglich die Bosse. Vorstandsboss Oliver Kahn schimpfte auf der Tribüne vor sich hin, Sportvorstand Hasan Salihamidzic in den Katakomben vor den Mikrofonen: "Das war nicht das, was Bayern München bedeutet. Wir haben alles vermissen lassen, haben uns von einer Mannschaft, die am Donnerstag (in der Europa League in Budapest, Anm. d. Red.) noch gespielt hat, überrennen lassen. Bayer war in allen Belangen besser."
Salihamidzic: "So wenig Durchsetzungsvermögen habe ich selten erlebt"
Aber wie kann das sein? Machte sich Zufriedenheit nach dem Erfolg gegen PSG breit? Beschäftigt die Mannschaft das anstehende Viertelfinal-Duell der Königsklasse mit Manchester City und deren Trainer Pep Guardiola mehr als der Alltag Bundesliga und die mögliche elfte Meisterschaft in Folge?
Bei seiner Analyse, vorgetragen mit zusammengekniffenen Lippen, schaute Salihamidzic durch die Reporter hindurch und zählte auf: "So wenig Antrieb, so wenig Mentalität, so wenig Zweikampfführung, so wenig Durchsetzungsvermögen habe ich selten erlebt. Diese Mannschaft ist so gut, wenn sie von Anfang an eine Mentalität hat und 100 Prozent geht. Und sie ist nicht gut, wenn sie träge ist und denkt, dass sie mit der spielerischen Qualität alles erledigen kann. Das kann sie einfach nicht."
Es ist eine Frage des Wollens, der Einstellung - also der Mentalität. Eine Debatte, die man in den letzten Jahren stets amüsiert aus der Ferne beobachtete, weil sich der BVB daran zerrieb. Keine Mentalität, keine Konstanz, keine Schale.
Ausgerechnet gegen den BVB: Musiala fällt mit Muskelfaserriss aus
Nun hat Bayern neben der Suche nach dem Kabinen-Maulwurf, der den Medien taktische Interna zuspielte, auch noch die Mentalitätsdebatte am Hals - und ist plötzlich in der Verfolgerrolle.
Am 1. April fällt in München beim Meister-Showdown womöglich eine Vorentscheidung - für den BVB, der bei einem Sieg vier Punkte voraus wäre. Erschwerend kommt hinzu: Den Bayern fehlt im deutschen Clásico Jamal Musiala wegen eines Muskelfaserrisses - und damit ihr größtes Pfund an spielerischer Qualität.