Der AZ-Fangipfel: Rivalen im Stadion

München - Eigentlich ist 20.30 Uhr als Treffpunkt ausgemacht, doch daran hält sich niemand – im Gegenteil. Die Bayern-Fans sind bereits eine halbe Stunde zu früh da, die BVB-Anhänger kommen nur wenige Minuten später. Denn das, worüber an diesem Abend diskutiert werden soll, ist für die Beteiligten wichtig: Es geht um das DFB-Pokalfinale. Bayern gegen Dortmund, das ist rot-weiß gegen schwarz-gelb, das ist die deutsche Auflage des Clasico, das ist Pep gegen Klopp, das ist so viel mehr als ein normales Fußballspiel. Die AZ hat aus diesem Grund vor der Partie, die ganz Fußball-Deutschland elektrisiert wie keine andere Begegnung, zum großen Fangipfel geladen.
Wir gehen in Münchens bekannteste Fußballkneipe, ins „Stadion an der Schleißheimer Straße“. Um mit sechs Fans der spannenden Frage nachzuspüren: Was genau macht eigentlich den Reiz dieser Spiel-Konstellation aus? Denn, das ist klar, die Partie wird eine Quote erzielen, von der Formate wie „Wetten Dass…“ und „Deutschland sucht den Superstar“ heute nur noch träumen können.
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Die Dortmunder sitzen auf der linken Seite, die Bayern gegenüber. Kurzes beschnuppern, dann geht es los. „Hier ist es ja wie in Berlin im Stadion. Nur dass die Stimmung erfahrungsgemäß bei uns immer deutlich besser ist“, sagen Tim Otte, Oliver Pflug und Didi Berndt vom Fanclub „Unsernherrn Borussia“ und lachen. Konter der Gegenseite: „So toll ist sie auch nicht immer. Vor allem wird sie euch am Samstag nichts bringen, wenn wir den Pokal in den Händen haben.“ Ironisches Augenrollen gegenüber. „Für die gute Stimmung kannst du dir zwar nichts kaufen, das stimmt. Aber eure Pokale könnt ihr auch nicht mit ins Grab nehmen!“
Okay, die beiden Parteien kommen auf Betriebstemperatur und sticheln um die Wette. Man spürt: Da sind in den vergangenen Jahren zwei ziemlich beste Feinde herangewachsen.
Der Fanklub „Unsernherrn Borussia“ kommt aus Ingolstadt, wurde dort 2012 gegründet – wenn auch mit leichten Problemen. „Wir wollten uns unbedingt am 19.09. um 19.09 Uhr gründen, nach dem Gründungsjahr der Borussia. Doch wir hatten noch keinen guten Namen für den Fanclub und einer der Gründungsmitglieder war auch noch im Urlaub. So mussten wir dann eine Videokonferenz führen und Vollmachten unterschreiben, dass es auch wirklich an dem Datum klappte.“ Heute sind es 67 Mitglieder, „bald werden es wohl hundert sein. Wir sind total gemischt, vom Schüler bis zum Manager. Und die meisten Fans von uns kommen aus dem Umland, also aus Bayern.“
Ein Dortmund-Fanclub in Bayern? „Gutheißen können wir das natürlich nicht“, sagen die Roten. „Aber es ist umgekehrt ja auch so. Also keine Sorge: Es ist alles legal, die bayrische Verfassung kann euch nichts!“ Gelächter.
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Auch der Bayern-Fanclub ist noch ziemlich frisch gegründet. Mittlerweile zählt „Division 1900“ rund 50 Mitglieder, Tendenz steigend, erklären Stefan Heubeck, Florian Weiss und Marcus Meixner.
Es bleibt die Frage: Warum gibt es urplötzlich eine so große Rivalität zwischen Bayern und Dortmund? Warum geht es auch am Samstag um so viel mehr als den sechs Kilogramm schweren Pott aus feuer-vergoldetem Sterlingsilber? „Die Rivalität zwischen Bayern und Dortmund ist in den letzten Jahren deutlich größer geworden", finden auch die Bayern-Fans. Zustimmung: „Der Underdog ist halt ziemlich groß geworden. Ich muss ja selbst sagen: Eigentlich ist der gemeine Borussia-Fan schalkebedingt mehr gegen Blau eingestellt, das wäre in München also der TSV 1860. Aber ich hasse den FC Bayern noch deutlich mehr, das muss ich ehrlich sagen. Es muss jedoch immer fair bleiben – es gibt auch immer wieder nette Fans.“
Die Bayern nehmen einen großen Schluck aus ihrem Glas, entgegnen: „Nach euren zwei Meisterschaften ist das Verhalten vieler Dortmunder wirklich schlimmer geworden. Aber ich erinnere mich nur zu gerne an den Flug zurück aus Wembley nach unserem Champions-League-Sieg: Das ganze Flugzeug war besetzt mit Bayern-Fans. Nur zwei Dortmunder waren auch darin. Ich mach's kurz: Das war der schlimmste Rückflug ihres Lebens.“ Die Borussen bestellen, na klar, Currywurst mit Pommes. „Die heißt hier ja sogar Ruhrpott-Currywurst“, sagen sie, „klasse.“ Die Bayern bleiben bei Weißbier.
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Rund eine Stunde dauert es, immerhin. Dann kommt das Thema, das aktuell ebenso so häufig diskutiert wie das Duell auf dem Rasen. Das Thema Uli Hoeneß. Es wird laut am Tisch, sogar emotional, die Regeln der Kommunikation greifen nicht mehr. Bayern-Fan Stefan Heubeck, der bereits ein FCB-Tattoo im Meisterschalen-Format auf dem Rücken trägt, kündigt an: „Ich werde mir ein Tattoo stechen lassen, das Uli Hoeneß zeigt, wie er einen Paragraphen durchbricht. Und zwar ganz groß.“ Erstaunte Dortmunder Gesichter. Verständnis? Nun ja, eher große Zurückhaltung.
Jedenfalls sind sich die Bayern sicher: „Uli kommt zurück, ganz sicher.“ Kopfschütteln auf der Gegenseite. „Der soll erstmal lernen, wie das Leben im Knast ist.“
Dennoch: Die Atmosphäre am Abend ist und bleibt freundschaftlich. Die Bayern? Sind von Optimismus nicht gerade gesegnet, was den Ausgang des Finals angeht. Alle drei Fans tippen auf Borussia. „Der BVB ist Favorit“, sagen sie. „Für sie spricht einfach das Momentum. Guardiola hat es auch einfach nicht geschafft, die Spannung nach der feststehenden Meisterschaft hochzuhalten. Er hat der Mannschaft eine komplett falsche Einstellung mit auf den Weg gegeben.“
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Auch die Borussen tippen allesamt auf ihre Mannschaft. Ergibt ein 6:0. Eindeutig. „So wird's dann hoffentlich nicht kommen“, meinen die Roten. „Aber wenn Bayern das Finale verlieren sollte, war es eine Saison zum Vergessen.“ – „Ach, was. Spinnt ihr?“, fragt der BVB–Fan – „Naja, ihr seid sowas ja nicht gewohnt.“
Dann werden Handynummern ausgetauscht. Die BVB-Fans treten ihre Heimfahrt nach Ingolstadt an, die Bayern-Anhänger bleiben noch sitzen. Es ist spät geworden. Sie wollen in Kontakt bleiben. „Einer wird sich wohl mal melden“, sagen sie. Wahrscheinlich schon direkt nach Abpfiff.