Analyse: Probleme, Gegentreffer zu verarbeiten

Eine Stunde lang brilliert das Guardiola-Team gegen Juventus Turin – und bricht dann ein. „Wir haben sie eingeladen zu Gegentoren“, sagt Kapitän Lahm. Woran lag der Leistungsabfall ab Minute 60?
von  Patrick Strasser
Jubelnde Bayern: 60 Minuten lief gegen Turin alles nach Plan.
Jubelnde Bayern: 60 Minuten lief gegen Turin alles nach Plan. © dpa

Turin – Pep Guardiola verstand die Welt nicht mehr. Da musste wohl eine Sinnestäuschung vorliegen oder gar eine völlige Verzerrung der Tatsachen. Als der Bayern-Trainer von einem italienischen Reporter nach dem 2:2 im Champions-League-Achtelfinale bei Juventus Turin, einem wirklich ansehnlichen Spiel mit zwei ganz und gar unterschiedlichen Phasen, auf die angeblich mangelhafte körperliche Verfassung seiner Spieler gegen Ende angesprochen wurde, verlor der Spanier die Fassung.

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„Ich weiß, dass in Italien die Fitness für das Wichtigste im Fußball gehalten wird“, raunzte er abfällig, „aber ich gebe einen Dreck auf die körperliche Verfassung. Für mich ist es die Mentalität, die zählt.“ Seine, in diesem Punkt nachvollziehbare Erklärung: „Meiner Meinung nach ändert die Kondition nichts, wenn wir von einer Eins-gegen-eins-Situation sprechen. Wenn man einen Treffer kassiert, ist es die Einstellung, die entscheidend ist.“

Und die Größe der Aufgabe, des Gegners. „Wir haben nicht gegen eine Dorfmannschaft gespielt. Sie waren letztes Jahr im Endspiel der Champions League und sind vier Mal in Folge italienischer Meister geworden.“ Basta. Weitere Fragen? Natürlich.

 

Probleme, Gegentreffer zu verarbeiten

 

Nach dem plötzlichen Konzentrations- und Leistungsabfall bei 2:0-Führung ab der 60. Minute. Für Guardiola kein Thema, zumindest nicht im Interview vor deutschen Kameras. „Wir haben nicht nur 60, sondern 90 Minuten wahnsinnig gut gespielt.“ So, so. Mit Worten ist der Spanier Bayerns größter Verteidigungsminister, auf dem Platz lässt er angreifen.

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Auf Italienisch antwortete er, der beim AS Rom und in Brescia gespielt hatte, ausführlicher: „Nachdem man ein Tor erzielt hat, ist die Mannschaft obenauf. Wenn man aber einen Gegentreffer bekommt, muss man mit der Situation in den darauffolgenden Minuten einfach clever umgehen. In der Vergangenheit ist es uns häufig passiert, dass wir Probleme hatten, Gegentreffer zu verarbeiten.“

Recht hat er. Nach dem 1:2 wurde aus Überlegenheit Unsicherheit, aus Souveränität Leichtfertigkeit. Die Bayern zeigten ihr anderes, ihr verwundbares Gesicht. Zum Todesstoß für Juve setzte man nicht an.

 

Gift für die Bayern: Unvorhergesehenes

 

Es ist die alte Kinderkrankheit im Spiel der Pep-Bayern. Man ist dem Gegner überlegen, zwingt ihm sogar auswärts sein überragendes Ballbesitz-Spiel auf – und fällt dann plötzlich auseinander. Und das immer dann, wenn Unvorhergesehenes passiert, wenn Emotionalität ins Spiel kommt.

„Wir haben sie eingeladen zu Gegentoren“, analysierte Kapitän Philipp Lahm, „dann kommt das Publikum, man spielt auswärts, das ist dann nicht so einfach.“ Verlust der Ordnung, schnelle Gegentore – so war es auch Anfang Dezember beim 1:3 in Mönchengladbach oder letzte Saison in der Königsklasse, beide Male auswärts. Das 1:3 in Porto kam auf diese Art zustande, ebenfalls das im Rückspiel nicht mehr zu übertrumpfende 0:3 in Barcelona.

 

Ausgangslage: "Ordentlich bis gut"

 

Das 2:2 sei „ein sehr, sehr gutes Ergebnis, das uns die Tür für die Qualifikation zum Viertelfinale sehr weit offen hält“, betonte Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge bei seiner Rede auf dem Mitternachtsbankett vor rund 400 Edelfans. Die Spieler waren nicht so zufrieden wie ihr Boss.

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Thomas Müller, der Vollstrecker des 1:0, formulierte es auf seine Art und Weise: „Das ist ein leicht positives Ergebnis fürs Rückspiel. Ordentlich bis gut.“ Weil auch ein 0:0 oder 1:1 zum Weiterkommen reicht am 16. März in der Allianz Arena. Und Arjen Robben, der Torschütze zum 2:0, schimpfte: „Man muss das Spiel dann zumachen. Wir müssen so spielen wie die ersten 60 Minuten – nur 30 Minuten länger.“ Fit sind sie ja. Körper und Beine. In drei Wochen sollen aus den fast perfekten wirklich perfekte Bayern werden.

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