Dieter Hildebrandt: Der bundesdeutsche Kabarettist
Er war der bedeutendste politische Kabarettist des Landes: Am Mittwochmorgen ist Dieter Hildebrandt in einer Münchner Klinik gestorben – die Stationen seines Lebens und seiner Karriere
München - Im Dezember wollte er sich von seinem Publikum verabschieden – auf der Bühne des Kabaretts, das es ohne ihn nicht geben würde: der Lach- und Schießgesellschaft. Durch sechs Jahrzehnte hat Dieter Hildebrandt die Bundesrepublik begleitet. Hat als Deutschlands bedeutendster politischer Kabarettist den Mächtigen auf die Finger geschlagen. Mit dieser Hildebrandt-Sprache, die ihre Schärfe im absichtslos Verstolperten tarnte. Im Sommer hatte Hildebrandt die Diagnose Prostatakrebs bekommen. Am Dienstag machte er seine Krankheit öffentlich. Am Mittwochmorgen ist Dieter Hildebrandt in einer Klinik in München gestorben.
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Am 23. Mai 1927 wird Hildebrandt im schlesischen Bunzlau geboren. Bis heute kennt man das Städtchen am Fuße des Riesengebirges durch das Bunzlauer Geschirr. Dieter ist acht Jahre, als die Familie einen Bauernhof kauft. Kurz vor Kriegsende wird Hildebrandt als Flakhelfer eingezogen. Am 8. Mai 1945 kommt er in amerikanische Kriegsgefangenschaft in Gardelegen bei Wolfsburg. Nach der raschen Entlassung findet er die aus Schlesien vertriebene Familie im oberpfälzischen Windischeschenbach wieder. 2007 taucht eine Mitgliederkarteikarte der NSDAP auf. Im AZ-Interview weist Hildebrandt das empört von sich: „Da würde ich gerne einmal meine Unterschrift sehen.“ Historiker halten es für wahrscheinlich, dass es Parteibeitritte ohne Wissen gab.
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1947 schreibt Hildebrandt Abitur im oberpfälzischen Weiden. Mit einem Trick, der ihm zwei weitere Schuljahre spart: Er behauptet, in Schlesien schon die 8. Klasse besucht zu haben. Drei Jahre später beginnt er ein Studium der Literatur- und Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Ziel Hildebrandts ist die Bühne. Die Falckenberg-Schule will ihn nicht. Er nimmt privat Schauspielunterricht. Ein Job als Platzanweiser im Theater Die kleine Freiheit in der Maximilianstraße bringt ihn den großen Namen nahe. Erich Kästner ist hier Hauptautor. Nach einer Übergangszeit in der Gruppe Die Seminarren gründet Hildebrandt mit Studienkollegen Die Namenlosen. Am 3. November 1955 hat ihr drittes Programm im Stachelschwein in der Ursulastraße 9 Premiere.
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Ein Jahr später gründen Hildebrandt und Sportreporter Sammy Drechsel hier die Lach- und Schießgesellschaft. Ursula Herking, Klaus Havenstein und Hans Jürgen Diedrich gehören zur Erstbesetzung. Im selben Jahr heiratet Hildebrandt Irene Medler. 1972 kommt das vorläufige Ende der Gruppe. Willy Brandt ist Bundeskanzler, politisches Kabarett in einer Sinnkrise. Fünf Jahre später wird Hildebrandt für die Lach- und Schießgesellschaft wieder Texte schreiben. Zur Marke aber wird er ab 1974 zusammen mit Werner Schneyder. Das größte Erlebnis der beiden wird 1985 ein DDR-Gastspiel in Leipzig. Seine Ehefrau Irene stirbt im August des selben Jahres an Krebs. Es ist die Zeit, in der Hildebrandt mit der Bildermacht des Fernsehens zum bundesdeutschen Kabarettisten wird. Zwischen 1973 und 1979 werden im ZDF seine „Notizen aus der Provinz“ ausgestrahlt.
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1980 wechselt Hildebrandt zur ARD. Der „Scheibenwischer“ wird bis 2008 laufen. Am 22. Mai 1986 blendet sich der BR bei einer Sendung zur Katastrophe in Tschernobyl aus dem Programm aus. 2009 untersagt Hildebrandt dem Nachfolger Mathias Richling, den Titel weiterzuverwenden. Grund sind Streitigkeiten um geplante Auftritte von Comedians. 1992 heiratet Hildebrandt Renate Küster. „Ich komme nicht aus dem Ruhestand zurück, ich hatte noch überhaupt keinen“, erzählt er 2010 der Abendzeitung. Kurz zuvor hatte er offen über seine Alkoholprobleme gesprochen, die er zu diesem Zeitpunkt schon überwunden hatte: „Apfelsaft sieht ja fast aus wie Wein.“ Ab 2010 war Hildebrandt wieder mit seinem Solo-Programm „Ich kann doch nichts dafür“ unterwegs. Vor der Lach- und Schießgesellschaft stehen Münchner Schlange wie sonst vor dem Apple-Store. Abseits des Fernsehgeschäfts engagierte er sich bei stoersender.tv, einem über Crowdfunding finanzierten Internetprogramm. Am 28. März diesen Jahres wurde die erste Episode mit Hildebrandt online gestellt. chj