Wie voll ist Streikkasse der GDL? Wie lange sich die Gewerkschaft den Arbeitskampf noch leisten kann
Berlin - Wie prall die Kassen der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) gefüllt sind, ist wie bei jeder Gewerkschaft ein gut gehütetes Geheimnis. Schließlich will sich keiner in die Karten schauen lassen. Auf die Nachfrage der AZ, wie lange die GDL den Streik fortführen kann, zeigt sich die Gewerkschaft selbstbewusst: "Wir haben einen langen Atem. Die Lernkurve der DB ist noch geringer als gedacht, wenn sie darauf hofft, dass uns die Puste ausgeht. Das wird nicht geschehen", sagt ein Sprecher.
Experte aus München erklärt, wie lange der GDL-Streik noch gehen könnte
"Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass die GDL teilweise Tarifauseinandersetzungen hatte, die fast ein Jahr gelaufen sind. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es wieder so lange geht", sagt Gunther Friedl, Ökonom und Professor an der Technischen Universität München, der AZ. Es sei möglich, dass die Auseinandersetzung noch mehrere Monate dauere.
Die GDL gilt als eine der solventesten Arbeitnehmervertretungen. Denn dadurch, dass die Gewerkschaft vor der Privatisierung der Bahn für Beamte eintrat, füllte sich zwar die Kasse durch Mitgliedsbeiträge, wurde aber nicht durch Streikgelder belastet. Denn Beamte dürfen die Arbeit nicht niederlegen. Es ist also von einer gewissen Reserve auszugehen. Wie stark diese in vergangenen Tarifkonflikten aufgezehrt wurde, ist wie ihre Höhe unbekannt.
Bahn-Streik legt Deutschland lahm: Wie voll ist die Kasse der GDL?
Das "Handelsblatt" hatte beim letzten GDL-Streik 2021 eine Rechnung aufgestellt, wie stark die Kasse belastet sein könnte. Für den laufenden Konflikt würde das folgendermaßen aussehen: Sollte die GDL wie geplant bis Montag streiken, wären das insgesamt bereits elf Tage. An denen muss die Gewerkschaft Streikgeld bezahlen – zehn Euro die Stunde. Da der aktuelle Arbeitskampf bereits der zweite ist, gilt eine Obergrenze von 100 statt 75 Euro pro Tag. Wie viele Lokführer sich gerade an den Streiks beteiligen, können jedoch weder GDL noch die Deutsche Bahn auf Anfrage beantworten. Die Gewerkschaft verweist allerdings auf die hohe Zustimmung (97 Prozent) bei der Urabstimmung im Dezember, die eine hohe Streikbereitschaft belege.
Im längsten GDL-Streik 2014/2015 waren es gegen Ende des Arbeitskampfes etwa 8500 Mitarbeiter – von damals insgesamt über 15.000 GDL-Mitgliedern, also mehr als die Hälfte. Heute sind beinahe 40.000 Menschen in der Gewerkschaft organisiert. Rechnet man mit einer Beteiligung von etwa einem Drittel der Mitarbeiter, müsste die GDL für bislang elf Tage Arbeitskampf 14,7 Millionen Euro Streikgeld zahlen – wobei die Dachgewerkschaft Deutscher Beamtenbund (DBB) etwa die Hälfte übernehmen würde. Seit dem letzten Streik dürften in der Kasse etwa 3,6 Millionen Euro durch Mitgliedsbeiträge hinzugekommen sein – ausgehend von der Berechnungsmethode des "Handelsblatts". Die aktuellen Kosten können demnach nicht mit den Beiträgen aus den letzten Jahren gedeckt werden. Die große Frage bleibt also: Wie hoch sind die Reserven der GDL wirklich.
Der Streik bedeutet für die Deutsche Bahn einen hohen wirtschaftlichen Schaden
Doch auch die DB kann nicht unbegrenzt in Belagerungsstellung ausharren. Eine Bahnsprecherin sagt auf Anfrage der AZ, dass jeder Streiktag einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag koste. Selbst wenn man nur von einem Schaden von zehn Millionen Euro pro Tag ausgeht, wären inklusive der Warnstreiks bislang mindestens 100 Millionen Euro Schaden entstanden. "Von 52 Wochen fallen für fast eine Woche die Umsätze weg. Das tut der Bahn erheblich weh", sagt Ökonom Friedl. Die Forderungen der GDL umzusetzen, wäre hingegen ebenfalls eine "erhebliche Mehrbelastung". "Für die DB geht es darum, dass in ihrer Kostenstruktur die Personalkosten einen erheblichen Anteil ausmachen und wenn die deutlich steigen, bedeutet das letztendlich Preiserhöhungen, weil man nicht alles durch Produktivitätssteigerungen auffangen kann."
In jedem Fall wird es also für die Bahn teurer. Dabei ist sie ohnehin schon mit über 30 Milliarden Euro hoch verschuldet. Und die GDL will weiter den Druck erhöhen: "Wir hoffen, die DB mit längeren und härteren Streiks zum Einlenken zu bewegen", sagt ein Sprecher. Ob es zu einem unbefristeten Streik komme, will die Gewerkschaft weder verneinen noch bejahen. Zwar kündigte GDL-Chef Claus Weselsky nach der Urabstimmung im Dezember an, nicht unbefristet streiken zu wollen. Aber mit dem derzeitigen Arbeitskampf wird schon die Ankündigung, dass Streiks maximal fünf Tage dauern sollen, nicht eingehalten.
Einzelne Unternehmen wie Lufthansa und Sixt profitieren vom Lokführer-Streik
"Wenn es dazu käme, wären die wirtschaftlichen Auswirkungen immens: Die ganze deutsche Wirtschaft müsste sich darauf einstellen, dass die Bahn kein zuverlässiges Verkehrsmittel mehr ist", sagt Wirtschaftsprofessor Friedl. Ein eintägiger bundesweiter Bahnstreik kostet etwa 100 Millionen Euro am Tag an Wirtschaftsleistung, teilt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW Köln) mit. Diesen Wert hält auch Friedl für vernünftig: "Je länger der Streik dauert, umso teurer ist es. Am Anfang merkt man im Güterverkehr die Durchbrechung der Lieferketten noch nicht so. Wenn aber sechs Tage keine Güter mehr geliefert werden können, können die Gewerke nicht mehr produzieren und der wirtschaftliche Schaden frisst sich in der ganzen Wertschöpfungskette durch."
40 Prozent des Schienengüterverkehrs laufen laut dem Verband Die Güterbahnen über die DB Cargo. Auch die Pendler, die ihre Arbeit nicht an den Stellen verrichten können, wo sie gebraucht werden, schadeten der Wirtschaft. Einzelne Unternehmen wie Lufthansa oder der Autovermieter Sixt würden Friedl zufolge zwar profitieren, aber der Schaden sei in Summe deutlich größer. Der Druck auf die DB und GDL, wieder Verhandlungen aufzunehmen, steigt. Die Frage ist nur, wer zuerst blinzelt.