"Wäre politische Selbstvernichtung": Politikexperte zum Chaos bei den Demokraten nach Biden-Rückzug

Biden wirft das Handtuch. Jetzt müssen sich auch deutsche Politiker auf einen neuen US-Präsidenten einstellen. Experten aus München erklären, wie es nun weitergeht.
Alexander Spöri,
Heidi Geyer |
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Olaf Scholz und Kamala Harris schütteln bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar Hände.
Olaf Scholz und Kamala Harris schütteln bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar Hände. © Sven Hoppe/dpa

München – Der Rückzug des amtierenden Präsidenten Joe Biden aus dem laufenden US-Wahlkampf hält auch die deutsche Politik in Atem. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht von einer Entscheidung, die Anerkennung verdiene. "Mein Freund Joe Biden hat viel erreicht: für sein Land, für Europa, die Welt", schreibt der Regierungschef auf dem Kurzbotschaftendienst X.

Söder steht weiterhin zur bayerisch-amerikanischen Freundschaft

Auch die Opposition meldete sich zu Wort. CDU-Chef Friedrich Merz schreibt am Sonntagabend: "Joe Biden hat mehr als fünf Jahrzehnte lang dem amerikanischen Volk gedient. Seine heutige Entscheidung verdient größten Respekt."

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder richtet seinen Blick am Montag bereits in die Zukunft: Harris kenne Bayern gut und habe Söder schon öfters getroffen, schreibt der CSU-Chef auf X. "Wir stehen zum transatlantischen Bündnis und zur bayerisch-amerikanischen Freundschaft."

USA-Experte Josef Braml aus Bayern: Die Demokraten haben sich selbst geschadet

Ein Bild von der Stimmung in den USA hat sich Politikwissenschaftler Josef Braml aus Niederbayern gemacht. Letzte Woche reiste der Experte nach Chicago und war ebenso beim großen, alle vier Jahre stattfindenden Parteitag der Republikaner in Milwaukee dabei.

Seiner Analyse nach kam Joe Biden unter massiven Druck, weil seine Anhänger und den Demokraten nahestehende Medien der Partei insgesamt geschadet haben. Vorwürfe über Bidens geistige und körperliche Eignung hätten sie als Verschwörungstheorien abgestempelt, sagt Braml der AZ. Und das, obwohl der US-Präsident im TV-Wahlduell auf CNN gesundheitlich durchaus angeschlagen erschien.

Weiter befeuert wurde die Debatte um Bidens Wohlbefinden durch zwei Fehler. Den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nannte der Staatschef versehentlich Wladimir Putin und seine damalige Vize-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris wiederum "Trump".

Münchner Historiker fürchtet "Erdrutschsieg der Republikaner"

Der Historiker Michael Hochgeschwender von der LMU kommt zum Fazit, dass Biden in den vergangenen Tagen den Ernst der Lage wohl erkannt hat: "Es hat sich für ihn gezeigt, dass er die Wahl nicht mehr gewinnen kann. Inzwischen droht ein Erdrutschsieg der Republikaner", sagt der am Amerika-Institut in München forschende Experte.

Michael Hochgeschwender ist Historiker vom Amerika-Institut an der LMU forscht zum politischen Geschehen in den USA.
Michael Hochgeschwender ist Historiker vom Amerika-Institut an der LMU forscht zum politischen Geschehen in den USA. © LMU/privat

Darüber hinaus hätten – neben Abgeordneten und Senatoren – auch Geldgeber den Druck auf den Präsidenten weiter erhöht, so Braml. Spenden wichtiger Finanziers blieben zum Teil aus. "Offensichtlich haben es diese Großspender nunmehr geschafft, Präsident Joe Biden zum Rücktritt zu bewegen", meint Braml.

Mit Bidens Verzichtserklärung endet jetzt die monatelange Debatte um Bidens Gesundheitszustand. Die Diskussion wäre sonst immer weitergegangen, sagt Politikprofessor Werner Weidenfeld der AZ. "Dadurch sind große politische Zukunftsfragen verschwunden", sagt der Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung an der LMU.

Wird Kamala Harris jetzt Spitzenkandidatin? 

Der ganze Vorgang um Bidens Rückzug zeige die chaotische Konfliktlandschaft in den USA. Er geht nicht davon aus, dass die Demokraten sich noch einmal wüst um die Nominierung streiten werden: "Das wäre ein Hauch von politischer Selbstvernichtung."

Dass Trump wohl gegen eine Frau antritt, werde an dessen Strategie nichts ändern, meint Weidenfeld. "Da wird gedroschen!" Ob Harris' Pläne aber wirklich aufgehen? "Das sogenannte Harris-Dilemma umfasst niedrige Zustimmungsquoten der Vizepräsidentin – selbst unter Demokraten", sagt Braml.

Harris sei insgesamt in ihrer Amtszeit zu still geblieben und zu wenig sichtbar, findet Weidenfeld. "Sie hat kein populäres Thema, das sie an sich gebunden hat", sagt der Münchner Politologe Weidenfeld.

Große Herausforderung: Vizepräsidentin Harris muss beide Lager vereinen

Unklar sei daher, ob Harris das Ruder herumreißen könne, meint Hochgeschwender. Umfragen zeigen, dass die Vizepräsidentin noch unbeliebter als Joe Biden und Donald Trump ist. "Aber vermutlich wird sie zumindest die Spenden, die eingefroren waren, bekommen."

Ihre größte Herausforderung werde es, die verschiedenen Lager der Partei zu vereinen. Dabei werde sich die Politikerin schwertun – sie habe sich links von Biden positioniert. "Es hilft den Demokraten aber nicht, wenn sie in New York oder Kalifornien mit noch höherer Mehrheit gewinnen", sagt Hochgeschwender. Entscheidend seien stattdessen die "Swing States" (keiner Partei eindeutig zurechenbare Staaten, d. Red.) – darunter Georgia, Michigan, Arizona und North Carolina.

Hohe Millionensumme fließt direkt nach Verzichterklärung von Biden

Wie sich die Lage am Sonntagabend ruckartig veränderte, zeigt ein Bericht der "New York Times". Mehr als 50 Millionen US-Dollar flossen nach dem Rücktritt zu den Demokraten. Das sind etwa 11,5 Millionen Dollar pro Stunde in der Zeit unmittelbar danach. Davor waren es gerade einmal 200.000.

Herausfordernd ist auch, dass es bis zur US-Wahl nur noch knapp drei Monate sind. Genügend Zeit, um ein substanzielles Profil zu formen, bleibe nicht, so Braml. Außerdem könnte die Vizepräsidentin zur "Zielscheibe" der Republikaner werden, die eine schwarze Präsidentin verhindern wollen. "Dabei darf nicht vergessen werden, dass Rassismus in den USA noch immer ein ernstes Problem ist", sagt Braml.

Verteidigungspolitische Auswirkungen auf Deutschland

Sollte Harris an Momentum gewinnen und möglicherweise Trump im November schlagen, dann werde sich für Deutschland nicht viel verändern, meint Hochgeschwender. Die außenpolitische Linie der US-Demokraten sei eingefahren.

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Sorgen müsse man aber haben, wenn Trump siegt. "Dann wären wir in einer Situation, die verteidigungspolitisch große Probleme aufwirft", sagt Hochgeschwender. Weidenfeld stimmt nachdenklich, inwiefern sich Deutschland auf die USA noch verlassen könne. Mit Harris wäre in gewisser Weise angenehmer zu kalkulieren als mit Trump, aber dennoch: "Wir müssen selbst strategischer denken!"

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  • Bongo am 24.07.2024 15:40 Uhr / Bewertung:

    Antwort an DwT:
    Deine Antwort bzw. Aufklärung, wie der Präsident in den USA gewähltwird, hättest Du Dir sparen können, weil ich mich seit über 60 Jahren fürPolitik interessiere und das längst alles selber weiß.
    Meine (ironische) Meinung war, daß „die Wähler in den USA zu gegebener Zeit bei ihrer Wahlentscheidung die Wünsche von uns Deutschen sicherlich berücksichtigen werden“. Das wird halt dann der Fall sein, wenn sie die Wahlmänner wählen, gell!😁

  • Bongo am 23.07.2024 16:02 Uhr / Bewertung:

    Antwort an DwT:
    Danke, für den Hinweis! Gut, daß uns ein ehemaliger LKW-Fahrer aufklärt! Frage: Und wer wählt dann die Wahlmänner? 😀

  • Der wahre tscharlie am 24.07.2024 14:34 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Bongo

    " Und wer wählt dann die Wahlmänner? 😀"

    Ich merke schon, du hast meinen Kommentar überhaupt nicht verstanden, sonst würdest du nicht diese Frage stellen.
    Ein Zusatz-Hinweis meinerseits......einfach noch mal den letzten Satz meines Kommentars in Ruhe lesen.......

    Hilfweise auch dieser AZ-Artikel vom November 2016 >>>> https://www.abendzeitung-muenchen.de/politik/so-funktioniert-das-wahlsystem-in-den-usa-wahltag-wahlmaenner-amtseid-art-368259

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