Vor dem Parteikonvent: Ein Fingerzeig für die SPD

Am Sonntag tagt in Berlin der SPD-Konvent. Der kleine Parteitag muss zu Verhandlungen mit der Union „Ja“ sagen – sonst gibt es keine große Koalition. Hannelore Kraft macht den Weg frei.
Georg Thanscheidt |
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Balkon-Gespräche: Hannelore Kraft im Gespräch mit Alexander Dobrindt (l.) und Peter Ramsauer (2. v. l). Daneben Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (r.) und CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe.
AFP Balkon-Gespräche: Hannelore Kraft im Gespräch mit Alexander Dobrindt (l.) und Peter Ramsauer (2. v. l). Daneben Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (r.) und CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe.

Berlin - Die rote Dame kann gut mit den schwarzen Herren: Hannelore Kraft, NRW-Ministerpräsidentin und personifiziertes Sinnbild der Skepsis der SPD gegen eine große Koalition, scherzt mit CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt, reicht ihm die Hand – eine versöhnliche Geste nach dem nächtlichen Zoff bei den Sondierungsgesprächen. Dann machen sie und Verkehrsminister Peter Ramsauer mit dem Smartphone ein Bild von den wartenden Fotografen – die Merkel-Vertrauten Ronald Pofalla und Herrmann Gröhe stehen redend und schmunzelnd daneben. Kraft hebt den Finger und weist vom Balkon der Berliner Parlamentarischen Gesellschaft in die Ferne – zwei Stunden nach diesem Fingerzeig einigten sich die Spitzen der Union und der SPD auf die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen.

An diesem Wochenende muss die SPD nun die nächste große Hürde zur dritten großen Koalition in der Geschichte der Bundesrepublik nehmen: Auf einem Parteikonvent, einem kleinen Parteitag, beraten SPD-Delegierte aus der ganzen Republik ob und, wenn ja, unter welchen Bedingungen Koalitionverhandlungen mit der Union aufgenommen werden. Die SPD-Spitze rechnet dabei schon im Vorfeld mit einem „Ja“ der Delegierten.

Aus Oberbayern reisen drei Genossen in die Hauptstadt – unter ihnen, als einziger Münchner, das Vorstandsmitglied Roland Fischer. Er ist „sehr, sehr skeptisch“ – und diese Skepsis teilt er mit vielen Linken in der SPD und einigen mächtigen Landesverbänden. Bisher war Hannelore Kraft die Galionsfigur dieses Parteiflügels. Jetzt sagt sie: „Ich war skeptisch, ja, ich habe in der ersten und zweiten Sondierung nicht überall so viel Bewegung gesehen.“ Aber jetzt sehe sie einen Weg, und der müsse in Verhandlungen ausgelotet werden. „CDU und CSU wissen: Wir werden einen Koalitionsvertrag am Ende nicht unterschreiben, in dem kein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro steht.“

Das ist ein Fingerzeig – auch an die Union, aber vor allem an die eigene Partei: Seht her, auch ich war skeptisch, aber es kann gehen. Ein Wendemanöver, das Parteichef Sigmar Gabriel die Mehrheit der 200 Delegierten sichern könnte. Eine Mehrheit, von der hochgestellte Berliner SPD-Parlamentarier noch vor wenigen Wochen nicht überzeugt waren, ob es sie wirklich in ihrer Partei gibt. Zu tief saß das Trauma des schlechtesten SPD-Wahlergebnisses in der Geschichte der Bundesrepublik nach der Partnerschaft mit Merkels Union von 2005 bis 2009.

Lesen Sie hier: Münchner bei SPD-Parteikonvent : "Ich fürchte mich nicht vor Neuwahlen"

Das ist aber nur die erste Hürde, die genommen werden muss: Stimmt der Konvent zu, können zwar am kommenden Mittwoch Union und SPD offiziell Koalitionsverhandlungen aufnehmen. Über deren Ergebnis - genauer: Die Frage, ob sie unter diesen Voraussetzungen eine Koalition eingehen wollen – stimmen dann noch einmal alle 470000 SPD-Mitglieder ab. Der formal letzte Akt folgt dann voraussichtlich auf dem SPD-Parteitag in vier Wochen in Leipzig.

Viel hängt an den Landesverbänden. Einige – wie Niedersachsen – wollen sich am Samstag noch beraten, um eine Linie für den Konvent festzulegen. Andere – wie Brandenburg – sind für Gespräche mit der Union. Aber alle stellen inhaltliche Bedingungen – nur wenn diese erfüllt sind, wollen sie die Kröte „große Koalition“ schlucken.

Das größte Anliegen der Genossen: der Mindestlohn. Gut möglich, dass die Parteispitze für die vorgeschlagenen 8,50 Euro pro Stunde die Forderung nach Steuererhöhungen fallen lässt – wenn der Widerstand der Basis dagegen nicht zu groß ausfällt. Beim Betreuungsgeld waren Dobrindt und Kraft schon aneinander geraten – die SPD will es abschaffen, für die CSU ist es nicht verhandelbar. Denkbar wäre eine Klausel, nach der die Prämie nur in den Bundesländern ausgezahlt wird, die sich dafür aussprechen.

Und da wären noch die Personalien: Offiziell beteuern zwar beide Seiten, dass über Posten oder Ministerien noch nicht gesprochen worden sei. Trotzdem wird im politischen Berlin (und auch in München) diskutiert. Bleibt Peter Ramsauer Verkehrsminister? Der CSU-Politiker würde gerne im Amt bleiben. Seehofer lästert zwar gern über „Ramses“, aber dessen hervorragendes Erststimmen-Ergebnis hat ihm den Rücken gestärkt.

Das nützt ihm aber nichts, wenn Sigmar Gabriel nicht nur Vizekanzler, sondern auch noch „Infrastrukturminister“ wird. Angeblich liebäugelt der SPD-Politiker mit einem solchen neuen Wirtschaftsministerium, das auch noch für weitere Themen des bisherigen Umwelt- und auch des Verkehrsressorts zuständig wäre.

Sollte das Verbraucherministerium eine CSU-Domäne bleiben, könnte Gerda Hasselfeldt die Aigner-Nachfolge antreten. Aber auch Alexander Dobrindt wurde angeblich ein Ministerposten in Berlin versprochen – es muss ja nicht gleich das Außenministerium sein. Auch wenn die SPD auf das Amt keinen Wert legt, weil sie lieber den Finanz- und den Arbeitsminister stellen möchte.

Ein Name taucht bei keinem dieser Gerüchte auf: Hannelore Kraft. Die 52-Jährige beteuert auf Nachfrage stets, sie stehe beim Wähler in NRW im Wort – also mindestens bis 2017.

 

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