Schneechaos in München nur Spitze des Eisbergs: Bei der Bahn geht es einfach drunter und drüber

Pünktlichkeit, Service, Sanierung und Co. – die Deutsche Bahn plagen hartnäckige Probleme. Der Schienenkonzern müht sich, doch teilweise regieren Unvermögen und Chaos.
Christian Grimm |
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Bei der Bahn läuft vieles nicht rund – nicht nur wegen des Wetters.
Bei der Bahn läuft vieles nicht rund – nicht nur wegen des Wetters. © picture alliance/dpa

Berlin - Zu ihrer Eisenbahn pflegen die Deutschen eine Hassliebe. Sie steigen einerseits in Massen in die Züge und bescheren ihr Passagierrekorde, klagen und meckern aber andererseits, als gleiche jede Fahrt einem Höllentrip. Als Petrus am Anfang der Adventszeit dem Süden der Republik einen halben Meter Schnee schenkte (Überraschung!), gewann der Hass die Oberhand. Der Münchner Hauptbahnhof war mehrere Tage nicht erreichbar, die Bahn ergab sich dem Wetter. Die Kapitulation vor dem Schnee steht am Ende eines katastrophalen Jahres für den Staatskonzern. Die fünf großen Probleme:

1. Die Pünktlichkeit 

Den Fahrplan einzuhalten, ist das höchste Ziel eines jeden Verkehrsunternehmens. Zu Jahresbeginn hatte sich die Bahn einen bescheidenen Wert gesetzt. Nur jeder dritte Zug im Fernverkehr sollte zu spät kommen, 70 Prozent auf die Minute im Bahnhof einlaufen. Wobei das nicht ganz stimmt. Die Bahn genehmigt einen Sicherheitspuffer von sechs Minuten. Kommt ein Zug mit fünf Minuten Verzögerung, gilt er noch als pünktlich. Da sich das Jahr zu Ende neigt, fällt die Bilanz niederschmetternd aus. Im November kam jeder zweite Zug im Fernverkehr zu spät, wie die Bahn mitteilte. In den ersten zehn Monaten davor lag die Pünktlichkeit bei ICEs und ICs bei 66 Prozent.

Für Dezember liegt naturgemäß noch kein abschließender Wert vor. "Von unseren eigenen Ansprüchen sind wir derzeit weit entfernt", sagte Bahnchef Richard Lutz. Allerdings stammt das Zitat von Ende 2022. Seinerzeit hatte er sogar eine Pünktlichkeit von deutlich über 70 Prozent angestrebt. Ziel eindeutig verfehlt. Der Hauptgrund für die Bummelei auf den Gleisen sind die Baustellen. Zeitweise wurde am Netz an doppelt so vielen Stellen geschraubt und gehämmert, wie es ein flüssiger Betrieb erlaubt. Im Nahverkehr sieht es hingegen deutlich besser aus. Neun von zehn Zügen kommen nach Angaben der Bahn in der Zeit.

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2. Das Schienennetz

Der Kern allen Übels bei der Bahn sind die maroden Gleise. 25 Jahre wurde die Bahn gestutzt und verkleinert. Das Autoland Deutschland investierte primär in seine Autobahnen und Straßen. Interessant wurde die Bahn eigentlich erst wieder, als sie als Instrument für den Klimaschutz entdeckt wurde. Doch die Trendwende ist kein Unterfangen von einem Jahr, sondern einem Jahrzehnt.

"Jetzt ist mehr als deutlich erkennbar, dass für die Schienen-Infrastruktur über die letzten Jahrzehnte nicht genug Geld von den Bundesregierungen zur Verfügung gestellt wurde", sagt der Chef der Eisenbahnergewerkschaft, Martin Burkert, der AZ. Er warnte davor, die bis 2030 zugesagten Summen nach dem jüngsten Urteil des Verfassungsgerichts zu den Staatsfinanzen infrage zu stellen. Dass mehr Geld erforderlich ist, zeigt der europäische Vergleich. Während die Schweiz in ihre vorbildliche Bahn umgerechnet 450 Euro pro Kopf investiert, Österreich immerhin 319 Euro, sind es in Deutschland nur 114 Euro.

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3. Der Service

Neben der Unpünktlichkeit ein Dauerproblem der Bahn. Wenig ärgert Reisende mehr, wenn sie wegen einer Verspätung einen Anschluss verpassen und dann damit allein gelassen werden, wie und wo es weitergeht. In einer Umfrage der Meinungsforscher des Allensbach-Instituts vom Oktober gaben nur 16 Prozent der Befragten an, die Bahn mit gutem Service zu verbinden. Es sind nicht nur fehlende Informationen bei Verspätungen, sondern auch abgesperrte Toiletten und geschlossene Bordbistros, die die Passagiere aufregen. Einer, der wie wenige über die Servicequalität bei der Bahn sprechen können, ist Karl-Peter Naumann, Ehrenvorsitzender des Fahrgastverbandes Pro Bahn.

"Mit der Bahn-App gibt es eine deutliche Verbesserung bei den Informationen über Verspätungen und neue Anschlüsse. Leider ist sie nicht immer zuverlässig", sagt Naumann. Man erreicht ihn im Zug auf dem platten Land, die Telefonverbindung wird immer wieder unterbrochen. Das Problem mit der App sei die fehlende Schnittstelle zwischen den Fahrdienstleitern und dem Programm. "Nicht alles kann die App automatisch." Zufrieden ist der Vielfahrer Naumann mit der Sauberkeit der Züge ("relativ sauber"), deutlich besser müsse die Bahn bei den Toiletten und der Bordgastronomie werden.

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4. Zwei Gewerkschaften streiten um die Macht 

Was dem Winter Anfang Dezember teilweise gelungen ist, will Claus Weselsky ab der zweiten Januarwoche vollenden. Der Chef der Lokführergewerkschaft GDL will den Betrieb mit einem Streik lahmlegen. Weselsky ist der härteste und erfolgreichste Arbeiterführer Deutschlands. Es ist sein letzter Arbeitskampf vor der Rente.

Zurückstecken zählte schon davor nicht zu seinen Eigenschaften, jetzt kann es ihm gleich ganz egal sein. Der 64-Jährige tritt auch deshalb so robust bis rabiat auf, weil er um das Überleben seiner kleinen Gewerkschaft kämpft. Denn bei der Bahn gibt die viel größere Eisenbahnergewerkschaft EVG den Ton an. Weselsky muss also immer schreien, aus Furcht nicht gesehen zu werden. Sein designierter Nachfolger Mario Reiß gilt immerhin als konzilianter im Umgang mit der Bahn und der EVG.

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5. Die mangelnde Profitabilität

Die Deutsche Bahn hat ein Problem. In ihren drei Kernbereichen Fernverkehr, Regionalverkehr und Güterverkehr verdient sie kein Geld, sondern schreibt Verluste. Das Halbjahr 2023 haben alle drei Bereiche mit roten Zahlen abgeschlossen, stabiler Gewinnbringer ist die konzerneigene Spedition Schenker. Diese soll jetzt verkauft werden, um Geld in die Kasse zur Sanierung der Schienen zu bringen. Größtes Sorgenkind ist dabei die Gütersparte, seit Jahren der Verlustbringer des Unternehmens.

Dabei machen es dem staatseigenen Betrieb die privaten Güterbahnen vor, wie man mit dem Transport Geld verdienen kann. Sie sehen noch viel mehr Potenzial für den Klimaschutz, wenn mehr Waren von auf der Straße auf die Schiene wechseln. "Die Schienenpolitik von Bund und Ländern interessiert sich vor allem für Personenzüge, obwohl der Güterverkehr deutlich stärker wächst und hier auch schneller viel CO2 eingespart werden kann", sagt der Chef des Verbandes Güterbahnen, Peter Westenberger, der AZ. Das könne aber nur gelingen, wenn das Gleisnetz, wie versprochen, ertüchtigt werde.

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  • Geradeaus-Denker am 29.12.2023 12:33 Uhr / Bewertung:

    Wirklich überrascht bin ich vom Bahn-Bashing hier nicht. Es schreiben ja viele Weltuntergangspropheten und nur wenige mit einer breiteren und positiveren Sicht der Welt.
    Den heutigen Bahnmitarbeiter:innen kann man die Misere nicht Anrechnen. Bei den Vorständen nur denen, die aus der Bundespolitik zur Bahn gewechselt haben. Dort haben sie mitgemacht beim Kaputtsparen der Bahn und der tollen Idee sie zu Privatisieren.
    Die Bahn beweist in vielen Projekten im Ausland, dass sie es kann. Mit über 6.000 Ingenieur:innen und dem Aufbau und Betrieb.

    Sie können es also. D.h. es liegt nur am politischen Willen die Defizite im Streckennetz, beim Material und der IT möglichst schnell zu beheben. Das kostet leider viel Geld und bringt Verspätungen. Wenn es aber nicht gemacht wir, wird es nie besser.
    P.S. Ich arbeite nicht bei oder für die Bahn, kenne aber beruflich ein paar Bahnunternehmen in Europa.

  • 747-200 am 29.12.2023 12:09 Uhr / Bewertung:

    Über Weihnachten mit dem ICE in Bayern fahren:
    Eigentlich ist der Mittelpunkt der Familie im nördlichsten Zipfel Bayerns (AB). Aber der Familienrat hatte beschlossen dieses Jahr in München zu feiern. Nach München benutze ich oft auch den Flieger über FRA, da ich nur 10% des normalen Flugpreises zahle. Doch diesmal habe ich mich getraut und habe mit meinem Sohn die (schnellere) ICE Verbindung 1 Kl. Supersparpreis AB - MUC am 24.12 uns MUC - AB gebucht.
    Ergebnis: Ich muss meine (Medien beeinflusste) Haltung gegenüber der Bahn komplett ändern.
    1.Pünktlichkeit: Bei beiden Fahrten hatten wir eine Pünktlichkeit von jeweils 2 Min. Aber: Wir erreichten MUC bzw AB 2 Min VOR !! der Planzeit.
    2. Komfort / Personal: Sehr bequeme Sitze, einwandfreies, schnelles Internet mit Interessanter ICE Info App.
    Extrem freundliches Personal. BIstro Service am Platz. Weißbier in Original (Erdinger) Gläsern. Interessante Bio Snack Angebote.
    Insgesamt 5 Punkte, weil 6 nicht geht.

  • Nobbse2710 am 29.12.2023 11:29 Uhr / Bewertung:

    Zum Kotzen das Ganze. Egal wie schwach die Ziele der Bahn sind, sie werden immer verfehlt. Und gleichzeitig feiern sich die Vorstände für ihren Erfolg mit Mio-Boni. Und die obersten Chefs aka Verkehrsminister setzen sie falschen Prioritäten, hauen milliardenweise Geld in den Müll, und sind unantastbar.
    Aber dem Deutschen geht es zu gut, denn sonst würde er seinen Unwillen mal gewaltig zeigen.
    zB alle Bahnhöfe werden von Bahnfahrenden blockiert, damit kein Geld mehr in die Kassen fließt.
    Oder keiner zahlt mehr Tickets, mehrere Millionen Schwarzfahrer kann die Polizei nicht aufarbeiten.

    Aber leider wird einfach stillschweigend alles in Kauf genommen.

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