Obergrenze für Flüchtlinge: Gibt’s ein Hintertürchen?

Die CSU will zwar eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen einführen, aber eine Maximalzahl kollidiert mit dem Europarecht. Eine Option bleibt aber.
Berlin - Österreich hat sie beschlossen, für Deutschland fordert die CSU sie ein: Die Obergrenze beherrscht die Debatte um Maßnahmen gegen den Zustrom von Flüchtlingen. Aber wäre so etwas rechtlich möglich? Experten sagen: Jein.
Die Ausgangslage:
Wegen des Bürgerkriegs in Syrien und des IS-Vormarschs im Irak ist die Zahl der Menschen, die in Europa Zuflucht suchen, massiv angestiegen. Behörden, Länder sowie Kommunen bringt das an ihre Grenzen. Die Lage wird dadurch verschärft, dass die EU-Regeln für die Aufnahme nicht mehr funktionieren. Eigentlich wäre der Staat zuständig, in dem der Flüchtling zuerst europäischen Boden betreten hat – Griechenland etwa ist dem aber nicht mehr gewachsen.
Der Streit:
Die CSU will nur noch 200 000 Flüchtlinge im Jahr ins Land lassen. In einem Brief an Kanzlerin Angela Merkel von Ende Januar fordert Parteichef Horst Seehofer „unverzügliches Handeln“ – und droht mit einer Verfassungsklage. Beigefügt ist ein Gutachten des Ex-Bundesverfassungsrichters Udo di Fabio, das nach Seehofers Lesart zeigt, „dass die derzeitige unkontrollierte Einreise mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist“.
Nachgehakt I: Verletzt die Regierung das Grundgesetz?
Di Fabio wirft in seinem Gutachten die Frage auf, „ob der Bund seine grundgesetzlichen Pflichten zur Grenzsicherung in bundesschädigender Weise vernachlässigt“. Der Begriff „Obergrenze“ findet sich nicht. Di Fabio schreibt nur, dass der Bund „einstweilen die Sicherung der Bundesgrenze gewährleisten“ müsse, wenn die Flüchtlingskrise nicht europäisch bewältigt werden kann.
Die Migrationsexpertin Christine Langenfeld hält diese Argumentation nicht für haltbar. Deutschland sei der Dublin-Verordnung verpflichtet, die festlegt, welcher Staat für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist. „Hier werden weder nationales Recht noch verfassungsrechtliche Grenzen gebrochen“, sagt Langenfeld. Das sehen nicht alle Juristen so. Völkerrechtsexperte Hans-Joachim Heintze ist der Ansicht, „dass das Recht auf Asyl verabsolutiert wird“. „Niemand kann erwarten, dass man hinnimmt, dass ein Staat destabilisiert wird durch massive Einwanderung“, meint er.
Nachgehakt II: Wäre eine Obergrenze überhaupt zulässig?
Nein, sagt Langenfeld: „Eine feste Obergrenze ist mit dem europäischen Recht nicht vereinbar.“ Dass andere EU-Staaten sich nicht mehr an die Dublin-Regeln halten, rechtfertige noch lange nicht, dass Deutschland es ihnen gleichtue. Bessere Chancen hätte laut Europarechtler Daniel Thym eine Steuerung über Tageskontingente je nach Aufnahmekapazität, wie sie die Vize-CDU-Vorsitzende Julia Klöckner ins Spiel gebracht hat.
Nachgehakt III: Gäbe es Alternativen, um den Zuzug zu stoppen?
Die gibt es. Hier kommt eine Bestimmung in den europäischen Verträgen ins Spiel: In Artikel 72 AEUV sind „die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit“ festgeschrieben.
In Notstandssituationen ist also ein Abweichen von den Regeln des EU-Rechts möglich – sollten mehr und mehr Flüchtlinge kommen, könnte Deutschland sich darauf berufen. „Das ist aber eine Argumentation, die wirklich eine Notstandssituation voraussetzt – und in der sehe ich Deutschland gegenwärtig nicht“, sagt Langenfeld. Thym dagegen sieht die Schwelle von Artikel 72 bereits erreicht. Trotzdem warnt er vor den Konsequenzen für Europa: „Die Frage ist natürlich, was daraus folgt.“
AZ-Meinung - Obergrenze für Flüchtlinge: Fatales Signal aus Wien