Interview

Nach "hart aber fair"-Auftritt – Miltenbergs Landrat will in der Asylpolitik durchgreifen: "Mit voller Konsequenz angehen"

Warum Miltenbergs grüner Landrat Jens Marco Scherf mit den Ergebnissen der Migrations-Ministerpräsidentenkonferenz durchaus zufrieden ist.
Natalie Kettinger
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Der Grüne Jens Marco Scherf (49) ist seit 2014 Landrat des Kreises Miltenberg in Unterfranken. Wegen der Überlastung der Kommunen durch die vielen Geflüchteten hat er mehrere Brandbriefe an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geschrieben.
Der Grüne Jens Marco Scherf (49) ist seit 2014 Landrat des Kreises Miltenberg in Unterfranken. Wegen der Überlastung der Kommunen durch die vielen Geflüchteten hat er mehrere Brandbriefe an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geschrieben. © Anna Hornstein (Anna Hornstein Fotografie)

Nach neun Stunden Beratung haben sich die Ministerpräsidenten und Bundeskanzler Olaf Scholz beim Gipfel zur Migrationspolitik geeinigt. Streitpunkte waren vor allem das Geld und die Einführung von Grenzkontrollen. Miltenbergs Landrat Jens Marco Scherf (Grüne) erklärt im AZ-Interview, warum der Gipfel trotz aller Meinungsverschiedenheiten der Teilnehmer kein Misserfolg war.

AZ: Herr Scherf, Sie waren einer der ersten, die vor einer Überlastung der Kommunen bei der Unterbringung von Geflüchteten gewarnt haben – wie bewerten Sie die Ergebnisse der Ministerpräsidentenkonferenz?
JENS MARCO SCHERF: Positiv. Es ist jetzt ein Jahr her, dass wir bayerischen Landrätinnen und Landräte Alarm geschlagen haben: Achtung, wir sind auf einem Weg, der kein guter ist! Jetzt haben Bund und Länder endlich den dringenden Handlungsbedarf anerkannt und ein erstes Maßnahmenpaket beschlossen, das in die richtige Richtung weist.

Landrat Jens Marco Scherf (Grüne) machte aus seiner Überforderung beim Thema Migration keinen Hehl.
Landrat Jens Marco Scherf (Grüne) machte aus seiner Überforderung beim Thema Migration keinen Hehl. © WDR/Oliver Ziebe

Miltenbergs Landrat Jens Marco Scherf: "Die Bezahlkarte muss sein"

Manche befürchten, durch Sachleistungen und Bezahlkarten würde ein enormer Verwaltungsaufwand auf die Kommunen zukommen.
Sachleistungen sind für uns kein Thema, das ist undurchführbar. Zum Thema Bezahlkarte: Ja, ich teile diese Sorge, weil in Deutschland bislang alles immer komplizierter wurde. Aber die Bezahlkarte muss sein. Wir haben auch mit der Auszahlung einen riesigen Aufwand, riesige Probleme und zudem ein Sicherheitsproblem, wenn zum Monatsende 100 Geflüchtete zu uns kommen, die noch kein Konto haben, um das Geld in bar abzuholen. Hinzukommt, dass viele Geflüchtete Schleuser bezahlen müssen. Um das perspektivisch auszutrocknen, dass nämlich unsere Sozialleistungen dazu dienen, kriminelle Strukturen zu finanzieren – hinter denen zum Teil, bei der osteuropäischen Route, Russland steckt –, macht die Bezahlkarte Sinn. Insofern: Ist gekauft!

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Stationäre Grenzkontrollen gibt es bereits seit einiger Zeit. Nun sollen sie deutlich verlängert werden. Ist das sinnvoll? Spüren Sie denn bereits einen Effekt?
Wir vor Ort spüren den Effekt nicht, aber es macht trotzdem Sinn, die Kontrollen zu verlängern, stationär wie mobil – und zwar bis wir die Registrierung an den EU-Außengrenzen relativ verlässlich hinbekommen. Das muss das Ziel sein: An den EU-Außengrenzen wird registriert und nicht mehr illegal durch Europa durchgeschleust.

"Es muss endlich mit voller Konsequenz angegangen werden"

Wie stehen Sie zu dem Vorstoß, der ursprünglich von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst kam, den aber auch Ihr Parteifreund Winfried Kretschmann aus Baden-Württemberg mitgetragen hat, dass die Asylverfahren in Drittländern durchgeführt werden sollen?
Auch, wenn einige sofort aufschreien: Ich bin unheimlich froh, dass Winfried Kretschmann sich da so engagiert hat. Ich habe das schon im Februar gesagt und es wird von vielen Migrationsexperten bestätigt: Wir müssen die Asylverfahren optimalerweise in Drittstaaten verlagern, um die Kontrolle darüber und eine Steuerungsmöglichkeit zu haben. So entziehen wir den Schleusern ihr Tätigkeitsfeld, wir verhindern, dass das Mittelmeer weiterhin zum Massengrab wird, wir haben die Möglichkeit, auszuwählen – und zurückzuweisen. Dass das nicht einfach umzusetzen ist, und man auf partnerschaftlicher Höhe mit Ländern wie Ruanda, dem Senegal oder Jordanien sprechen muss, was nicht innerhalb eines Tages geschehen wird, ist vollkommen klar. Aber es muss endlich mit voller Konsequenz angegangen werden. Es hätte mich enttäuscht, wäre nicht beschlossen worden, am gesamten Asylsystem etwas zu ändern. Nur mit Geld lösen wir die Grundproblematik nicht.

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Sie würden also mittragen, dass solche Zentren nicht nur in Transitländern entstehen?
Ja. Wenn wir nichts Grundlegendes verändern, wird uns unser Asyl- und Fluchtsystem gesellschaftlich in den nächsten Jahren oder Monaten um die Ohren fliegen. Wir verlieren den gesellschaftlichen Rückhalt, wenn wir da keine Ordnung und Struktur reinbekommen. Ich weiß, es wird schnell unterstellt, so etwas sei unmenschlich oder rechts oder irgendwas. Aber ich möchte, dass wir auch in ein paar Jahren noch eine gesellschaftliche Mehrheit dafür haben, Menschen in Not zu helfen – plus unsere wegen der Demografie dringend notwendige Arbeitsmigration.

"Wie müssen evaluieren, warum Integrationskurse nicht erfolgreich sind"

Was würden Sie sich von Bund und Ländern noch wünschen?
Volle Kostenerstattung für die Kommunen und eine deutliche Vereinfachung der Verfahren sowie der Rechtsvorschriften. Nur ein Beispiel: Es gibt 50 unterschiedliche Rechtstitel für ausländische Fachkräfte. Das bedeutet: 50 verschiedene rechtliche Möglichkeiten! Außerdem sollten Geflüchtete erst dann in die kommunale Verantwortung kommen, wenn das Verfahren abgeschlossen ist, damit wir vor Ort sofort mit der Integration beginnen können. Wir müssten außerdem evaluieren, warum unsere Integrationskurse, von denen wir zudem viel zu wenige haben, nicht erfolgreich sind. Was müssen wir besser machen, dass wir die Leute schneller in Arbeit bekommen und auch gesellschaftlich besser integrieren? Und dafür braucht es dann Ressourcen: Geld für Bildungsangebote, Kurse, Integrationscoaches und und und.

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19 Kommentare
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  • Knoedel am 08.11.2023 14:22 Uhr / Bewertung:

    Für seine Ansichten die heute politisch behandelt werden und mittlerweile "salonfähig" sind, wurde man kürzlich noch in die rechte Ecke gestellt. Was hab ich mich da öfter rechtfertigen müssen. Selbst die grüne Einwanderungspartei wacht langsam auf. Wie schnell sich die Welt dreht erstaunt mich immer mehr.

  • Judgechaos am 08.11.2023 18:44 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Knoedel

    Es ist ein trauriges Anbiedern der Parteien an Loite wie Sie. Das war schon nach Lichtenhagen schon so.

  • Knoedel am 09.11.2023 06:46 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Judgechaos

    Was sind denn Loite? Ich verstehe die Antwort nicht.

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