Interview

Israels Generalkonsulin in München spricht Klartext: "Wir wollen nur die Terroristen"

Israels Generalkonsulin Talya Lador-Fresher spricht über den Kampf gegen den Terror, die Zerrissenheit der EU und die Lage in Deutschland.
Anne Wildermann |
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Talya Lador-Fresher (61) ist seit September dieses Jahres israelische Generalkonsulin für Süddeutschland. Zuvor war sie als Botschafterin in Österreichs Hauptstadt Wien tätig. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Talya Lador-Fresher (61) ist seit September dieses Jahres israelische Generalkonsulin für Süddeutschland. Zuvor war sie als Botschafterin in Österreichs Hauptstadt Wien tätig. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder. © Martha Schlüter

München - Talya Lador-Fresher bewegt sich seit mehr als 30 Jahren auf internationaler Bühne, ist seit 1989 im Diplomatischen Dienst für ihr Heimatland Israel tätig. Seit September 2023 leitet sie das Generalkonsulat des israelischen Staates für Süddeutschland in München. Im AZ-Interview verrät die 61-Jährige, wie sie auf den Krieg gegen die Terrororganisation Hamas blickt und ob Deutschland genug im Kampf gegen den Antisemitismus tut.

AZ: Frau Lador-Fresher, Ihr Land befindet sich im Krieg. Wie geht es Ihnen? Haben Sie Angst?
TALYA LADOR-FRESHER: Ich spreche jetzt nicht nur für mich, sondern auch für unsere Mitarbeiter im Generalkonsulat, für die Israelis, die hier wohnen, und für die jüdische Gemeinschaft. Es sind sehr komplizierte Zeiten. Natürlich sind wir besorgt darüber, was in Israel passiert. Das Land ist immer noch in Trauer wegen des Massakers am 7. Oktober – und die Raketen hören nicht auf. Es kommen immer wieder welche aus dem Süden von der Hamas. Zusätzlich machen wir uns Sorgen darüber, was die Hisbollah macht, und was im Norden Israels passieren wird sowie über die Unruhen im Westjordanland. Aber ehrlich gesagt, ist auch die Situation hier in Deutschland nicht einfach. Viele Juden und Jüdinnen fühlen sich nicht mehr sicher. Gemeinden raten, dass beispielsweise Halsketten mit Davidstern-Anhänger nur noch unter der Bluse getragen werden sollen. Ich bin schockiert über diese Pro-Terror-Demonstrationen. Demonstrationen, auf denen, und das ist kein Geheimnis, die Teilnehmer zur Vernichtung des Staates Israel aufrufen. Man muss kein Genie sein, um zu verstehen, was das bedeutet.

Generalkonsulin Talya Lador-Fresher erklärt Israels Ziele im Kampf gegen die Hamas

Sie haben erst im September dieses Jahres das Amt der israelischen Generalkonsulin für Süddeutschland angetreten. Nur wenige Wochen später dann die Eskalation: Am 7. Oktober greift die radikal-islamische Palästinenser-Terrororganisation Hamas Ihr Heimatland an. Wie hat Sie die schreckliche Nachricht erreicht?
Die erste Nachricht habe ich von meinem Sohn erhalten, er wohnt in Tel Aviv. Er sprach von einem mehrseitigen Angriff. Ehrlich gesagt, es hat Stunden gedauert, bis ich verstanden habe, dass das Wort "Eskalation" nicht zu dieser Situation passt. Wir Israelis sind es "gewohnt", dass es Raketenangriffe gibt, leider. Aber dieses schreckliche Massaker auf die Kibbuze, auf die Städte im Süden Israels, diese Brutalität, diese Barbarei, das war etwas völlig anderes. Eine ganz andere, nie dagewesene Dimension. Wir sprechen von unserem Verteidigungskrieg, von keiner Kampagne. Deshalb gibt es jetzt auch die Bodenoffensive.

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Die Bodenoffensive im Gazastreifen hat begonnen. Die Luftangriffe gehen weiter. Laut israelischem Militär sollen seit Kriegsbeginn mehr als 12.000 getroffen worden sein. Was macht Ihnen aufgrund der aktuellen Lage in Israel am meisten Sorgen?
Ich möchte kurz unsere Ziele in diesem Verteidigungskrieg erklären, weil es viele Falsch-Meldungen gibt. Erstens: Wir möchten, dass die Geiseln freigelassen werden. Mehr als 200 Israelis wurden als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt, darunter sind 30 Kinder und Babys. Einige von ihnen haben ihre Eltern verloren. Das zweite Ziel: Ja, wir haben in der Vergangenheit gedacht, obwohl wir alles über die Terrororganisation Hamas gewusst haben und sie kennen, dass wir trotz allem neben ihr leben können. Die Realität sieht anders aus: Es wird nicht funktionieren! Die jetzige Hamas-Regierung muss zerstört werden – und das ist sehr kompliziert. Das dritte Ziel: Jedes Land sollte seine Souveränität behalten, sich und seine Bürger und Bürgerinnen sowie seine Territorien verteidigen. Israel möchte nicht zurück in den Gazastreifen. Wir haben uns 2005 aus dem Gazastreifen komplett zurückgezogen. Wir hatten nicht den Wunsch dorthin zurückzukehren, aber dieser Terror-Tag zwingt uns dazu. Meine Sorge ist, dass wir nicht wissen, was an allen Fronten passieren wird. Es kann sein, dass wir auch vom Norden her attackiert werden. Ich muss sagen, dass die Stimmung in Israel sehr pessimistisch und deprimiert ist. Es ist eine Kombination aus beidem. Die Geschichten von den Menschen, die in ihren Häusern verbrannt wurden, diese ganze Gewalt, das alles taucht immer wieder auf. Hinzukommen die Familien, von den Geiseln. Es sind Eltern, es sind Kinder, die sagen: ,Bringt sie zurück!' Eine Geisel konnten wir befreien. Das war ein sehr gutes Zeichen. Aber die meisten sind noch dort.

Warum der Vergleich zwischen dem Holocaust und dem Hamas-Terror nicht passt

In einem Zoom-Call von "Israel heute" sagte kürzlich die Holocaust-Überlebende Zili Wenckert, dass die Hamas schlimmer sei als die Nazis, sie spricht sogar von einem "zweiten Holocaust". Können Sie diese Vergleiche auch ziehen?
Ich stimme diesem Vergleich nicht zu. Denn: Der Holocaust ist mit nichts zu vergleichen! Leider konnten wir unseren Bürger am 7. Oktober nicht helfen, das stimmt. Aber es gibt den Staat Israel, wir haben eine Armee. Das war während des Holocaust nicht der Fall. Allerdings ist das Ziel der Hamas genau dasselbe, das die Nazis damals auch hatten: alle Juden zu vernichten.

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Mittlerweile ist die Zahl der Geiseln, die in der Gewalt der Hamas sind, von 200 auf mehr als 230 gestiegen. Einige konnten lebend gerettet werden: beispielsweise eine Mutter und ihre Tochter, beide US-Staatsbürgerinnern. Einige sind wiederum tot wie die 22-jährige Deutsch-Israelin Shani Louk. Glauben Sie, dass die übrigen verschleppten Menschen noch lebend befreit werden können?
Das hoffe ich sehr! Für die Betroffenen wie auch für ihre Familien und Angehörigen ist das ein Alptraum.

Könnte das konsequente Vorgehen Israels gegen die Hamas auch eine Gefahr für die Geiseln sein?
Wir müssen tun, was wir tun müssen. Die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF), die israelische Politik und alle, die Teil der Verteidigungsmechanismen sind, denken Tag und Nacht an die Geiseln. Aber wir konnten nicht endlos warten, bis die Hamas etwas Gutes tut. Es gibt nach Schätzungen ungefähr 400 Kilometer lange unterirdische Tunnelsysteme im Gazastreifen. Dabei ist das Gebiet nur 40 Kilometer lang. Es ist ein Labyrinth aus Tunneln. Es gibt kaum militärische Erfahrung, wie man in solchen Tunneln kämpft. Trotzdem: Die Zivilisten im Gazastreifen sind nicht unsere Ziele! Wir wollen nur die Terroristen. Israel befolgt die internationalen Rechte und Regelungen, wie man Krieg führt.

Talya Lador-Fresher: Darum ist sie von Deutschland enttäuscht

Die Angehörigen der Geiseln verlangen einen Waffenstillstand, um die Betroffenen befreien zu können. Es werden immer mehr Stimmen laut, die Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas fordern. Warum ist Israel zu keinem Waffenstillstand bereit?
Es ist mir wichtig, dass die Menschen in Deutschland eine Minute über die Geiseln und deren Familien nachdenken. Sie waren zu Hause, sie haben geschlafen und wurden verschleppt. Und jetzt wissen die Angehörigen nicht, wo ihr Sohn, ihre Tochter oder ihr Vater ist. Viele der Familien gehen auf die Straße – auch in Israel. Sie versuchen der gesamten Welt, darunter Europa, ins Bewusstsein zu rufen, was passiert ist. Einen symbolischen Akt gab es beispielsweise in Frankfurt und in München. Dort hat man jeweils einen Tisch für mehr als 200 Personen gedeckt. Ich komme noch mal auf den geforderten Waffenstillstand zurück, den die Hamas verlangt. Warum tut sie das?! Weil sie zurzeit nicht die Oberhand hat. Insofern wäre ein Waffenstillstand zum jetzigen Zeitpunkt keine gute Idee. Des Weiteren gibt es hier eine Asymmetrie. Es handelt es sich bei der Hamas um keine Armee, sondern um eine Terrororganisation, die die eigenen Leute als Schutzschilde missbraucht und dann Israel angreift. Sie hat Menschen so verstümmelt, dass man sie nicht identifizieren kann. Wie kann man von einem Waffenstillstand sprechen, wenn sie unsere Landsleute in dem Maße geköpft, umgebracht hat, wie es die Welt noch nicht erlebt hat?

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Was sagen Sie zu der Enthaltung Deutschlands bei der UN-Resolution?
Was stand nicht in der Resolution? Das ist auch wichtig. Die Hamas kommt darin nicht vor. Wir sind gegen diese Resolution. Sie spiegelt nicht die Realität wider. Und dass sich Deutschland am Ende enthalten, also nicht gegen diese Resolution wie Österreich, Tschechien und die USA gestimmt hat, das war für uns eine große Enttäuschung.

Die EU will auf internationaler Ebene als Brückenbauer, als Friedensstifter agieren. Aber sie ist beim Thema ,Waffenstillstand' zerstritten. Wie beurteilen Sie diese Zerrissenheit?
Es ist nicht das erste Mal, dass die EU-Länder nicht genau dieselbe Position vertreten. Ich wünsche mir, dass mehr EU-Politiker die Situation so sehen wie es Österreich, Tschechien und Ungarn tun. Kroatien hatte auch dagegen gestimmt. Leider gibt es in der EU auch andere Stimmen. Ich hoffe, dass die übrigen Länder künftig verstehen, wie die Situation in Israel ist und welche Gefahren von radikalen Terrororganisationen wie der Hamas ausgehen – nicht nur für unsere Region, auch für Europa.

Massaker im Gazastreifen? "Wir haben gesehen, dass die Hamas-Quelle keine Quelle ist"

Wie stehen Sie zu den Aussagen von US-Präsident Joe Biden, der während seines Israel-Besuchs Ihr Land zu einem "maßvollen Vorgehen" ermahnt hat und darauf hinwies, dass sich Israel nicht von "Wut verzehren lassen" solle?
Es ist wichtig zu erwähnen, wie sehr wir US-Präsident Biden danken und wie sehr wir seinen Besuch in Israel schätzen. Die Kooperation zwischen Israel und den USA ist ein Zeichen großer Freundschaft. Sie haben sich in dieser schweren Zeit als ein treuer Freund Israels gezeigt. Natürlich sollten wir nicht aus Wut heraus reagieren. Niemand sollte das. Deshalb waren wir auch so lange zurückhaltend. Es hat mehr als drei Wochen gedauert, bis die Bodenoffensive angefangen hat. Auch jetzt reagieren wir langsam, bedächtig, überlegt. Wir wollen nur die Terroristen angreifen – nichts weiter. Nichtsdestotrotz hat Biden auch gesagt, dass das Ziel, die Hamas zu zerstören, richtig sei. Wir machen das für uns, aber nicht nur für uns. Es ist auch gut für die Palästinenser, es ist gut für die Region, es ist gut für alle westlichen Länder.

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Die ersten Hilfslieferungen mit Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten wurden von mehreren Hundert Lastwagen aus Ägypten über die Grenzstadt Rafah in den Gazastreifen für die dortige Zivilbevölkerung gebracht. Die Güter reichen für die mehr als zwei Millionen Betroffenen nicht. Warum ermöglicht Israel nicht noch mehr und schnellere Hilfslieferungen?
In der Vergangenheit konnten die Güter von israelischer Seite in den Gazastreifen gebracht werden. Das geht nicht mehr, weil die Hamas alle Durchgänge zerstört hat. Es gibt keine Möglichkeit, dass diese Güter durch Israel transportiert werden können. Es bleibt nur Rafah.

Es gibt bereits mehr als 9000 Tote im Gazastreifen. Erst kürzlich wurde das Flüchtlingslager Dschabalia von israelischen Luftangriffen getroffen. Unter den Toten etwa 50 Hamas-Terroristen, aber auch viele Zivilisten. Israel kann bisher keine Angaben zur Anzahl der Toten machen. Kritiker sprechen von einem "Massaker"...
Wir haben gesehen, dass die Hamas-Quelle keine Quelle ist.

Wie es nach dem Ende der Hamas im Gazastreifen weitergehen soll

Wo verläuft für Sie die Grenze zwischen Kritik und Antisemitismus in Bezug auf das Vorgehen des israelischen Militärs?
Meine Antworten sind jetzt ganz andere als vor wenigen Wochen. Die Menschen sollen verstehen, was wir machen. Alle, die die Hamas unterstützen, sind Antisemiten. Diese wollen auch die Vernichtung des jüdischen Lebens und des israelischen Staates. Normalerweise kann jeder Kritik an Israel üben, aber zum jetzigen Zeitpunkt sollte sie warten.

Ist es überhaupt möglich, die Hamas zu zerstören?
Das ist eine schwere Frage. Es geht nicht nur um die Anhänger, sondern auch um die antisemitische Ideologie. Uns geht es nur um die Terroristen, wir wollen nicht den Gazastreifen regieren. Wir brauchen mehr Akteure, mehr Unterstützer. Es ist unser aller Aufgabe, die westlichen Werte wie den Schutz von Minderheiten, die Moderne, die Wissenschaft der islamischen Ideologie entgegenzusetzen.

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Was passiert, wenn die Hamas nicht mehr existiert? Womit wird dieses Vakuum, das dann entsteht, gefüllt?
Ich hoffe, dass es eine andere, lokale Kraft sein wird, aber es wird nicht Israel sein.

Halten Sie die Zwei-Staaten-Lösung für machbar?
Das kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beantworten.

Israel-Konsulin in München: "Wir bedanken uns an der Stelle für die Pro-Israel-Demos"

Wie schätzen Sie persönlich die Lage der in Deutschland lebenden Juden und Jüdinnen ein?
Meine Cousine lebt in Düsseldorf. Sie hat mir erzählt, dass sie das erste Mal in ihrem Leben Angst hat. Damit ist sie leider nicht allein. Viele Juden und Jüdinnen haben Angst und diese Ängste kommen nicht aus dem Nichts. Seit dem 7. Oktober hat es in Deutschland mehr als 1800 antisemitische Vorfälle gegeben.

Was halten Sie von den Pro-Palästina-Demonstrationen in Deutschland? In München gab es kürzlich eine mit 6000 Teilnehmern. Zu der Pro-Israel-Kundgebung kamen 1000 Menschen.
Die Pro-Israel-Demos sind für uns wichtig. Wir bedanken uns an der Stelle für diese Demos und dass es die Gelegenheit dazu gibt. Übrigens sind diese Demos friedlich verlaufen.

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Geht Ihrer Meinung nach Deutschland nicht genug gegen Antisemitismus vor? Auf Pro-Palästina-Demonstrationen werden unter anderem Pappschilder mit dem Spruch "From the River to the Sea, Palestine will be free" (Deutsch: Vom Fluss bis zum Meer, Palästina wird frei sein) hochgehalten.
Deutschlands Oberbürgermeister haben klare Worte gegen diese Demonstrationen gefunden. Es gibt ein hebräisches Sprichwort: "Wenn es einen Verdacht gibt, gibt es keinen Verdacht!" Das heißt: Gegen jeden Verdacht von Antisemitismus muss Deutschland stark und kräftig vorgehen.

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