Ifo-Präsident Clemens Fuest: "Mehr Rüstung heißt weniger Wohlstand"
München - AZ-Interview mit Clemens Fuest:Der 53-Jährige ist Präsident des Münchner Ifo-Instituts, LMU-Professor für Volkswirtschaftslehre und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates beim Bundesministerium für Finanzen.
AZ: Herr Professor Fuest, gibt es Schätzungen, wie viel Wirtschaftswachstum Deutschland die Ukraine-Krise und Sanktionen kosten werden? Wird dadurch der ohnehin durch Material-engpässe und Inflation gebremste Aufschwung endgültig abgewürgt?
CLEMENS FUEST: Nein, dafür ist es zu früh. Da die Lage sich jeden Tag ändert, ist es kaum möglich, das seriös zu schätzen. Es ist klar, dass die Krise die Energiepreise steigen lässt und dadurch die Inflation zunimmt, während das Wirtschaftswachstum in Deutschland fällt. Ob die für den Sommer erwartete wirtschaftliche Erholung ausfällt, hängt vom weiteren Konfliktverlauf ab.
Clemens Fuest: "Gesamtwirtschaftlich betrachtet ist die Gefahr überschaubar"
Halten Sie es für sachgerecht, Unternehmen, die vom Geschäft mit Russland und der Ukraine in besonderer Weise abhängig sind, mit Staatshilfen zu unterstützen?
Damit rechne ich derzeit nicht. Alle, die mit Russland Geschäfte gemacht haben, wussten, dass sie hohe Risiken eingehen. Dafür gab es Aussicht auf hohe Gewinne. Für die anstehenden Verluste müssen in erster Linie die Unternehmen und Investoren selbst haften. Gesamtwirtschaftlich ist die Gefahr überschaubar, da der Handel mit Russland nur etwa zwei Prozent des deutschen Außenhandels ausmacht.
Die Energiepreise gehen jetzt schon enorm nach oben. Was könnte kommen, wenn Russland den Gashahn abdreht?
Es liegt auf der Hand, dass die Preise dann noch einmal deutlich steigen würden. Vermutlich würde es in einigen Industrieunternehmen zu Produktionsstilllegungen kommen. Gesamtwirtschaftlich würde das so ähnlich wirken wie die Ölschocks der Siebziger und Achtziger Jahre. Allerdings haben wir heute stärker diversifizierte Energiequellen.
Ifo-Chef: "Man wird auf Gas-Reserven zurückgreifen müssen"
Werden die Gaslieferungen aus Russland nicht auf jeden Fall enden müssen - wegen des Ausschlusses Russlands von den internationalen Zahlungssystemen? Gibt es für das Bezahlen von Gaslieferungen besondere Bedingungen?
Ja. Man hat die Banken, die für das Bezahlen der Energieimporte zuständig sind, von den Sanktionen ausgenommen. Ob Russland das Gas liefern will, obwohl man mit den Einnahmen wegen der Sanktionen dann trotzdem kaum noch im Ausland einkaufen kann, muss sich zeigen.
Können die Gaslieferungen aus Russland überhaupt innerhalb kurzer Zeit ersetzt werden?
Nicht vollständig. Man wird auf Reserven zurückgreifen müssen, und steigende Preise werden den Verbrauch drücken.
Zu den Belastungen öffentlicher Haushalte durch Pandemie und Klimaschutz kommt jetzt noch die Aufrüstung. Wie massiv könnten die Steuererhöhungen ausfallen?
Kurzfristig wird man die Aufrüstung mit Schulden finanzieren. Später wird man um Ausgabenkürzungen oder Steuererhöhungen nicht herumkommen.
Kann eine Ankurbelung der Rüstungsindustrie zur Stützung des Wirtschaftsaufschwungs beitragen? Gäbe es spürbare Auswirkungen auf das Bruttoinlandsprodukt?
Das würde nur klappen, wenn derzeit Produktionskapazitäten brachliegen würden. Das ist aber nicht der Fall. Die Rüstungsindustrie wird aus anderen Wirtschaftsbereichen Fachkräfte abwerben, um die Waffen zu produzieren. Insgesamt wird das keine große BIP-Steigerung mit sich bringen.
Atomkraftwerke länger laufen lassen? "Es ist nicht unmöglich"
Sie haben neben Steuererhöhungen zur Finanzierung des Verteidigungsfonds auch "Ausgabenkürzungen" vorgeschlagen. Woran denken Sie dabei?
Beginnen sollte man mit einer Überprüfung der Subventionen, aber das reicht nicht. Da die Sozialausgaben den mit Abstand größten Ausgabenblock bilden, wird man um Einsparungen auch dort nicht herumkommen. Zumindest wird man das Ausgabenwachstum begrenzen müssen.
Sie haben eine Verlängerung der Laufzeiten der drei noch bestehenden Atomkraftwerke ins Gespräch gebracht. Ist das denn jetzt überhaupt noch möglich?
Dass das schwierig ist, liegt auf der Hand. Aber leichte Lösungen gibt es nicht. Unmöglich ist es sicherlich nicht, wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Deshalb ist es richtig, dass der Wirtschaftsminister auch diese Option prüfen lässt.
Höhere Rüstungsausgaben bedeuten weniger Wohlstand für die Bürger
Die Schuldenbremse wird jetzt so oft und massiv überschritten, dass sich die Frage stellt, was dieses Instrument dennoch wert ist. Sollte man sie ehrlicherweise nicht ganz abschaffen?
Dafür besteht kein Anlass. Es wird auch wieder bessere Zeiten geben, da ist es wichtig, dass wir die Schuldenbremse haben, damit diese Zeiten tatsächlich zum Schuldenabbau genutzt werden.
Müssen sich die Bürger in Deutschland auf mehr Inflation bei gleichzeitig steigenden Steuern einstellen? In welcher Dimension? Schluss mit Wohlstandswachstum für unabsehbare Zeit?
Die Inflation wird dieses Jahr sehr hoch sein, voraussichtlich deutlich höher als vier Prozent. In dieser Situation wird die Politik nicht die Steuern erhöhen. Mit Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen ist eher mittel- bis langfristig zu rechnen. Vom Himmel fallen werden die Mittel für die anstehenden Rüstungsausgaben aber nicht, die müssen die Bürger aufbringen. Das bedeutet weniger Wohlstand. Aber Freiheit hat ihren Preis.
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