Ein Kraftpaket fährt nach Berlin

München Er war extra noch beim Friseur. Einen akkuraten Messerschnitt hat sich Horst Seehofer vor dem CSU-Parteitag verpassen lassen. Kein Härchen berührt seine Ohren. Keines steht auf an seinem Kragen. „Ich bin jetzt acht Tage handlungsunfähig“, rechtfertigt er sein frisches Styling am Wochenende in der Münchner Messehalle. Für den Vorsitzenden der Christsozialen gibt es jetzt nur noch eins: das heiße Finale in Berlin.
Am gestrigen Sonntag war der 64-Jährige schon wieder in der Bundeshauptstadt bei der Kanzlerin, um festzuzurren, was sie heute gemeinsam SPD-Chef Sigmar Gabriel als Kompromiss für den Koalitionsvertrag vorlegen werden. Dann geht's richtig los. Bis Mittwoch wird verhandelt, wenn nötig rund um die Uhr.
„Das werden jetzt sehr, sehr schwierig Tage“, erklärt Seehofer seinen Delegierten. „Die schöne Nacht mit Ulla Schmidt bei der vorletzten Gesundheitsreform war ein Klacks dagegen. Es wird ein ganz schweres Ringen.“ Genau zehn Jahre ist die her. Nach einem nächtlichen 13-Stunden-Schlussmarathon war Seehofer damals gemeinsam mit der SPD-Gesundheitsministerin vor die Kameras getreten und hat glückselig geschwärmt: „Es war eine meiner schönsten Nächte.“
Ob die kommenden mit der spröden Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem gewichtigen SPD-Chef Sigmar Gabriel am Ende noch schöner sein werden? Vor allem, wenn Seehofer seine Folterwerkzeuge auspackt? „Ich möchte über unseren Instrumentenkasten jetzt nichts Näheres sagen“, lässt er die CSU-Delegierten lieber im Unklaren.
Am Tag zuvor hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Auftakt des CSU-Konvents verraten, dass ihr Edmund Stoiber einst das Betreuungsgeld abgepresst habe. „Lieber Edmund, es ist richtig dass du das Betreuungsgeld gegen viele Widerstände erpresst hast“, bestätigt Seehofer. „Ich will aber schon sagen, dass wir in deiner Nachfolge das Instrument weiter benutzt haben.“
Auch bei Seehofers Lieblings-Thema ist die Maut-Gegnerin Merkel nun fast eingeknickt. Die Vignette für Ausländer auf deutschen Straßen wird als „Arbeitsauftrag“ in den Koalitionsvertrag geschrieben. „Die Maut wird auch kommen, so wie das Betreuungsgeld“, zeigt Seehofer seine Muskeln. „Wir haben uns auf Grund unserer Hartnäckigkeit durchgesetzt.“
Das stärkste Instrument für die Berliner Nächte aber gibt ihm seine Partei an die Hand. Mit 95,3 Prozent macht sie ihn zum Kraftpaket für Merkel und Gabriel. Aber irgendwie kann sich Seehofer darüber nicht so recht freuen. Am Freitagabend hat die Vorsitzende der großen CDU den CSU-Delegierten noch geraten: „Wählen Sie verantwortlich und ehrlich.“ Ehrlich müsse es nicht sein, hakte Seehofer ein. Die ehrlichen Ergebnisse sind ja meist die schlechtesten.
Die Zähler der abgegebenen Stimmzettel simsen am Samstagmittag das Resultat gleich Generalsekretär Alexander Dobrindt aufs Handy – eine gute Minute, bevor es Innenminister Joachim Herrmann offiziell auf dem Parteitag verkünden darf. Der General übermittelt die 95,3 Prozent seinem Feldherrn. Wie versteinert sitzt Seehofer da. Vize-Generalin Dorothee Bär strahlt neben ihm. Seehofer entfleucht kein Lächeln. Hat er mehr erwartet? Wollte er, der Retter der CSU, mit einem Rekordergebnis alle großen Parteichefs vor ihm überflügeln?
Längst stellt er sich mit dem Urvater der CSU, Franz Josef Strauß, und Edmund Stoiber in einen Olymp. Strauß hatte es auf den Rekord von 99 Prozent gebracht. Edmund Stoiber hält 97 Prozent. Und dann war da auch noch Theo Waigel, der für Seehofer offenbar nicht mehr in der Riege der CSU-Vorsitzenden existiert: Dessen Spitzenleistung liegt dazwischen bei 98,3 Prozent. Der Ingolstädter hat zwar mit 95,3 Prozent seinen persönlichen Rekord erzielt, es aber damit nicht mal aufs Sieger-Treppchen geschafft.
33 Delegierte haben gegen ihn gestimmt, 13 sich der Stimme enthalten. Einer wollte sogar lieber den Generalsekretär als Parteichef und hat den Namen Alexander Dobrindt auf den Wahlzettel geschrieben. So was wurmt Seehofer, auch wenn er es mit Coolness überspielt.
Seine Partei überhäuft ihn mit Applaus, seine Laune scheint verdorben. Die Wahl seiner Stellvertreter interessiert ihn nicht mehr. Dass Landtagspräsidentin Barbara Stamm, die in der Verwandten-Affäre keine gute Figur gemacht hat, 89 Prozent bekommt. Dass Verkehrsminister Peter Ramsauer, der bei der Maut nicht so spurt wie Seehofer sich's vorstellt, mit 86,4 Prozent wieder gewählt wird. Dass Verteidigungsstaatssekretär Christian Schmidt, der eh nie von sich reden macht, 88,8 Prozent erhält. Und der Euro-Kritiker Peter Gauweiler, der als Neuzugang 79,1 Prozent verbucht. Alles wurscht. Es gibt nicht mal ein gemeinsames Foto. Kein Händeschütteln auf der Bühne. Nichts.
Als die Lichter auf dem Parteitag schon ausgegangen und die Kameras abgebaut sind, versammelt Seehofer in einer Ecke noch ein Grüppchen Journalisten um sich und zieht vom Leder. Er will am Mittwoch ein Ergebnis auf dem Tisch haben. Tutto completto: Im Koalitionsvertrag sollen auch gleich die Ministerien festgelegt und die Minister verkündet werden. „Alles andere wäre weltfremd“, poltert er. Die SPD jedoch zögert, will ihre Basis nicht auch noch über die Verteilung der Ressorts abstimmen lassen.
Dann wettert Seehofer auch noch gegen Europa. Das passt gut. Seine nächste Mission nach der Kommunalwahl im März ist die Europawahl im Mai. Für die hat er extra Gauweiler an die Parteispitze geholt, damit die CSU gleichzeitig für und gegen Europa sein kann. Seehofer gibt schon mal eine Kostprobe: „Es geht mir langsam auf den Keks, was da läuft. Jede Woche etwas Neues.“ Damit ist dieser Parteitag abgehakt.