Debatte um AfD-Verbot im Bundestag: Eine Politikerin aus Starnberg macht Druck
München - Seit mehr als eineinhalb Jahren kursiert im Deutschen Bundestag ein Antrag, über den sich Verfassungsrechtler und Politiker bis heute den Kopf zerbrechen. Eine Gruppe von Abgeordneten hat ihn Ende 2023 ins Spiel gebracht. Seitdem versuchen die Politiker akribisch, Volksvertreter jeglicher Couleur von ihrem durchaus umstrittenen achtseitigen Papier zu überzeugen.
Ihr Ziel ist es, diesen Donnerstagabend in der Plenarsitzung eine Debatte zu starten, ob die AfD als Gesamtpartei verfassungswidrig ist. "Die Würde des Menschen sowie das Diskriminierungsverbot werden durch die AfD, ihre führenden Funktionäre sowie zahlreiche Mandatsträger und Mitglieder mittlerweile unverhohlen in Frage gestellt", heißt es darin.
Und weiter: "Um dem vom Grundgesetz vorgesehenen Schutz der Verfassung angemessen Rechnung zu tragen, strengt der Bundestag jetzt ein Verfahren zur Prüfung der AfD an."
"Wir haben uns entschieden": Abgeordnete vom Starnberger See will AfD-Verbot prüfen
Mit einfacher Mehrheit könnten die Abgeordneten den Weg zu Deutschlands obersten Gericht in Karlsruhe freimachen. Dort müssten die Richter dann über ein AfD-Verbot und weitere Maßnahmen entscheiden.
Mit dem CDU-Politiker und früheren Ostbeauftragten der Bundesregierung, Marco Wanderwitz, und der Linken-Politikerin Martina Renner setzt sich vor allem Bayerns Bundestagsabgeordnete Carmen Wegge (SPD) für den Antrag ein. "Wir haben uns dafür entschieden, den Antrag vor der Neuwahl einzubringen, weil wir Rückmeldungen von besorgten Bürgern bekommen", sagt die 35-Jährige der AZ.
Angst vor "Deportationen": Zahlreiche Bürger haben große Sorge vor der AfD
Wegge erzählt von Begegnungen mit Menschen, "die seit mehr als 30 Jahren nicht mehr wählen waren und sich am Wahltag durch einen Schneesturm kämpfen würden, weil die Sorgen so groß sind". Staatsbürger mit Migrationshintergrund fürchten nach Ankündigungen von AfD-Politikern im Rahmen der Abschiebedebatte, "dass sie deportiert werden", sagt die Politikerin aus dem Wahlkreis Starnberg-Landsberg am Lech.

Diese Ängste will Wegge den Menschen durch die Prüfung eines AfD-Verbots nehmen: "Wir haben sehr viel Zuspruch aus der juristischen Fachwelt", so Wegge. "Ich sehe es als Pflicht, den Antrag zu stellen", betont sie.
Ähnlich sieht es auch Mitinitiator Marco Wanderwitz. "Ich will mir nicht sagen müssen, dass ich es nicht versucht hätte", sagte der CDU-Politiker im vergangenen Jahr der AZ. Zur nächsten Wahl wird er nicht mehr antreten. Er will sich und seine Familie vor rechten Anfeindungen schützen.
Wegge ist optimistisch: AfD-Funktionäre werden radikaler
Wegge will jedoch am Ball bleiben und schätzt die Aussichten positiv ein: Das Oberverwaltungsgericht in Münster bestätigte 2024, dass der Bundesverfassungsschutz die AfD zu Recht als extremistischen Verdachtsfall einordnet. Auch die Richter vom Verwaltungsgericht in München kamen in einem Verfahren, das den Freistaat betrifft, zum selben Ergebnis.
Zudem sind Verbindungen zu mutmaßlich staatsfeindlichen Gruppierungen und AfD- Anhängern immer deutlicher geworden. Unter anderem durch die Ermittlungen zu den Verschwörern um Prinz Reuß, den Sächsischen Separatisten und im Rahmen des Korruptionsskandals "Voice of Europe".
Dennoch ist Wegges Vorhaben im Reichstagsgebäude umstritten. In der deutschen Geschichte wurden bisher nur zwei Verbotsverfahren erfolgreich durchgeführt. Beide liegen fast 70 Jahre zurück.
Hohe Hürden und keine Mehrheit: Es wird wohl bei einer Debatte im Parlament bleiben
Die Hürden sind hoch: Für ein Verbot reicht nicht das reine Verbreiten von verfassungsfeindlichen Inhalten. Es braucht eine aktiv-kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, stellten die obersten Richter zuletzt fest.
Doch bevor Karlsruhe überhaupt aktiv wird, muss sich entweder im Bundesrat, in der Bundesregierung oder eben im Bundestag eine Mehrheit finden. Danach sieht es aktuell nicht aus. Nur knapp 130 Abgeordnete unterstützen das Vorhaben, führende Politiker wie CDU-Chef Friedrich Merz und Kanzler Olaf Scholz (SPD) lehnen den Antrag ab.
Deshalb wird es im Bundestag erst einmal nur eine Debatte geben. "Auch wenn wir jetzt keine Mehrheit haben, müssen wir ein Zeichen setzen, indem wir klar benennen, dass die AfD verfassungswidrig ist", sagt Wegge. Abgestimmt werde erst, wenn es genügend Befürworter gibt.
Bayerns AfD-Chef Stephan Protschka "freut" sich auf Antrag
Bayerns AfD-Chef Stephan Protschka zeigte sich wohl auch deshalb letzte Woche im Gespräch mit der AZ gelassen: "Ich freu' mich auf den Antrag", sagte er. Er bezeichnete das Vorhaben als "Wahlkampfmanöver" der politischen Konkurrenz.
Fest steht: Wenn der Antrag in der laufenden Legislatur nicht abschließend behandelt wird, muss er nach der Wahl erneut eingebracht werden. Dann könnte die Debatte im Parlament und im neuen Kabinett von vorne beginnen.