"Das Monster, das er geschaffen hat": Wladimir Putin, der Zauberlehrling
Luxemburg - Eigentlich wollte sich Annalena Baerbock vertreten lassen an diesem Montag. Nach dem Kurz-Aufstand in Russland verschob die Bundesaußenministerin aber ihre Reise nach Südafrika um einen Tag, um doch in Luxemburg aufzuschlagen – und wohl die Botschaft auszusenden, dass die Ereignisse vor der Haustür Priorität genießen.
Das Treffen fand statt nach einem Wochenende, während dem es auffallend und fast schon seltsam still um die EU war.
Annalena Baerbock zur Situation in Russland: "Wir mischen uns nicht ein"
Nun versuchten Baerbock und ihre 26 EU-Kollegen bei ihrer Zusammenkunft zu verstehen, was in Russland passiert war, und zu deuten, welche Konsequenzen für die Europäische Union die 36-stündige Episode, die Baerbock als "nur einen Akt in diesem russischen Schauspiel" bezeichnete, haben könnte. "Es geht um einen innenpolitischen Machtkampf in Russland und wir mischen uns nicht ein", sagte die Grünen-Politikerin bei ihrer Ankunft auf dem Kirchberg zwar. Was aber sehr klar sei: "Mit diesem brutalen Angriffskrieg zerstört Putin sein eigenes Land."
Die Regierungsvertreter in Europas Hauptstädten beobachten die Entwicklungen sehr genau. Denn einerseits tritt nun zutage, was sich viele in Brüssel seit langem erhofften: Risse im System Wladimir Putins. Auf die verwiesen denn auch zahlreiche Chefdiplomaten am Montag. Der Krieg gegen die Ukraine breche die russische Militärmacht und wirke sich auf das politische System des Landes aus, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell.
Baerbock sprach von "massiven Rissen in der russischen Propaganda". Die Grüne spielte damit auf die Rede an, in der der Chef der Wagner-Gruppe, Jewgeni Prigoschin, per Video betonte, dass die Öffentlichkeit über den Krieg getäuscht worden sei. Er und seine Söldnertruppen hatten sich kurzzeitig gegen die russische Führung aufgelehnt.
Österreichischer Außenminister Alexander Schallenberg: "Risse im russischen Gebälk"
Der Vorfall stellte die größte Bedrohung für Putins Machterhalt seit seinem Einzug in den Kreml vor mehr als 20 Jahren dar. Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg machte "Risse im russischen Gebälk" aus und verglich Putin mit Goethes Zauberlehrling. Auch der russische Präsident werde die bösen Geister, die er gerufen habe, jetzt nicht mehr los. "Putin sollte sich an Prigoschin ein Beispiel nehmen und ebenfalls umkehren."
Andererseits aber herrscht im Kreis der Gemeinschaft Sorge beim Blick auf das vergangene Wochenende. Was könnte es für die Union bedeuten, wenn nicht mehr klar wäre, wer das Gewaltmonopol in Moskau besitzt? Man rede von einem Land, "das 6000 Atomsprengköpfe hat", sagte Luxemburgs Chefdiplomat Jean Asselborn. Eine Destabilisierung wäre "sehr gefährlich" für Europa. Auch Borrell äußerte sich beunruhigt darüber, "dass eine Atommacht wie Russland in eine Phase der politischen Instabilität geraten kann". Das Monster, das Putin mit Wagner geschaffen habe, "beißt ihn jetzt", so der Spanier. "Es agiert gegen seinen Schöpfer."
Baltische Staaten fürchten russischen Aggressor
Aber könnte es sich auch direkt gegen die EU wenden? Auf den Fall, dass Prigoschin seine Leute in Belarus zusammenzieht, wollen sich die Balten zumindest vorbereiten – angesichts des "unberechenbaren und gefährlichen Nachbarn", wie der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis sagte. "Wir sehen, wie schnell sich die Dinge entwickeln können." Es habe einen halben Tag gedauert, bis sich eine Militäreinheit 200 Kilometer vor Moskau bewegt hat.
"Stellen Sie sich also vor, wie schnell sie das tun können, wenn sie Weißrussland durchqueren und an der litauischen Grenze auftauchen." Landsbergis appellierte an die westlichen Verbündeten, "unsere Situation sehr ernsthaft zu betrachten" und die Ostflanke Europas zu verstärken, ergo die Truppenpräsenz dort zügig zu erhöhen.
Bei der allgemeinen Antwort auf die Vorkommnisse gab es immerhin Einigkeit: Man wolle die Ukraine weiterhin unterstützen, so der Tenor - laut Borrell "mehr denn je". Die EU-Außenminister beschlossen, die sogenannte Europäische Friedensfazilität, ein Sondergeldtopf neben dem regulären EU-Haushalt, um weitere 3,5 Milliarden Euro aufzustocken. Daraus werden seit Kriegsbeginn vor allem Waffenlieferungen an Kiew subventioniert.
Eigentlich wollte die Minister-Runde am Montag auch die Auszahlung von weiteren 500 Millionen für Kiew freigeben. Allerdings blockiert Budapest zum Ärger und Unverständnis der Partner weiterhin den Schritt, weil die Ukraine die größte Bank Ungarns auf einer schwarzen Liste mit Unterstützern von Russlands Krieg führt. Diplomaten hoffen auf eine Lösung beim EU-Gipfel Ende dieser Woche in Brüssel.
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