Ablehnung unterschätzt? Le Pen triumphiert, Macron blamiert
München - Das Bad in der Menge schien kaum enden zu wollen, das Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Sonntag im Küstenort Le Touquet nahm. Dort haben er und seine Frau Brigitte ein Haus und gingen deshalb am Tag der ersten Runde der französischen Parlamentswahlen vor Ort wählen.
Immer wieder ließ er sich im Anschluss an den Urnengang zu noch einem Selfie überreden, schüttelte jovial lächelnd Hände, debattierte leidenschaftlich mit Menschen. Die im Fernsehen gezeigten Aufnahmen vermittelten das Bild eines Präsidenten, der dem Volk nahe ist und durchaus beliebt. Die ersten Hochrechnungen am Abend gaben hingegen einen ganz anderen Eindruck vom Verhältnis der Französinnen und Franzosen zu ihrem Staatschef ab.
Macrons Mitte-Lager auf Platz 3 nach Linken und Rechtsextremen
Demnach erlitt dessen Mitte-Lager herbe Verluste. Es kam laut Hochrechnungen auf 20 Prozent der Stimmen und wurde deutlich vom rechtsextremen Rassemblement National (RN) mit rund 34 Prozent und dem Links-Bündnis Neue Volksfront mit 28 Prozent überholt. Eine Überraschung waren die Ergebnisse nicht; Umfragen hatten die Rechtsextremen noch höher gesehen.
Der Staatschef hatte noch am Abend der EU-Wahlen die Auflösung der Nationalversammlung angekündigt und kurzfristig Neuwahlen angesetzt. Das Kalkül dahinter bestand wohl darin, dass er seine eigene relative Mehrheit stärken wollte, indem er gemäßigte Politiker der Konservativen und Sozialisten auf seine Seite hätte ziehen können – als Bastion gegen die Rechtsextremen und für eine Bildung einer Großen Koalition.
Macron unterschätzte Ablehnung in Frankreich
Doch während sich die Konservativen spalteten, ohne sich ihm anzuschließen, gelang es den linken Parteien, sich innerhalb kurzer Zeit auf eine Aufteilung aller Wahlkreise zu einigen, um sich nirgends gegenseitig Konkurrenz zu machen und damit die eigenen Chancen zu erhöhen.
Zweifellos unterschätzte Macron auch, auf wie viel Ablehnung im Land er stößt. Selbst Kandidaten seines eigenen Lagers weigerten sich, sein Abbild auf ihr Wahlkampfmaterial drucken zu lassen.
Nun könnte es bei der zweiten Wahlrunde am 7. Juli in etlichen der insgesamt 577 Bezirken anstatt zu Duellen zu Abstimmungen zwischen drei, manchmal gar vier Kandidaten kommen. Und Macrons Bewerber drohen das Nachsehen zu haben, auch wenn Analysten darauf hinweisen, dass das Endergebnis noch schwer vorherzusagen sei.
Das gelte auch angesichts des hohen Interesses der Menschen an dieser Wahl, sagte die Generaldirektorin des Meinungsforschungsinstitutes Odoxa, Céline Bracq. Welchen Einfluss die hohe Beteiligung von knapp 70 Prozent auf das Endergebnis jeweils hat, müsse erst noch analysiert werden. "Sie zeigt jedenfalls, dass es für die Menschen bei dieser Wahl um sehr viel geht", analysierte Bracq.
Absolute Mehrheit für RN noch nicht sicher
Könnte der RN zwar schlussendlich die meisten Abgeordnetensitze erhalten, so bleibt dennoch ungewiss, ob es für eine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung reicht. Nur in diesem Fall will der 28 Jahre alte Parteichef, Jordan Bardella, Premierminister werden und die Regierung stellen. Sollte das nicht gelingen, bliebe Marine Le Pen wohl die Fraktionsvorsitzende der größten Oppositionspartei. Das Parlament wäre demnach noch zersplitterter als bisher, das Regieren noch komplizierter. Etliche von Macrons Abgeordneten oder Verbündete wie sein ehemaliger Premierminister Édouard Philippe oder die Präsidentin der Nationalversammlung, Yaël Braun-Pivet, hatten zu verstehen gegeben, dass sie seine Vorgehensweise, die er nur mit ein paar wenigen engen Beratern abgesprochen hatte, nicht gut hießen.
Auflösung von Nationalversammlung undemokratisch?
Vor wenigen Tagen rechtfertigte sich Macron in einem Podcast, den vor allem jüngere Menschen hören, es habe sich um eine demokratische Entscheidung gehandelt, auch wenn viele ihm dafür zürnten. "Ich habe es gemacht, weil es nichts Größeres und nichts Gerechteres in einer Demokratie gibt als das Vertrauen in das Volk." Zugleich griff der 46-Jährige in dem Gespräch auch der Möglichkeit vor, dass die Rechtsextremen an die Regierung kommen, indem er sagte, das Ergebnis des 7. Juli sei "die Schuld von niemandem". Macrons Amtszeit als Präsident läuft noch bis 2027 – maximal. Danach kann er nicht mehr antreten.
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