Jahresrückblick 2024: Deutsche Wirtschaft schrumpft zum zweiten Mal
München - Die Proteste am Ende dieses Jahres rund um die geplanten Werkschließungen bei Deutschlands größtem Autohersteller VW stehen sinnbildlich für die Unruhen in der deutschen Wirtschaft 2024. In dem bedeutendsten Industriezweig der Bundesrepublik hat sich die Stimmung die letzten Monate stetig verschlechtert, wie Umfragen des Münchner ifo-Instituts zeigen.
Nicht nur dort: In einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen gaben 43 Prozent der Teilnehmer an, dass sie die gesamtwirtschaftliche Lage als "schlecht" bewerten und lediglich acht Prozent als "gut". Wenig verwunderlich, dass das Thema Wirtschaft in Befragungen zuletzt als eines der drängendsten Probleme genannt wurde – neben Zuwanderung und Außenpolitik.

Deutsche Wirtschaft ist zum zweiten Mal geschrumpft
Die deutsche Wirtschaft ist zum zweiten Mal in Folge geschrumpft – ein gesunkenes Jahres-Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist zuvor erst sechsmal in der Bundesgeschichte vorgekommen. Bereits Anfang Oktober ist Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vor die Öffentlichkeit getreten und hat die Frühjahrsprognose eines 0,3-Prozent-Wachstums auf minus 0,2 Prozent korrigiert. In Bayern ist im ersten Halbjahr die Wirtschaftsleistung sogar um 0,6 Prozent geschrumpft.

Aber warum lief und läuft es in der Wirtschaft nicht rund? Bernhard Stiedl, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) Bayern, sagt dazu der AZ: "Viele Branchen, vor allem im Handwerk und in technischen Berufen, leiden unter einem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften, was das Wachstum hemmt."
Bertram Brossardt: "Wir sind in Deutschland zu teuer"
Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), hält es für eine Kostenfrage: "Wir sind in Deutschland zu teuer. Das gilt für die Steuern, die Arbeitskosten und die Kosten für Energie", sagt er der AZ. Zudem seien die bürokratischen Vorgaben hierzulande "unerträglich".
Die Folge: Unternehmen zögern ihre Kapitalanlageentscheidungen hinaus – die Investitionen der Firmen liegen noch immer unter dem Niveau von 2019. Das bestätigt auch die vbw: "Investitionen finden, wenn überhaupt, fast nur noch im Ausland statt." DGB-Bayern-Chef Stiedl sagt, dass zudem in der öffentlichen Infrastruktur, etwa bei Verkehrswegen und Digitalisierung, große Investitionslücken wegen der Schuldenbremse klaffen.

Ein weiterer Grund: Die Aufträge in der Industrie schmelzen dahin. Die Nachfrage aus dem Inland ist so schwach wie seit 2010 nicht mehr. Und auch um die Auslandsnachfrage steht es laut DGB Bayern schlecht. Der geringere private Konsum hilft da nicht: Wegen des hohen Niedriglohnsektors und stark gestiegener Lebenshaltungskosten sei die Kaufkraft und damit der Binnenkonsum geschwächt, sagt Stiedl.
Und auch die Sparquote lag im ersten Halbjahr 2024 mit rund elf Prozent noch höher als 2023, teilte das Statistische Bundesamt Ende Oktober mit. Der Grund laut Bundesbank: Trotz steigender Löhne und fallender Preise zögern Verbraucher, diese Spielräume zu nutzen. Etwa für den Kauf eines E-Autos.
"Es gibt noch immer kein erschwingliches deutsches E-Auto"
Dass die Krise sich besonders in der Autobranche bemerkbar macht, begründet vbw-Chef Brossardt so: "Im Zuge der Transformation in Richtung klimafreundliche Antriebe sind die deutschen Hersteller mit neuen Wettbewerbern konfrontiert, insbesondere aus Asien." In China, dem zweitwichtigsten Absatzmarkt für deutsche Autos, wurde etwa VW (inklusive Audi und Porsche) von dem chinesischen Hersteller BYD abgehängt.

Horst Ott, der Bezirksleiter der IG Metall Bayern, sagt der AZ dazu: "Es gibt immer noch kein erschwingliches E-Modell eines deutschen Herstellers im unteren Preissegment. Die meisten Menschen können sich also gar kein E-Auto eines deutschen Herstellers leisten." Manche Autobauer hätten zu spät auf Entwicklungen auf dem Automarkt reagiert und müssten jetzt Rückstände aufholen.
IG Metall fordert "staatliche Investitionsoffensive"
Niedrige Absatzzahlen treffen laut Brossardt auf hohe Kosten für Wandel bei Antrieb, Automatisierung und Vernetzung. Dass die E-Autoförderung, der sogenannte Umweltbonus, Ende letzten Jahres ausgelaufen ist, war den Absatzzahlen nicht gerade zuträglich, wie die um 26 Prozent eingebrochenen Neuzulassungen von Januar bis November 2024 im Vergleich zum Vorjahr zeigen.
Um die Wirtschaft wieder auf Vordermann zu bringen, fordert die IG Metall eine "staatliche Investitionsoffensive in die öffentlichen Infrastrukturen", wie etwa Schulen und öffentlichen Nahverkehr, in Höhe von etwa 600 Milliarden Euro über zehn Jahre. Außerdem müsse der Ausbau der Erneuerbaren Energien beschleunigt werden, um die Energiekosten langfristig planbar und günstiger zu gestalten. "Die Politik muss schnell den Industriestrompreis deckeln", sagt Ott.
Senkung der Unternehmenssteuer als Lösung?
Vbw-Geschäftsführer Brossardt fordert eine Senkung der Unternehmenssteuern auf "international wettbewerbsfähige 25 Prozent". Auch die Arbeitskosten müssten verringert werden. Zu Letzterem habe die vbw durch ihr Tarifergebnis in der Elektro- und Metallindustrie beigetragen. Brossardt sagt: "Die Planbarkeit der Arbeitskosten leistet einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung."
Hält die Wirtschaftskrise an, verlieren zunehmend Menschen ihre Jobs und die Armut steigt noch stärker. Für 2025 schwanken die bisherigen Prognosen zwischen 0,1 und 1,1 Prozent Wirtschaftswachstum. Zum Vergleich: Die beiden Volkswirtschaften vor Deutschland, USA und China, wuchsen 2023 um 2,5 und fünf Prozent.