Wohnung wegen Eigenbedarf gekündigt: Pflege geht vor

Großonkel und Großtante seien altersbedingt auf ihre Unterstützung angewiesen, argumentierte die Klägerin. Das beklagte Ehepaar muss die Drei-Zimmer-Wohnung verlassen, bekommt aber mit Blick auf den schwierigen Münchner Wohnungsmarkt einen Aufschub für die Räumung.  
Klaus-Peter Jüngst |
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Blick auf das Münchner Gerichtsgebäude mit dem Amtsgericht. (Archivbild)
Blick auf das Münchner Gerichtsgebäude mit dem Amtsgericht. (Archivbild) © Matthias Balk/dpa

München - Die Pflege naher Angehöriger im gleichen Haus rechtfertigt in diesem Fall die Kündigung wegen Eigenbedarfs: Das Amtsgericht München hat entschieden, dass das beklagte Ehepaar seine Drei-Zimmer-Mietwohnung - 77 Quadratmeter in Ramersdorf - zu räumen und an die auf Eigenbedarf klagende Vermieterin herauszugeben.

Eigenbedarf: Wohnung an klagende Großnichte übertragen 

Was war passiert? Die ursprünglichen Vermieter der aufgrund des Mietvertrages zum 1. März 2013 für 759 Euro monatlich (zuzüglich 60 Euro Heizkostenpauschale) überlassenen Wohnung übertrugen diese im Sommer 2020 an ihre klagende Großnichte - gegen eine monatliche Leibrente von 800 Euro.

Die Klägerin verpflichtete sich zudem auf Wunsch der Übergeber - die Ehepartner sind beide über 80 Jahre alt -, sie bei Einkäufen, Besorgungen und bei Arztbesuchen zu unterstützen.

Großonkel und Großtante altersbedingt auf Unterstützung angewiesen

Das Eigenbedarfskündigungsschreiben vom 15. Oktober 2020 begründete die Klägerin damit, für ihre derzeit bewohnte 50 Quadratmeter große und 2,7 Kilometer entfernte Zwei-Zimmer-Wohnung 1.300 Euro Miete zahlen zu müssen.

Großonkel und Großtante seien altersbedingt auf ihre Unterstützung angewiesen. Die Hilfe der Klägerin bei Angelegenheiten des täglichen Bedarfs sei Voraussetzung und Grund für die Übertragung des Eigentums an der Wohnung gewesen, die sich im selben Wohnhaus befände wie die ihrer Verwandten.

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Sie arbeite nicht erst seit Corona im Homeoffice, könne einerseits deswegen im Notfall auch rasch Hilfe leisten und benötige andererseits dafür auch ein Arbeitszimmer. Sie wolle die Wohnung mit ihrem Lebensgefährten und ihren zwei Katzen beziehen.

Die Beklagten halten eine Hilfeleistung auch aus der derzeitigen Entfernung für möglich, die Unterstützung sei zudem auch noch nicht erforderlich.

Vorgerichtliche Vergleichsverhandlungen scheiterten 

Bei engen finanziellen Verhältnissen sei ihnen eine Wohnungssuche nicht zumutbar, argumentierten sie. Ein Umzug verschlechtere die gesundheitliche angeschlagene Situation der Ehefrau erheblich.

Vorgerichtliche Vergleichsverhandlungen waren gescheitert. Die Beklagten hatten für die aufgrund Umzug umgekehrt erforderliche Unterbringung ihrer beiden Katzen in einer Katzenpension 10.220 Euro, für den Ausgleich zu erwartender höherer Miete im Fünf-Jahres-Zeitraum weitere 26.460 Euro gefordert. Die Klägerin bot ihrerseits lediglich 6.250 Euro an.

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Der zuständige Richter am Amtsgericht München gab der Klägerin Recht: "Der Entschluss des Vermieters die Wohnung selbst zu nutzen, ist grundsätzlich zu achten. Der Nutzungswunsch muss aber hinreichend bestimmt und konkret sein und ernsthaft verfolgt werden, er muss von vernünftigen oder nachvollziehbaren Gründen getragen werden und darf nicht rechtsmissbräuchlich sein (…). "

Amtsgericht: "Zeitnahe Hilfsbedürftigkeit ist naheliegend"

Angesichts des aus Sicht des Gerichts "detaillierten und vollumfänglich nachvollziehbaren und glaubhaften Vortrags der Klägerin" bestanden keine Zweifel am Eigennutzungswunsch der Klägerin.

Denn: "Auf den konkreten aktuellen Gesundheitszustand des Großonkels und der Großtante der Klägerin kommt es hierbei gar nicht an. Bereits angesichts des Alters (…) ist eine zeitnahe Hilfsbedürftigkeit derart naheliegend, dass selbst eine aktuell blendender Gesundheitszustand in keiner Weise gegen den Nutzungswunsch der Klägerin sprechen würde."

Auch der attestierte Bluthochdruck der gerade über 70-jährigen Beklagten mit Gefahr von Herzinfarkt und Schlaganfall begründe noch nicht die Annahme einer der Kündigung entstehenden besonderen Härte im Sinne des Gesetzes, so das Amtsgericht.

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Räumungsfrist bis 31. Dezember 2021 verlängert

Dass es unmöglich sei, geeigneten Ersatzwohnraum zu finden, konnte so nicht bestätigen bzw. nachvollziehen: "Die vorgetragenen Bemühungen sich über Onlineportale, in denen gerichts-bekannt ein hohes Aufkommen an Mietinteressenten generiert wird, um die Anmietung einer Wohnung zu bemühen reicht jedenfalls zur Erfüllung der Obliegenheit der Beklagten, eine Ersatzwohnung zu zumutbaren Bedingungen zu finden nicht aus, zumal sich der substantiierte Vortrag allesamt auf Anfragen aus dem Jahr 2021 somit mehr als zweieinhalb Monate nach Erhalt der Kündigung bezieht. (…)"

Das Gericht gewährte allerdings eine Räumungsfrist bis zum 31. Dezember 2021 und erklärte: "Angesichts der glaubhaft geschilderten gesundheitlichen Einschränkungen und des ebenfalls fortgeschrittenen Alters der Beklagten bei gleichzeitig beengten finanziellen Verhältnissen sind diese auf dem Mietmarkt im Großraum München zweifellos unterprivilegiert."

Das Urteil ist nach Rücknahme der Berufung rechtskräftig.


Urteil des Amtsgerichts München vom 09. Juni.2021: Aktenzeichen 453 C 3432/21

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4 Kommentare
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  • KeineMachtDenGrünenDilettanten am 21.11.2021 17:28 Uhr / Bewertung:

    Wo sind die Grünen und die Roten wenn sie ihr Wahlversprechen nach Mieterschutz einlösen sollen. Ganz weit weg.

  • Frale am 21.11.2021 12:22 Uhr / Bewertung:

    Kündigung wegen Eigenbedarfs wird ja immer mehr mißbraucht.... so muss man es auch mal sehen. Ist mir selber passiert, hatte nur bis jetzt keine Kraft und Nerven, dagegen vorzugehen. Und darauf hoffen ja die meisten. Ist so !

  • Dr. Schönfärber am 21.11.2021 12:47 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Frale

    In diesem Fall ist es aber nicht so.

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