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"Unverzichtbare Stütze": Welche Fachkräfte für die Wirtschaft in München besonders wichtig sind

Teil 2 der AZ-Serie zu Europawahl: Etwa ein Viertel der Beschäftigten in München kommt aus dem Ausland – die meisten aus der EU. Kliniken, Stadtwerke und das Rathaus werben noch mehr Menschen an.
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Fast eine Million Menschen arbeitet in München – jeder vierte Werktätige stammt aus dem Ausland.
Fast eine Million Menschen arbeitet in München – jeder vierte Werktätige stammt aus dem Ausland. © imago

München – Würden plötzlich von heute auf morgen die Grenzen wieder dicht gemacht, müssten alle mit einem ausländischen Pass München verlassen – dann würden wohl viele Teile dieser Stadt still stehen. Fast 970.000 Menschen arbeiten in München, davon stammt ein Viertel laut einer Statistik der Arbeitsagentur aus dem Ausland. Seit 2015 ist diese Zahl um mehr als 50 Prozent gestiegen.

Der Anteil der Arbeitnehmer aus der EU ist mit über 110.000 Menschen besonders groß: Als eine "unverzichtbare Stütze für Wirtschaft und Gesellschaft" bezeichnet sie Manfred Gößl, der Chef der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern. Besonders viele haben laut ihm eine kroatische, italienische und rumänische Staatsbürgerschaft. Sie würden in allen Branchen gebraucht, sagt Gößl.

Zum Beispiel in den städtischen Krankenhäusern, dem Konzern "München Klinik". Insgesamt arbeiten dort rund 7600 Menschen, sie stammen laut einer Klinik-Sprecherin aus über 80 Nationen. Rund 14 Prozent der Mitarbeiter haben eine EU-Nationalität – am häufigsten stammen sie aus Kroatien, gefolgt von Griechenland, Italien und Österreich.

In München würde ohne internationale Fachkräfte alles deutlich zäher laufen

Hinzu kommen rund 19 Prozent mit einer Nationalität außerhalb der EU. Neben der Ausbildung und dem Studium hier vor Ort will die München Klinik "auch künftig auf "internationale Fachkräfte setzen", sagt Klinik-Geschäftsführerin Petra Geistberger.

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Auch auf Busse und Tram-Bahnen müsste man in München länger warten und die Versorgung mit Strom und Gas würde nicht mehr reibungslos funktionieren, gäbe es die EU plötzlich nicht mehr. Von den 11.500 Menschen, die bei den Münchner Stadtwerken beschäftigt sind, stammen rund sieben Prozent aus dem EU-Ausland. Und dieser Anteil wird wohl weiter wachsen.

Denn die Stadtwerke setzen auf Personalrecruiting aus dem Ausland, antwortet die Pressestelle auf eine Anfrage der AZ: Seit Ende 2023 bilden sie beispielsweise mit einem Dienstleister Busfahrer in Spanien aus, die dann bei der MVG in München arbeiten sollen. 20 neue spanische Busfahrer sollen noch bis Ende des Jahres anfangen. Außerdem prüfen die Stadtwerke die Möglichkeit, Trambahnfahrer aus Tschechien zu gewinnen. Und es laufen Gespräche, um Facharbeiter und Techniker aus Bosnien und Ingenieure aus Jordanien zu rekrutieren.

38 Prozent der Nachwuchskräfte in München haben Einwanderungsgeschichte

Die Stadt sucht ebenfalls Personal im Ausland. Zum Beispiel läuft laut einem Sprecher aus dem Personalreferat seit 2019 ein Projekt, um Erzieher aus Spanien anzuwerben. "Jahr für Jahr kommen seither spanische Erzieher*innen nach München und bleiben größtenteils langfristig bei uns", antwortet er auf eine AZ-Anfrage.

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38 Prozent der Nachwuchskräfte bei der Stadt haben eine Einwanderungsgeschichte. So wie übrigens 48 Prozent aller Münchnerinnen und Münchner. "Ohne die Kolleginnen und Kollegen aus anderen Nationen würde die Stadtverwaltung nicht funktionieren. Nur gemeinsam halten wir die Stadt am Laufen", ist der Personalchef im Rathaus Andreas Mickisch (SPD) überzeugt.

Die AZ hat vier EU-Münchner gesprochen.

José Daniel Yanes Sanabria aus Spanien: "Mein Gehalt hat sich verdoppelt"

José Daniel Yanes Sanabria (30) arbeitet als Erzieher in einem städtischen Kindergarten am Innsbruck er Ring. Er ist im November 2018 von Teneriffa nach München gezogen. Über das Ankommen sagt er: "Am Anfang hat mich die Dunkelheit im Winter am meisten belastet. Ich komme von einer Insel, wo es fast immer sonnig ist. Und es war auch mit der Sprache schwierig. Ich habe zwar einen Sprachkurs in Spanien gemacht. Aber hier von montags bis freitags nur Deutsch zu hören, ist nicht das gleiche wie von einer CD."

José Daniel Yanes Sanabria ist vor sechs Jahren aus Teneriffa nach München gezogen – und er will bleiben.
José Daniel Yanes Sanabria ist vor sechs Jahren aus Teneriffa nach München gezogen – und er will bleiben. © Sigi Müller

"Am Anfang war es mir richtig unangenehm, Deutsch zu sprechen. Inzwischen denke ich, dass ich hier bleiben will. Ich habe sogar eine deutsche Rentenversicherung abgeschlossen. Hier in München habe ich mehr Lebensqualität und mehr Möglichkeiten mich weiterzuentwickeln. Mein Gehalt hat sich verdoppelt. Ich habe Erzieher in Spanien gelernt, aber dort gibt es pro Gruppe immer nur einen Erzieher. Man ist alleine für zwölf Kinder gleichzeitig zuständig. Das heißt, es gibt weniger Arbeitsstellen als hier.

Ich habe deshalb auf Teneriffa im Hotel als Animateur gearbeitet, parallel meine Ausbildung im Kindergarten. Dann bin ich auf eine spanische Firma gestoßen, die Erzieher für Deutschland gesucht hat. Bis dahin konnte ich kaum Deutsch. Diese spanische Firma hat mir aber einen Sprachkurs angeboten und hat den Umzug für mich organisiert. Ich liebe es, mit Kindern zu arbeiten. Hier werden Kinder zu mehr Freiheit erzogen – das mag ich."

Fani Papazisi aus Griechenland: "Mir hat nie jemand Steine in den Weg gelegt"

Fani Papazisi (52) leitet die Station der operativen Gynäkologie in der Frauenklinik in Schwabing. Sie ist 1993 von Thessaloniki in Griechenland nach München gezogen. Als sie in ihrer Heimat gerade ihre Pflege-Ausbildung abgeschlossen hatte, beschloss sie, auszuwandern.

Die Töchter von Fani Papazisi sind beide Lehrerinnen.
Die Töchter von Fani Papazisi sind beide Lehrerinnen. © Sigi Müller

Sie erzählt: "Als junger Mensch hat man Visionen. Es ging mir damals auch nicht ums Geld. Ich wollte einfach wissen, ob ich in einem anderen Land Fuß fassen kann. Und das ist ein großer Unterschied zu vielen, die heute kommen. Am Anfang hat mich die deutsche Disziplin überrascht. Wenn man in Griechenland zehn Minuten zu spät kommt, stört das niemanden. Hier ist das anders, das mag ich. Beruflich hat mir nie jemand Steine in den Weg gelegt. Ich habe vier Weiterbildungen gemacht und bilde inzwischen selbst aus.

Auf unserer Station haben 70 Prozent einen Migrationshintergrund. Die Pflegekräfte kommen nicht nur aus der EU, auch aus Indien, Georgien und Afghanistan. Wenn die wegfallen würden, würde das System zusammenbrechen. Und der interkulturelle Austausch ist so wichtig. Es war für mich nie ein Thema zurückzukehren. Meine zwei Töchter sind mit dem Studium fertig und arbeiten hier als Lehrerinnen."

Rémi Skler aus Frankreich: "Ich bin ein Kind Europas"

Rémi Skler (28) ist zum Studium her gezogen. Inzwischen arbeitet er hier als Ingenieur. Ursprünglich kommt er aus Belfort in Frankreich. Er sagt: "Als ich nach München gekommen bin, war meine Idee eigentlich bloß ein paar Monate zu bleiben, um meinen Master zu machen, damit ich danach überall auf der Welt arbeiten kann. Ich habe Bauingenieurswesen studiert. Inzwischen sind sechseinhalb Jahre vergangen – und ich arbeite für die Deutsche Bahn."

Der Franzose Rémi Skler wollte eigentlich nur ein paar Monate in München bleiben. Jetzt lebt er hier.
Der Franzose Rémi Skler wollte eigentlich nur ein paar Monate in München bleiben. Jetzt lebt er hier. © Sigi Müller

"Am Anfang war es für mich schwierig, in München anzukommen. Hier ist es nicht wie in Spanien oder Italien, wo dich die Leute sofort ansprechen. Deutsche Kontakte hatte ich am Anfang wenig. Seitdem ich arbeite und mich mehr auf Deutsch unterhalte, hat sich das verändert. Inzwischen ist München mein Zuhause geworden.

Aber das heißt nicht, dass ich mein ganzes Leben hier bleiben will. Ich würde mich als Kind Europas bezeichnen. Mein ganzes Leben wäre ein anderes, würde es Europa nicht geben. Ich war schon als Schüler zweimal für einen Austausch in Deutschland. Heute besteht fast mein ganzer Freundeskreis aus europäischen Ausländern. Wir sprechen hauptsächlich Englisch, aber auch mal Deutsch, Italienisch oder Französisch."

Tonka Cuic aus Kroatien: "Die Freiheit der EU ist das höchste Gut"

Tonka Cuic (47) arbeitet als Finanzcontrollerin. Sie zog als Kind von Kroatien nach München. Sie erzählt: "Wir stammen aus dem ehemaligen Jugoslawien, dem heutigen Kroatien. Damals war es dort so wie in der DDR. Wer nicht auf Linie der Politik war, hatte es schwer. Mein Vater war ein Gegner des Regimes, eigentlich war er Lastwagen- und Krankenwagenfahrer, aber er hat keinen Job mehr bekommen. Also ist er 1968 nach München ausgewandert."

An der Grenze zu Kroatien musste Tonka Cuic als Kind gemeinsam mit ihren Eltern stundenlang warten.
An der Grenze zu Kroatien musste Tonka Cuic als Kind gemeinsam mit ihren Eltern stundenlang warten. © Sigi Müller

"Ich bin 1990 nachgezogen, damals war ich zwölf Jahre alt. Ich habe mich gefreut und meinen Eltern vertraut, die mir gesagt haben, dass das der Ort ist, wo wir unsere Ziele erreichen können. Damals war aber alles noch viel komplizierter als heute: Zum Beispiel musste mein Bruder in Kroatien bleiben, weil er mit 17 schon zu alt war, um mit der Familie auszureisen.

Ich erinnere mich auch noch gut daran, wie mühsam es vor dem Jugoslawien-Krieg war, von Deutschland über die Grenze nach Kroatien zu kommen. Wir standen stundenlang in einer Schlange und wurden gefilzt, ob wir zum Beispiel Kaffee mitbringen. Wir Kinder wurden getrennt von den Eltern befragt und hatten natürlich Angst. Für mich ist die Freiheit, die die EU mit sich bringt, das höchste Gut."

Hintergrund: So steht es in den Wahlprogrammen der deutschen Parteien

Diese Ideen gibt es zum Thema "Fachkräfte".

  • CSU: "Wir wollen Kriterien entwickeln, die eine Vergleichbarkeit der Bildungsabschlüsse in allen Bereichen (Schule, Hochschule sowie berufliche Bildung) gewährleisten."
  • SPD: Wir wollen "die grenzüberschreitende Vermittlung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen erleichtern. Unser Ziel ist es, dass jede und jeder, der dies möchte, bis zu seinem 25. Lebensjahr mindestens eine durch ERASMUS+ geförderte Lernerfahrung im Ausland machen kann."
  • Grüne: "Wir wollen die Position der Bewerber*innen verbessern, indem europaweit vergleichbare Anerkennungsverfahren (für Berufsabschlüsse) eingeführt werden." FDP: Wir wollen "ein zentrales Online-Bewerbungsportal für die EU" einführen.
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  • UlrichStein am 26.05.2024 17:34 Uhr / Bewertung:

    Meine Freundin liegt grad im Krankenhaus, ohne Ausländer könnte man den Laden dicht machen. Würde überhaupt nicht gehen, und jetzt, wo die Boomer alt werden, verschlimmert sich das ständig. Man bräuchte eine Anwerbeoffensive und natürlich bezahlbaren Wohnungsbau.

  • Der wahre tscharlie am 26.05.2024 15:52 Uhr / Bewertung:

    Grundsätzlich ein guter Artikel, der zeigt, wieviel ausländische Fachkräfte bei uns arbeiten.
    Andererseits stell ich mir die Frage, ob manche Menschen nicht dann in ihrem Heimatland fehlen. Z.B. Klinikpersonal.
    Ändert aber nichts daran, dass München eine weltoffene und bunte Stadt ist.
    Das größte Ärgernis aber sind die Anerkennungen der Abschlüsse. Das dauert viel zu lange.

  • Himbeer-Toni am 26.05.2024 11:18 Uhr / Bewertung:

    Vollkommen richtig! Unsere ausländischen Kräfte sind unverzichtbar für unser Land. Wir könnten unser Land zusperren wenn wir diese Leute nicht hätten. Die hetzen genau so wie alle anderen jeden Morgen zur Arbeit, zahlen Steuern, Sozialbeiträge und erarbeiten sich ihr Auskommen selbständig. Es gibt überhaupt keinen Grund gegen diese Menschen Vorbehalte zu haben.
    Nur...in den Diskussionen geht es ja gar nicht um diese Leute,
    sondern um eben ganz andere Zuwanderer. Das ist der Unterschied in der Diskussion.

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