Personalmangel in München: Stadt setzt jetzt auf Fachkräfte aus der Türkei

Um den Personalmangel in der Pflege zu mildern, hat die Stadt junge Fachkräfte aus der Türkei angeworben. Die Hoffnung ist, dass manche von ihnen langfristig bleiben.
Anna-Maria Salmen |
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Sahsenem Korkmaz, Dilon Turkek und Firdevs Nur Atas (von links) freuen sich auf ihr Abenteuer in München. Noch ist vieles fremd für die jungen Türkinnen, die neue Sprache ist schwer. Aber die Stadt gefällt ihnen.
Sahsenem Korkmaz, Dilon Turkek und Firdevs Nur Atas (von links) freuen sich auf ihr Abenteuer in München. Noch ist vieles fremd für die jungen Türkinnen, die neue Sprache ist schwer. Aber die Stadt gefällt ihnen. © Daniel von Loeper

München - Die Aufregung ist den jungen Menschen deutlich anzusehen: Blickt man in ihre Gesichter, sieht man meist ein zufriedenes Lächeln und ein Strahlen in den Augen. "Es ist ein großes Abenteuer", sagt Zehra Ud. Gemeinsam mit mehreren anderen jungen türkischen Fachkräften ist die 22-Jährige erst vor Kurzem nach München gekommen. In den nächsten Monaten sollen sie hier mit ihrem Fachwissen Einrichtungen für behinderte Menschen unterstützen - und vielleicht bleibt die ein oder andere dann sogar langfristig.

Hintergrund des vom Kreisverwaltungsreferat angeregten Projekts ist der Fachkräftemangel, der die gesamte Pflegebranche schon seit Jahren vor Schwierigkeiten stellt. In der Altenpflege sei das Problem gesellschaftlich allgemein bekannt, sagt Kreisverwaltungsreferentin Hanna Sammüller-Gradl (Grüne). Doch dass Behinderteneinrichtungen mit derselben Personalknappheit zu kämpfen haben, gehe im Bewusstsein der Menschen oftmals unter.

Personalmangel in der Arbeit mit Behinderten

Denn geeignete Fachkräfte zu finden sei alles andere als einfach: "In der Arbeit mit behinderten Menschen braucht man nicht nur die entsprechende Ausbildung, sondern auch Herz und Leidenschaft", so Sammüller-Gradl. Gemeinsam mit dem Referat für Arbeit und Wirtschaft ging das KVR also auf die Suche nach einer möglichst unbürokratischen und schnell umsetzbaren Lösung - und fand sie in der Anwerbung ausländischer Fachkräfte. "Zuwanderung ist der Motor, den wir brauchen", sagt Sammüller-Gradl.

Über eine Kooperation mit der Atatürk-Universität im türkischen Erzurum konnte man schließlich mehrere junge Menschen mit abgeschlossenem Studium für das Projekt gewinnen. Vor wenigen Monaten kamen die Türkinnen und Türken in München an und leben sich seitdem immer besser in der Stadt ein.

Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner (CSU) ist beeindruckt vom Mut der jungen Fachkräfte, wie er sagt. Einige von ihnen kämen aus dem Gebiet, das im Februar von einem schweren Erdbeben erschüttert und zerstört worden war. "Sie haben Haus und Hof verloren", sagt Baumgärtner.

Fachkräfte kommen aus Erdbebengebiet in der Türkei

Trotzdem würden sie sich trauen, neu anzufangen - in einem fremden Land, mit einer unbekannten Sprache und in einem fordernden Beruf. München sei aber genau die richtige Stadt dafür, davon ist Baumgärtner überzeugt. "Es ist eine freundliche Stadt."

Migration sei hier "schon immer völlig normal" gewesen, wie der Wirtschaftsreferent mit Bezug auf die Gastarbeiter anmerkt, die schon in den Sechzigerjahren in die Stadt kamen. "Ich glaube, dass München eine sehr gute zweite Heimat werden kann."

Das glauben auch viele der jungen Leute, die sich nun für den Neuanfang entschieden haben. Noch fällt die fremde Sprache vielen schwer, wie sie sagen. "Aber wir lernen jeden Tag", erzählt Zehra Ud.

Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner und Kreisverwaltungsreferentin Hanna Sammüller-Gradl.
Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner und Kreisverwaltungsreferentin Hanna Sammüller-Gradl. © Daniel von Loeper

"Ich möchte sehr gerne in Deutschland arbeiten und Menschen mit Behinderung helfen", sagt Sahsenem Korkmaz. Die 23-Jährige hat sich aber eigenen Worten zufolge auch für den Umzug nach München entschieden, um neue Erfahrungen zu sammeln und eine andere Kultur kennenzulernen.

Münchens türkische Community ist groß

Leicht war es für sie und ihre Kolleginnen allerdings nicht, ihre Heimat zu verlassen. Am Anfang sei es sehr schwierig gewesen, sagt Zehra Ud. Die Familien der jungen Leute sind schließlich in der Türkei, in München war zunächst alles fremd: "Neue Menschen, neue Sprache, neue Kultur." Doch unter ihren türkischen Kolleginnen habe sie schnell gute Freundinnen gefunden.

Insgesamt 22 junge Menschen sind für das Projekt aus der Türkei nach München gekommen. Vor zwei Jahren hat das KVR bereits ein ähnliches Programm gestartet, im Gegensatz zu heute kamen damals Auszubildende, die in den Einrichtungen der Münchenstift halfen. Mit Erfolg: Mehrere von ihnen entschieden sich im Anschluss dafür, ihre Ausbildung in Deutschland fortzusetzen.

Fachliche Weiterbildung und Deutschkurse

Das aktuelle Programm für die jungen Akademiker von der Atatürk-Universität dauert nun ein Jahr lang. Im Verlauf des Projekts absolvieren sie verschiedene Module, die ihre fachliche Qualifikation noch weiter steigern sollen. Hinzu kommen Deutschkurse zwei Mal pro Woche.

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In den Behinderteneinrichtungen werden die Fachkräfte als Freiwillige eingesetzt - sie bekommen also kein Gehalt, sondern nur ein kleines Taschengeld. Die Unterkünfte stellen daher die Einrichtungen kostenlos zur Verfügung. Die Hoffnung: Nach Abschluss des Programms könnte der ein oder andere sich dazu entscheiden, langfristig in München zu bleiben und als Fachkraft zu arbeiten.

Zukunftskonzept für Münchens Pflege?

Sahsenem Korkmaz, Zehra Ud und ihre Freundinnen Firdevs Nur Atas und Dilon Turkek können sich das durchaus vorstellen, wie sie sagen. Die jungen Frauen sind eigenen Worten zufolge zufrieden in München und fühlen sich wohl. "Die Leute sind sehr nett", sagt Dilon Turkek.

Auch für die Zukunft sind sie zuversichtlich: "Alles ist möglich in München, wenn man will", sagt Sahsenem Korkmaz mit einem Lächeln.

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34 Kommentare
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  • Wickie712 am 07.07.2023 07:49 Uhr / Bewertung:

    Solange Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen gewinnorientiert arbeiten sollen, wird sich nichts ändern.
    Die Arbeitsbedingungen sind grenzwertig, wenig Personal für viele Klienten.

  • Vesuv am 06.07.2023 22:24 Uhr / Bewertung:

    In der Arbeit mit behinderten Menschen braucht man nicht nur die entsprechende Ausbildung, sondern auch Herz und Leidenschaft... UND DIE SPRACHEEEEE.!!!.
    Patient klingelt, "Fachkraft" kommt rein, versteht kein Deutsch, geht wieder raus... Das passiert täglich in Pflegeheim bei meine Mutter. Echt traurig!

  • Witwe Bolte am 07.07.2023 10:47 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Vesuv

    Erschwerend kommt hinzu, wenn der Patient Dialekt spricht - wie bei vielen älteren Bürgern noch der Fall ist. Da versteht die Pflegefachkraft oft nur "Bahnhof". Bei meiner alten Tante war das so, sie sprach original schwäbisch, die 24 Std.-Pflegerin, die bei ihr wohnte, eine Polin, nur ganz schlecht deutsch.
    Somit war eine Unterhaltung oder seelische Aufmunterung kaum möglich.
    In den Heimen ist es ähnlich. Satt u. sauber: zu mehr reichts oft nicht, allein schon aus sprachlichen Gründen.

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