Vorsitzender der Polizeigewerkschaft über Präventivhaft für Klimaaktivisten: "Der Staat muss sich wehrhaft zeigen"
AZ-Interview mit Jürgen Köhnlein: Der Polizeibeamte aus Kulmbach ist Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) in Bayern.
AZ: Herr Köhnlein, welche Erfahrungen hat die bayerische Polizei mit der Präventivhaft nach dem bayerischen PAG gemacht?
JÜRGEN KÖHNLEIN: Nach dem bayerischen Polizeiaufgabengesetz kann eine Person vorübergehend in Gewahrsam genommen werden, wenn "das unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder einer Straftat zu verhindern". Dieses Instrument ist für die Arbeit der Bayerischen Polizei sehr wichtig und kann punktuell wirksam angewendet werden.

Folgen die Richter in aller Regel den von Polizei und Staatsanwaltschaft vorgebrachten Anträgen?
Eine prozentuale Anzahl, ob und in welcher Form Richter auf Anträge der Polizei reagieren, liegt uns nicht vor. Dass Richter bei der Länge des Gewahrsams sehr wohl differenziert entscheiden können, zeigt das Beispiel in München, wo ausländische Aktivisten, die eine Rückfahrkarte für den nächsten Tag hatten, auch nur so lange in Gewahrsam gehalten wurden. Andere wurden länger in Gewahrsam gehalten. Auch wurden aktuell Gewahrsamnahmen beendet, als bekannt wurde, dass es temporär keine Störungen mehr geben soll.
Muss etwas an der Rechtsgrundlage (PAG) oder der Praxis geändert werden oder hat sich die Regelung bewährt?
Das PAG und die darin enthaltenen Gewahrsamsbestimmungen - auch Dauer des Gewahrsams - unterliegen ständig Veränderungen. So trat zum 1. August 2017 das Gesetz zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen in Kraft. Bis zu diesem Zeitpunkt war der polizeiliche Gewahrsam auf eine Dauer von maximal zwei Wochen begrenzt. Die Neuregelung des Artikels 20 Satz 1 Nummer 3 Polizeiaufgabengesetz (PAG) sah dann zunächst eine maximale Dauer von drei Monaten für die erste Anordnung vor, diese konnte um jeweils wiederum bis zu drei Monate verlängert werden. Die Präventivhaft hatte keine absolute zeitliche Obergrenze. Diese drei Monate Gewahrsam wurden zwischen Mitte 2018 und Mitte 2019 nur einmal im Fall einer richterlich festgestellten Gefahr von Leben und Gesundheit verhängt. In einem Terror-Gefährder-Fall.
Ginge es auch ohne "Präventivhaft"?
Gibt es nicht auch politisch motivierte Festnahmen?
Schon vor Jahrzehnten sorgten Veränderungen für Diskussionen: So wurde zum Beispiel die Verlängerung des Gewahrsams auf 14 Tage Ende der 80er Jahre schon damals fälschlich und einseitig als "Lex Wackersdorf" bezeichnet. Unstrittig gehörten auch die Vorfälle rund um Wackersdorf mit dazu - ein weiterer und ebenso wichtiger sowie ganz aktueller Grund waren damals aber auch die sogenannten "Hess-Einsätze" in und um Wunsiedel und die Erfahrungen, dass die Rechtsextremen unmittelbar nach den zwei Tagen wieder dort aufgetaucht sind, was man unterbinden wollte und auch tat. Das damalige Vorgehen gegen diese Personen wurde insbesondere auch von den Medien grundsätzlich akzeptiert.
Ginge es auch ohne "Präventivhaft"?
Wir begrüßen die Möglichkeit, Klimaaktivisten einen Monat lang präventiv in Gewahrsam zu nehmen. Der Staat muss sich wehrhaft zeigen. Solche Präventivmaßnahmen sind notwendig, um Straftaten, die angekündigt werden und die offenkundig kurz bevorstehen, zu verhindern. Ohne dieses Instrument wäre eine polizeiliche Gefahrenabwehr wesentlich erschwert.
Müssen die Betroffenen das nicht als Strafe ohne Gerichtsurteil empfinden?
Der Gewahrsam ist keine Strafe, sondern eine Maßnahme, um Straftaten, die angekündigt werden, zu verhindern. Dass der Gewahrsam eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit beinhaltet, ist zwangsläufig. Da sich der Gefahrenbegriff auf die Bedrohung beziehungsweise Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung richtet, fallen natürlich nicht nur Rechts- und Linksextreme darunter. Aktuell eben dann auch Klimakleber.
- Themen:
- München
- Polizei
- Polizei Bayern