"Unser Herz ist schwer": Wie ukrainische Künstler im Circus Krone leiden

Sie erfreuen das Publikum im Circus Krone – und haben Angst um ihre Familien: ukrainische Artisten und Musiker. In der AZ erzählen sie darüber.
Annette Baronikians |
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Sorgenvolle Gesichter: (v.l.) Orchester-Chef Oleksandr, Trompeter Oleh, die Bingo-Artisten Khristina, Victoria und Mykyta sowie Krone-Mitarbeiterin Alla.
Sorgenvolle Gesichter: (v.l.) Orchester-Chef Oleksandr, Trompeter Oleh, die Bingo-Artisten Khristina, Victoria und Mykyta sowie Krone-Mitarbeiterin Alla. © Annette Baronikians

München - Das Handy klingelt und augenblicklich zucken alle zusammen. Die Angst ist förmlich spürbar. Doch Victoria kann Entwarnung geben: "Ist ok. Nur Lena wegen unserer Kostüme." Ein Mann holt tief Luft, ein anderer wischt sich verstohlen über die Augen. Man spürt Erleichterung, aber die Stimmung bleibt bedrückend.

"Es ist schrecklich, jedes Mal wenn es klingelt, erschrecken wir, müssen wir mit dem Schlimmsten rechnen", sagt Victoria: "Wir haben Angst und unser Herz ist schwer."

Ukrainische Artisten und Musiker begeistern im Circus Krone

Dennoch sorgen sie und ihre Kollegen und Kolleginnen Tag für Tag dafür, anderen Menschen Freude zu bringen. Victoria, Anastasia, Mykailo, Oleh, Lena und all die anderen sind Künstler, Zirkuskünstler.

Ein Teil der Bingo-Artisten-Gruppe im Zirkus-Outfit.
Ein Teil der Bingo-Artisten-Gruppe im Zirkus-Outfit. © Circus Krone

Derzeit erfreuen sie mit ihren artistischen oder auch musikalischen Spitzenleistungen die großen und kleinen Besucher im Circus Krone. In der Regel neunmal in der Woche bescheren sie den Zirkusfans im Krone-Bau unbeschwerte, fröhliche Stunden - obwohl es tief in ihnen drin ganz anders aussieht.

Die Freude im Circus Krone nach langer Corona-Pause wehrte nur kurz

Ihre Heimat ist die Ukraine, und damit ist im Grunde schon alles gesagt. Während die ukrainischen Künstler in München mit ihrem Können begeistern und Freude bringen, treiben sie große Sorgen und Ängste über Familie und Freunde um.

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"Als wir am 12. Februar mit dem Flugzeug aus der Ukraine kamen, waren wir voller Freude", erzählt ein Mitglied der jungen preisgekrönten Artisten- und Showgruppe Bingo, die aus der berühmten Zirkusschule in Kiew kommt: "Wir waren glücklich, nach der langen coronabedingten Pause wieder auftreten zu können. Was dann passiert ist, verschlägt einem den Atem." Für Putins Angriffskrieg auf ihr Land finden sie alle kaum Worte.

Alla, die bei Krone in der Verwaltung arbeitet, hatte einen ukrainischen Vater und eine russische Mutter. "Ich bin im Schock und ich schäme mich. Ich habe Verwandte auf beiden Seiten. Die Bilder im Fernsehen kann ich kaum ertragen. Wie kann es in unserer Zeit so einem grausamen Krieg geben?", sagt sie mit tränenerstickter Stimme.

Artisten aus Russland sind diesmal keine im Krone-Programm dabei. Doch es gibt einige russische Zirkus-Mitarbeiter - und die leiden mit ihren ukrainischen Kollegen mit.

Das Krone-Orchester: neun Musiker, die alle in der Ukraine leben.
Das Krone-Orchester: neun Musiker, die alle in der Ukraine leben. © Circus Krone

"Wir bekommen auch viele Nachrichten von russischen Kollegen, die selbst verzweifelt sind und uns ihr Mitgefühl aussprechen", erzählt Oleh, Trompeter im neunköpfigen Krone-Orchester, dessen gesamte Musiker aus der Ukraine sind.

Zur Erleichterung aller funktioniert es nach wie vor, mit den Angehörigen in der Heimat zu telefonieren, und das tun sie täglich mehrmals.

"Bevor ich auftrete, muss ich noch die Stimme meiner Mutter hören. Ich muss hören, dass in dem Übel alles soweit noch stimmt", sagt ein Artist und vermeidet mit aller Kraft, das auszusprechen, was er eigentlich meint und fürchtet: Dass es seiner Familie so gehen könnte, wie der eines Freundes, dessen Wohnhaus zerbombt wurde. Eine Frau ist tot.

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Stockend erzählt die in der Manege so energiegeladene Artistin Victoria von ihrem 32-jährigen Freund: "Er kämpft auf der Straße." Mykyta, der mit seiner Bodenakrobatik begeistert, fügt leise hinzu: "Mein Bruder hebt Schützengräben aus."

Dass die Zirkuskünstler in diesen Zeiten in München sind, "zerreißt uns irgendwie innerlich, wenngleich wir sehr froh sind, hier zu sein", wie ein Artist formuliert. Ihre Angehörigen in der Ukraine sind beruhigt, sie in Sicherheit zu wissen.

Viele Angehörige sind auf der Flucht - hier sind sie willkommen

Hier tun die ukrainischen Künstler, was sie können, um ihrem Land und ihren Landsleuten etwas beizustehen. Wie die Frau von Krone-Orchesterchef Oleksandr, die tatkräftig beim Beladen von Lastwagen dabei ist, unterstützen sie Hilfsaktionen, für die sie sehr dankbar sind.

Große Hilfsbereitschaft gibt es vom Circus Krone selbst. Das Credo des ohnehin seit jeher sehr sozial agierenden Münchner Unternehmens mit Weltruf: "Wir helfen, wo wir können", wie Frank Keller, Krones circensischer Berater, betont.

Orchester-Chef Oleksandr spielt im Circus Krone ein Lied für die Heimat.
Orchester-Chef Oleksandr spielt im Circus Krone ein Lied für die Heimat. © Circus Krone

Zahlreiche Angehörige ukrainischer Zirkuskünstler sind auf der Flucht, und bei Krone ist man bereits vorbereitet, sie willkommen zu heißen: Von Wohnraum bis Verpflegung, alles wird gestellt.

So hofft beispielsweise eine Artistin, dass sie bald ihre beiden erst acht- und 15-jährigen Brüder in die Arme schließen kann. Ein Musiker erwartet sehnlichst seine Frau und seine drei Kinder. Wie die Künstler aus der Ukraine können auch all deren Angehörige in Krones Obhut bleiben, so lange sie wollen.

Begeistert mit seiner fantastischen Körperkunst: Spitzen-Artist Mykyta.
Begeistert mit seiner fantastischen Körperkunst: Spitzen-Artist Mykyta. © Circus Krone

"Wir danken sehr für die offenen Arme", sagt ein Musiker, und spricht damit für alle. "Eine Selbstverständlichkeit in der großen Zirkus-Familie", betont Frank Keller, und so ist es auch ebenso selbstverständlich für Victoria, Khristina, Mykyta und ihre Kollegen, weiterhin in der Manege anderen Menschen Freude zu bringen.

"Das ist doch unser Job", sagt ein junger Musiker: "Auch wenn unser Herz zurzeit wehtut."

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6 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
  • Fußball-Fan am 13.03.2022 13:29 Uhr / Bewertung:

    Ja, die Menschen in der Ukraine leiden. Die Tiere im Zikus Krone auch. Tierquälerei ist also kein Problem?

  • Futurana am 13.03.2022 15:55 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Fußball-Fan

    Wo steht das im Artikel?

  • Der Münchner am 13.03.2022 12:48 Uhr / Bewertung:

    Und wer bedauert die russischen Artisten?

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