Wenn Tiere überfordern: Das steckt hinter "Animal Hoarding"
München - Schichten von Kot, herumliegende Kadaver und ansteckende Krankheiten. In diesem Zustand haben die Behörden vor zwei Jahren im Landkreis Miesbach einen Hof vorgefunden. 139 Hunde und Katzen wurden der verantwortlichen Familie entzogen, die kürzlich vor dem Verwaltungsgericht München mit ihrer Anfechtung gescheitert ist.
Diese Form der Haltung nennt sich "Animal Hoarding", also das Sammeln von Tieren. Dabei werden krankhaft so viele Tiere gehortet, dass die Mindestanforderungen für Pflege und Versorgung nicht mehr für alle gewährleistet werden können.
139 Hunde und Katzen gehortet: Katastrophale Umstände für die Tiere
Die Wohnung, das Haus oder das Gelände sind dabei in einem bedenklichen hygienischen Zustand. Katzentoiletten, Käfige oder Zwinger sind etwa stark verschmutzt. Die Tiere sind oft unterernährt, was an schlechtem Fell oder an hervorstehenden Knochen zu erkennen ist.
Sie vermehren sich stetig weiter, weil sie nicht kastriert oder nach dem Geschlecht getrennt werden. Und der Platz ist für die Anzahl an Tieren nicht ausreichend. So haben etwa zehn Katzen nicht in einer Zwei-Zimmer-Wohnung Platz.
Zahllose Fälle von "Animal Hoarding" in Deutschland
Der Deutsche Tierschutzbund sammelt seit 2008 Informationen zu solchen Fällen und hat bisher mehr als 35.000 betroffene Tiere protokolliert. Allein 2022 gab es 78 "Animal Hoarding"-Fälle mit 4506 Opfern – mehr als jemals zuvor.
Über 60 Prozent der gehorteten Tiere sind laut der Tierschutzorganisation Peta krank. In fast jeder dritten derartigen Haltung werden auch Kadaver aufgefunden. So auch bei einem Fall im Jahr 2018 in Würzburg: 2000 Schweine sind dort verendet, weil der zuständige Landwirt nicht mehr in seinen Stall ging.
"Das steigert sich dann immer weiter": Wenn die Tierliebe außer Kontrolle gerät
"In der Regel sind das tierliebe Menschen, die mit ein paar Tieren anfangen. Das steigert sich dann immer weiter", sagt Lydia Schübel, Abteilungsleiterin für Tierschutzinspektionen beim Tierschutzverein München, der AZ.
Sie und ihre Kollegen unterstützen betroffene Menschen und Tiere. "Die Leute wollen nicht zugeben, dass sie überfordert sind." Häufig handele es sich dabei um Menschen, die nicht "Nein" sagen könnten und den Tieren einfach helfen oder sie retten wollten.
Kerstin Celina (Grüne): Psychische Nachsorge für die Menschen hat man nicht auf dem Schirm"
Der Deutsche Tierschutzbund weist darauf hin, dass hinter den Fällen oft Menschen mit einer psychischen Erkrankung stehen. Die Betroffenen sind dann nicht oder nur eingeschränkt in der Lage zu erkennen, dass es ihren Tierchen schlecht geht. Eine Ursache sei etwa die fehlende Beziehung zu Menschen in der Kindheit, heißt es in einer im "Canadian Veterinary Journal" veröffentlichten Studie. Unter dem Horten leiden neben den Tieren das direkte Umfeld, wie etwa die Familie oder die Nachbarschaft, und die eigene Gesundheit.

Kerstin Celina, sozialpolitische Sprecherin bei den Grünen, beklagt, dass Animal Hoarding als psychisches Problem nicht ernstgenommen und so die Ursache nicht bekämpft werde.
"Psychische Nachsorge für die Menschen hat man überhaupt nicht auf dem Schirm", sagt sie der AZ. Ein gefährliches Versäumnis, denn: Der Deutsche Tierschutzbund warnt, dass bei einer fehlenden psychologischen Betreuung von "Animal Hoarder*innen" die Rückfallquote bei 100 Prozent liege.
Kerstin Celina fordert Entlastung für die Tierhalter
Celina fordert daher: mehr Forschung, eine Kampagne zur Aufklärung und niederschwellige Hilfsangebote wie etwa eine anonyme Meldestelle für Betroffene. Bereits jetzt gibt es die Möglichkeit, sich bei Tierschutzorganisationen oder örtlichen Tierheimen für Hilfe zu melden.
"Das muss aber auch offensiv beworben werden", sagt Celina. "Nicht auf die Fälle warten, bis sie ganz spät erkannt werden und es nur noch die Behördenkeule und Gerichtsverfahren gibt." Prävention ist für sie der Schlüssel.
Die ist nicht nur wichtig für die Gesundheit der Tiere, sondern auch für das finanzielle Wohlergehen der Betroffenen und der Kommunen. Fälle wie in Miesbach verursachen Kosten in sechsstelliger Höhe. Und die muss die Kommune beim Verursacher eintreiben.
"Das ist nicht realistisch", kritisiert die Grünen-Politikerin. Denn die Tierhalter seien meist auch finanziell überfordert. Es müssen jedoch nicht alle Tiere zwangsläufig ins Tierheim kommen. So wäre laut Celina ein Kompromiss, etwa nur drei Viertel der Tiere abzugeben und die Halter so psychisch zu entlasten. Anschließend könne man überprüfen, ob die Haltung inzwischen besser funktioniere.
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