"Massive Missstände": Tierschützer mit schockierenden Entdeckungen auf dem Schlachthof Aschaffenburg

In einem Schlachthof in Aschaffenburg spielen sich grausame Szenen ab. Die zuständige Ärztin sieht weg. Ein Tierschützer klärt über das perfide System auf.
Maximilian Neumair |
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Im Schlachthof Aschaffenburg wurden Schweine mit Elektroschocks gequält und zuteilen unbetäubt getötet.
Im Schlachthof Aschaffenburg wurden Schweine mit Elektroschocks gequält und zuteilen unbetäubt getötet. © Soko Tierschutz e. V.

Aschaffenburg - Nicht ausreichend betäubten Schweinen werden die Augen herausgerissen. Eine Kuh reagiert noch, während man versucht, ihr die Beine abzuschneiden. Schlächter versuchen mehrfach, ein Schwein zu betäuben, bis sie lachend feststellen, dass das entsprechende Gerät gar nicht eingeschaltet ist. Die amtliche Tierärztin und ihre Mitarbeiter stehen dabei nur wenige Meter entfernt.

Davon zeugen Videoaufnahmen des kürzlich geschlossenen Schlachthofs Aschaffenburg, die die "Soko Tierschutz" zugespielt bekommen hat. "Ich habe selten so viele Missstände gesehen", sagt "Soko"-Gründer Friedrich Mülln der AZ. Die Vergehen seien nicht nur in der Schwere, sondern auch in der Häufigkeit massivst.

Eine geschlachtete Kuh auf dem Schlachthof Aschaffenburg.
Eine geschlachtete Kuh auf dem Schlachthof Aschaffenburg. © Soko Tierschutz e. V.

Schlachthof Aschaffenburg: Veterinärärztin verschweigt Missstände

Die für den Schlachthof zuständige Veterinärärztin hat nicht nur die Missstände verschwiegen, sondern auch vor einer Kontrolle der Bayerischen Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (KBLV) gewarnt.

Dass amtliche Tierärzte Verstöße ignorieren oder gar vertuschen, ist laut Mülln leider kein Einzelfall. Bei jedem der 14 Schlachthofskandale, die er in den letzten sechs Jahren mitbegleitet und aufgedeckt habe, seien diese immer maßgeblich beteiligt gewesen. "Die Konstruktion des amtlichen Tierarztes kann eigentlich nicht funktionieren", so der Tierschützer.

Das Problem: Tierärzte sind finanziell vom Schlachthof Aschaffenburg abhängig

Das Problem daran: Die vom Staat beauftragten, aber privatwirtschaftlich tätigen Tierärzte seien finanziell vom Schlachthof abhängig, denn sie werden pro Kontrolle bezahlt. Sind die Missstände also zu groß oder häufen sich die Fälle, droht die Schließung – und die Einnahmequelle für die Tierärzte versiegt. Das Veterinäramt brauche diese Ärzte dann nicht länger, da sie nur für die Schlachthofkontrolle zuständig sind.

"Die Leute werden in der Regel aus Osteuropa rekrutiert, kommen aus prekären Verhältnissen, haben häufig einen sehr mangelhaften Wissensstand und sind dadurch sehr anfällig für Korruption und Vitamin B", so der Tierschützer weiter. Und wenn der amtliche Veterinärarzt und der Schlachthof sich irgendwann jahrelang kennen, nehme man "sich auch nicht mehr so hart ran".

Tierschützer fordern Vier-Augen-Prinzip für Schlachthöfe in Bayern

Um solche grauenvollen Zustände, wie sie in Aschaffenburg entstehen konnten, zu verhindern, muss sich etwas ändern, fordert die "Soko". Mülln sagt, man müsse der KBLV erlauben, dass diese sich nicht länger bei den lokalen Veterinärämtern anmelden muss – sprich: eine Vorwarnung wäre nahezu unmöglich. Grundsätzlich sagt Mülln aber: Dass es in Bayern als einzigem Bundesland die KBLV, also eine übergeordnete Behörde gibt, ist wichtig. Denn diese könne "fern des lokalen Filzes" Kontrollen durchführen und so Mauscheleien unterbinden.

Was es außerdem laut Mülln braucht: Ein Vier-Augen-Prinzip bei den amtlichen Tierärzten. Mindestens zwei Personen müssten gleichzeitig kontrollieren, damit es nicht so leicht zu Korrumpierungen kommen kann. Und: Betäubungseinrichtungen müssten zertifiziert werden, ansonsten drohe ein stellenweiser Ausfall der Geräte wie in Aschaffenburg – mit furchtbar quälenden Folgen für die Tiere.

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"Soko Tierschutz" wies schon 2013 auf Missstände im Schlachthof Aschaffenburg hin

Der Schlachthof Aschaffenburg verspricht in einer Stellungnahme ein neues Tierschutz-Konzept: "Es umfasst unter anderem eine Intensivierung des Kontrollsystems, erweiterte Video-Überwachung, Auditierungen aller Mitarbeiter und der dazugehörigen Infrastruktur." Müllns Fazit: unglaubwürdig. Schon 2013 habe die "Soko" auf die Zustände im Schlachthof Aschaffenburg hingewiesen. Alles deute darauf hin, dass die aufgedeckten Missstände auch die letzten zehn Jahre vorgelegen haben.

Und dennoch prangen auf der Website des Schlachthofs zahlreiche Prüfzeichen, darunter auch das der Initiative Tierwohl. Für Mülln nichts weiter als PR der Fleischindustrie. Fakt sei: Ein Tierwohllabel, auf das man sich wirklich zu 100 Prozent verlassen könne, gibt es nicht.

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28 Kommentare
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  • Löwenstark am 29.07.2023 11:59 Uhr / Bewertung:

    ... habe gerade auf der Hompage vom Schlachthof gelesen, wie sehr sie das bedauern und so.... Bla,bla,bla....

    Bevor solche Mißstände passieren müssen doch hochbezahlte Leute in der Geschäftsleitung interne Kontrollen immer wieder durchführen lassen. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit !

    Das hat die Geschäftsleitung aber eindeutig versäumt und daher sollten sich diese unqualifizierten Leute einfach einen anderen Beruf suchen müssen und die Behörden sowieso Strafanträge stellen.

    Nur mit sehr konsequent harten Vorgehen würde man aufschrecken und sowas dann wohl weitgehend verhindern können, aber ich fürchte, die Herren, die damit richtig gut Kohle verdienen, kommen wieder ungeschoren davon bzw. mit einer für sie lächerlichen Geldstrafe, die sie dann wieder auf die Preise aufschlagen.

    So lange man nicht hört, dass die Geschäftsleitung weg ist, sollte man vielleicht schauen, von diesem Schlachthof nichts mehr zu kaufen. Letzendlich haben die Kunden ja schon auch eine gewisse Macht.

  • Haan am 28.07.2023 11:56 Uhr / Bewertung:

    Leider erfährt man nicht, was für Produkte hergestellt und unter welchem Namen die verkauft werden. Die Auszeichnungen für den schlachthof-aschaffenburg*de sind nach den Vorwürfen haarsträubend. Sogar von einer "Initiative Tierwohl".

  • Karl-Eva am 27.07.2023 23:34 Uhr / Bewertung:

    Bananenrepublik!
    Die Billiglöhner sollten auch am besten nur Bananen schlachten.

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