S-Bahn-Unglück bei Schäftlarn: Wie auf einem Trümmerfeld

24 Stunden nachdem Zugunfall an der S7 sind die Anwohner noch immer unter Schock. Sie und die Einsatzkräfte berichten der AZ, wie es ihnen geht. "Es hat sich angehört wie eine Explosion", erzählt ein Anwohner: "Wir verstehen nicht, wie so etwas einfach passieren kann."
Leonie Fuchs |
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Zwei aufeinander geprallte S-Bahnen sind an der Unfallstelle in der Nähe des Bahnhofes Ebenhausen-Schäftlarn zu sehen.
Zwei aufeinander geprallte S-Bahnen sind an der Unfallstelle in der Nähe des Bahnhofes Ebenhausen-Schäftlarn zu sehen. © picture alliance/dpa

Schäftlarn - Die beiden Fahrerkabinen der S-Bahnen sind gänzlich zerstört. An deren Stelle befindet sich nur noch ein Trümmerhaufen. Zugteile liegen auf den Schienen der Linie S7, nördlich des Bahnhofs von Ebenhausen-Schäftlarn. Die Bahnen sind durch den Frontalzusammenstoß auf der einspurigen Strecke zwischen Höllriegelskreuth und Wolfratshausen entgleist, die Führerhäuser ineinander verkeilt.

"Mist. Den hat es ja komplett aus seiner Verankerung gerissen", bemerkt ein Mitarbeiter des Technischen Hilfswerk (THW) entsetzt, der die Unfallstelle fotografisch dokumentiert. Sie liegt erhöht auf einem Damm, was die Arbeiten und die Bergung erschwert.

Die Aufnahme aus einem ADAC Rettungshubschrauber zeigt die aufeinander geprallten S-Bahnen an der Unfallstelle in der Nähe des Bahnhofes Ebenhausen-Schäftlarn. Ein 24-Jähriger kam dabei ums Leben.
Die Aufnahme aus einem ADAC Rettungshubschrauber zeigt die aufeinander geprallten S-Bahnen an der Unfallstelle in der Nähe des Bahnhofes Ebenhausen-Schäftlarn. Ein 24-Jähriger kam dabei ums Leben. © -/ADAC Luftrettung/dpa

S-Bahn-Unglück bei Schäftlarn: War es menschliches oder technisches Versagen?

Auch einen Tag nach dem Zugunglück ist die Bundesstraße 11, die entlang der Gleise verläuft, gesperrt. Nur Anwohner und Rettungskräfte dürfen sie passieren. Gutachter sind am Dienstagmittag vor Ort, um die Ursache des Zusammenpralls herausfinden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt und zudem nun auch das bayerische Landeskriminalamt.

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War es menschliches oder technisches Versagen, das zu dem schweren Unfall führte? Auf eingleisiger Strecke waren am Montag gegen 16.40 Uhr zwei mit 95 Menschen besetzte S-Bahnen frontal gegeneinandergestoßen. Ein 24-Jähriger kam bei der Kollision ums Leben. 18 Menschen wurden verletzt. Sechs Schwerverletzte seien noch in Kliniken, unter ihnen die beiden Lokführer, sagte ein Polizeisprecher. Sie seien noch nicht vernehmungsfähig. Zudem seien 25 Personen ambulant versorgt worden.

Bäcker und Metzger von nebenan verpflegen die Helfer

"Es ist gruselig", sagt THW-Einsatzleiter Andreas Frank der AZ. In einem der Züge habe man eine rote Rose gefunden. "Es war ja Valentinstag." Auch 24 Stunden nach dem Unglück sei die Arbeit mühselig. Seit Beginn sei Frank, bis auf eine nächtliche Schlafpause, im Einsatz. "Es ist kalt", sagt er. Die Helfer werden von dem Bäcker und der Metzgerei nebenan verpflegt. "Es gab Leberkas, Schnitzel, Würstel, Braten - alles, was wir gefunden haben. Wir haben unser komplettes Kühlhaus leergemacht", so Metzgerin Daniela Ruber. In einem Dorf helfe man sich gegenseitig. "Das ist hier so!"

THW-Einsatzleiter Frank.
THW-Einsatzleiter Frank. © lf

Ihr Sohn benutzt täglich die S-Bahn. "Nur, weil am Montag Notenkonferenz war, ist er nicht mit ihr gefahren - wir sind alle erleichtert." Der Vorfall sei schrecklich. Es habe schon in der Früh Störungen auf dem Gleis gegeben. Das komme auf der Linie öfter vor. "Wir verstehen nicht, wie so etwas passieren kann."

"Es ist beunruhigend - das passiert jetzt schon das zweite Mal"

Auch Angela Wendler und Theresa Kastenmüller aus dem Back- und Postladen, der sich im selben Geschäft wie die Metzgerei befindet, sind sichtlich betroffen. "Wir haben den Knall gestern gehört", sagt Wendler. "Hinten im Lager hat alles vibriert", erklärt Kastenmüller. "Es war ein Schock!"

Kastenmüller (r.) und Wendler.
Kastenmüller (r.) und Wendler. © lf

Sie sei in Richtung des Lärms gelaufen, habe gedacht die S-Bahn sei entgleist. "Die Oberleitung hat gewackelt." Zum Glück sei ihr der Feuerwehrkommandant von Ebenhausen begegnet, den sie sofort informiert habe. "Ich bin zurück in den Laden und habe innerhalb einer Stunde um die 300 Semmeln gebacken, Tee gekocht und andere Getränke zur Verfügung gestellt." Andere Anwohner berichten am Dienstag, sie hätten Passagiere aus den Zügen und dann den Hang herunterklettern sehen. Einige bluteten.

Bereits im August 2021 war es unweit der Stelle zu einer Beinahe-Kollision gekommen. Bei Icking fuhren damals zwei Züge der S7 auf einem eingleisigen Streckenabschnitt aufeinander zu. Da sie dort jedoch nur langsam fahren durften, konnten die beiden Fahrzeugführer rechtzeitig reagieren. Daran erinnern sich auch die Bewohner von Ebenhausen.

Helfer des Technischen Hilfswerk untersuchen die verunglückten Züge.
Helfer des Technischen Hilfswerk untersuchen die verunglückten Züge. © picture alliance/dpa

Neben der "Ebenhauser Backstube und Ruber's Wurst und Fleischwaren" schaut ein älteres Paar aus Icking auf die Gleise. Von hier ist einer der Züge zu sehen. "Es ist beunruhigend - das passiert jetzt schon das zweite Mal", sagt die Frau. "Wie kann so etwas passieren in der heutigen Welt? Man sollte meinen, die Technik sei up to date." Ihr Mann sagt: "Wir haben Enkelkinder im Schulalter, die hier häufig S-Bahn fahren."

Anwohner verlieren Vertrauen in die Bahn

Bewohner Eliot C. zeigt sich empört: "Wie kann das sein, dass die Bahn das im 21. Jahrhundert technisch nicht hinbekommt?" Er habe zwei kleine Kinder. Die S-Bahn benutze seine Frau täglich. "Das Vertrauen ist dadurch nicht gestiegen", sagt er aufgewühlt. "Die Emotionen sind eine Mischung aus sauer und enttäuscht." Auch seine Frau, die zum Unglückszeitpunkt mit deren Kindern auf dem Spielplatz gewesen sei, habe den Aufprall gehört. "Es war wie eine Explosion", erzählt er. Sie habe sofort die Feuerwehr gerufen.

Zwei Mitarbeiter der Metzgerei bringen Leberkas-Nachschub für die Helfer. Sie lächeln. Am eingerichteten Schienenersatzverkehrsbus steht lediglich eine Person. Nur die Helfer von Feuerwehr, Polizei und THW sind auf den Straßen zu sehen. Ansonsten sind sie weitgehend leer.

Es wird noch eine lange Nacht werden, erzählt THW-Einsatzleiter Frank am Nachmittag. Das THW sollte noch die Oberleitung demontieren. Am Mittwoch um acht Uhr sollen Kräne anrücken. "Mit einem großen Schienen- und einem großen Autokran werden dann die Fahrzeuge zerlegt und von der Bahn auf den Gleisen abtransportiert", so der Einsatzleiter. Dies könne jedoch erst Donnerstag geschehen, wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind.

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  • Heide Fröttmaninger am 16.02.2022 09:58 Uhr / Bewertung:

    Ab Donnerstag sollen die S-Bahnen mit Kränen geborgen werden - bei Sturm bis über 100 km/h.
    Bin gespannt!

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