"Ist mein Lieblingsfach": In einer Grundschule bei München gibt es jetzt ganz besonderen Unterricht

Die Erstklässler einer Grundschule bei München haben alle zwei Wochen "Glück". "Mein Lieblingsfach", sagt eine Schülerin. Wie man Glück lernt – und lehrt.
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Musik macht glücklich: Den Beweis liefert die Klasse 1b. Kathrin Feldmann muss nur ihre Kiste mit den Instrumenten hervorholen und die Begeisterung ist groß.
Musik macht glücklich: Den Beweis liefert die Klasse 1b. Kathrin Feldmann muss nur ihre Kiste mit den Instrumenten hervorholen und die Begeisterung ist groß. © Natascha Probst

München - Das Glück scheint hier grenzenlos zu sein. Denn so sehr wie hier an diesem Mittwochvormittag um kurz vor 10 Uhr fröhlich in die Hände geklatscht wird, haben die Kinder offenbar gar keinen Glücksunterricht mehr nötig. "If you're happy and you know it, clap your hands", hallt es lautstark durch das Klassenzimmer. "Wenn du glücklich bist und es weißt, klatsche in die Hände." Die Erstklässler singen, es wird geklatscht, gestampft und getanzt – und fast ist es ein Wunder, dass der Boden des ersten Stocks der Karlsfelder Verbandsgrundschule vor Glück nicht nach unten durchbricht.

Und dabei ist es dann doch gar nicht so wie es im ersten Moment scheinen mag: Viele Kinder sind an diesem Tag traurig. Das wird bei der Kinderkonferenz klar. "Zum Glück gehört auch das Unglück", sagt Kathrin Feldmann, die seit 2021 hier Glück unterrichtet. Das zu verstehen, ist ihr wichtig und ein bisschen auch das Fundament ihres Unterrichts. Den Kindern will sie beibringen, mit ihren Gefühlen umgehen zu können – eben auch mit negativen. Mit Wut, mit Trauer, mit Verzweiflung.

In einer Grundschule bei München wird jetzt "Glück" gelehrt

Jeden zweiten Mittwoch unterrichtet die Ganztagspädagogin, die beim Kreisjugendring Dachau angestellt ist, in der 1b Glück – ein Angebot im Zuge des Ganztagsunterrichts. An den anderen Mittwochen haben die Erstklässler Demokratie. Wer traurig ist, bekommt heute in der Kinderkonferenz eine Glücksdusche. Der stellt sich in die Mitte des Stuhlkreises und wird mit Komplimenten überschüttet. Nika bekommt heute eine.

Nika bekommt eine Glücksdusche und wird mit Komplimenten überhäuft.
Nika bekommt eine Glücksdusche und wird mit Komplimenten überhäuft. © Natascha Probst

"Nika, du bist eine gute Freundin für die ganze Klasse", "Du bist schön und süß", "Ich hoffe, dass du immer glücklich bleibst", sagen die Kinder, die um sie herumsitzen. Gleich sieht Nika glücklicher aus und lächelt ein bisschen.

Ungewöhnlicher Unterricht in Grundschule in Bayern: "Glück ist mein Lieblingsfach"

Doch bei der Glücksdusche bleibt es nicht. Gemeinsam wird nach Lösungen für die negativen Gefühle gesucht. Ein Kind hat sich am Vortag am Knie verletzt, das andere ist traurig, weil die Mutter heute mit dem Bruder etwas unternimmt. Wieder eins, weiß nicht, was es allein am Nachmittag daheim tun soll – kurzerhand sucht Kathrin Feldmann mit den Kindern Bastelausrüstung im Schrank zusammen.

Aus den Blättern entsteht eine Baumkrone: Die Kinder sollen aufschreiben, was sie an sich mögen.
Aus den Blättern entsteht eine Baumkrone: Die Kinder sollen aufschreiben, was sie an sich mögen. © Natascha Probst

Die Kinder sind begeistert vom Glücksunterricht. "Glück ist mein Lieblingsfach", sagt Lori. Weil sie so viel lerne über Sachen, die sie toll finde. Wieso Kathrin Feldmann sich denn überhaupt so gut mit Glück auskenne? Das tue sie gar nicht, sagt sie. Sie will ihren Schützlingen vielmehr zeigen, was sie tun können, um sich glücklich zu fühlen. Für die Musikpädagogin gehört dazu Musik und Tanzen, aber auch das Rausgehen in die Natur.

Gerade züchtet sie mit der Klasse Pflänzchen für das Beet, das sie im Frühling draußen bepflanzen werden. "Ich möchte ihnen zeigen, dass sie das schönste Beet überhaupt bauen können, wenn sie wollen." Ihnen zeigen, dass sie Macht haben, dass Dinge in ihrer eigenen Verantwortung liegen. Das ist für Feldmann der Weg zum Glück.

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Herzstück der Stunde ist ihre Kollegin, Marija Staikovic. Sie ist auch beim Kreisjugendring Dachau angestellt und unterstützt, wann immer ein Kind unruhig wird oder privat über seine Probleme reden will. Dann ziehen sie sich in eine Ecke des Klassenzimmers oder in den Nebenraum zurück.

"Blumen 1b": Hier sprießt, was im Sommer "das schönste Beet überhaupt" werden soll.
"Blumen 1b": Hier sprießt, was im Sommer "das schönste Beet überhaupt" werden soll. © Natascha Probst

Die Lehrerinnen gehen mit den Kindern in die Tiefe

"Wir gehen richtig in die Tiefe mit den Kindern und suchen nach den Ursachen ihrer Probleme", sagt Kathrin Feldmann. Und das scheint gut anzukommen: Marija Staikovic ist von Anfang an von mehreren Kindern umringt.

"Sie vertrauen uns und erzählen uns ganz viel", sagt die Lehrerin. Vielleicht manchmal mehr als ihren Eltern. Wenn sie Schimpfwörter verwendet, oder heimlich in ein Handy geschaut haben – auch das wird hier besprochen. Für sie ist Glück schwieriger zu unterrichten als normale Fächer wie Mathe. Weil es hier viel mehr Freiheiten gebe.

Lori holt sich einen Zettel aus der Glücksbox: Den bekommt man, wenn man mal nicht so glücklich ist.
Lori holt sich einen Zettel aus der Glücksbox: Den bekommt man, wenn man mal nicht so glücklich ist. © Natascha Probst

Es ist keine einfache Aufgabe, die sie noch mitgebracht hat. Die Kinder sollen auf ein Baumblatt schreiben, was sie an sich mögen und was sie gut können – am Ende werden diese zu einer Baumkrone zusammengefasst. Viele müssen lange überlegen. "Dass ich eine liebe Schwester bin", schreibt ein Mädchen. "Ich kann gut Fahrrad fahren" ein anderes. Doch ob Erwachsenen diese Aufgabe leichter fallen würde? Sicher nicht, meint Kathrin Feldmann. Vielleicht bräuchten also auch sie hin und wieder mal eine Doppelstunde Glück.

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