SWM-Chef Bieberbach über Verluste im ÖPNV: "Auf Dauer geht das nicht"
AZ-Interview mit Florian Bieberbach: Der 47-Jährige ist seit 2013 Stadtwerke-Chef.
AZ: Herr Bieberbach, normalerweise überweisen die Stadtwerke Geld an die Stadt. Nun droht sich die Lage umzudrehen. Schon einen Termin beim OB, um Geld für Ihre Projekte zu erbetteln?
FLORIAN BIEBERBACH: Zum Glück ist es noch nicht so, dass wir das brauchen. Wir werden wohl wieder Geld an die Stadt überweisen, wenn auch nur einen sehr kleinen Betrag. Und ich gehe davon aus, dass wir bald wieder mehr an die Stadt überweisen können.
Niedrige Fahrgastzahlen im ÖPNV: Schwierig Angebot aufrecht zu erhalten
Also droht nicht, dass Sie zum Sorgenkind der Stadt werden?
Das ist nicht absehbar. Aber große Sorge macht uns schon die Situation im ÖPNV, wo wir wegen Corona sehr viel niedrigere Fahrgastzahlen haben, aber das Angebot aufrecht erhalten. Das kostet uns wahnsinnig viel Geld. Wenn das so weitergeht, können die Stadtwerke das natürlich nicht auf Dauer tragen. Wir hoffen, dass es dieses Jahr wieder einen Rettungsschirm gibt.
Wie lange dürfen U-Bahnen, Busse, Trambahnen noch halb leer rumfahren - bis Sie das Angebot kürzen müssen?
Eigentlich hätte man es schon lange kürzen müssen angesichts der horrenden Verluste, die da entstanden sind. Aber es war politisch gewünscht, dass das Angebot weitestgehend aufrechterhalten wird, damit die Menschen in den Fahrzeugen die Abstände einhalten können. Ich kann das sehr gut nachvollziehen. Aber es bedeutet natürlich, dass die Kosten nahezu unverändert waren - während sich die Einnahmen halbiert haben. Das kostet riesige Summen.
140 Millionen Euro Verlust beim ÖPNV in München
Wie riesig?
Vergangenes Jahr sind ungefähr 140 Millionen Euro Verlust dadurch entstanden - zusätzlich. Dieses Jahr sind bislang auch schon wieder gut 30 Millionen Zusatzverlust aufgelaufen. Wenn es so weitergeht, werden wir wieder eine Größenordnung von über 100 Millionen Euro erreichen. Das sind schon große Beträge, die man nicht so leicht wegstecken kann - auch nicht als großes Unternehmen.
Sie haben kürzlich gesagt, Sie kürzen, wo die Ausgaben nicht unbedingt notwendig sind. Wo ist das genau?
Das Angebot im ÖPNV ist, wie gesagt, nahezu unverändert. Unsere Kürzungen beziehen sich vor allem auf Bereiche, die nicht unmittelbar sichtbar sind - so haben wir etwa Bauprojekte oder große Beschaffungen wie neue U-Bahnzüge zeitlich geschoben. Alte U-Bahnen fahren somit noch ein bisschen länger.
Strompreis bleibt für Kunden auch 2021 stabil
Als wir das letzte Mal gesprochen haben, hat die Krise noch nicht so sehr auf Ihre Kunden durchgeschlagen. Hat sich das geändert, müssen Sie inzwischen mehr Leuten den Strom sperren, die nicht mehr zahlen können?
Wir spüren bisher keine erhöhten Zahlungsausfälle, auch wenn wir vermuten, dass das noch kommt. Was sich zuletzt geändert hat, ist, dass wir einen erhöhten Strombedarf bei den Privatkunden sehen. Das war im ersten Lockdown noch nicht der Fall.
Sie haben im vergangenen Jahr den Strompreis stabil gehalten. Können Sie das den Kunden auch heuer zusagen?
Ja, er bleibt auch in diesem Jahr stabil.
"Freibad? Wir können uns vorstellen, im Mai zu öffnen"
Einer Ihrer Sprecher hat zu Beginn des ersten Lockdowns locker gesagt: Die Saunen bleiben offen, die Viren mögen die Hitze ja nicht. Inzwischen kann man sich das eigentlich gar nicht mehr vorstellen, dass Schwimmbäder heuer öffnen, oder?
Diese Entscheidung liegt nicht bei uns. Aber wir können uns vorstellen, dass Freibäder im Mai oder Juni öffnen - mit einem ähnlichen Konzept wie im vergangenen Sommer, also mit deutlich reduzierten Besucherzahlen, mit Voranmeldung usw. Das wäre schön und wichtig. Bei den Hallenbädern ist die Situation natürlich völlig offen. Für die Bevölkerung ist jetzt ohnehin wichtiger, dass die Freibäder im Sommer, wenn auch eingeschränkt, offen haben. Dass man - wenn man schon nicht in den Urlaub fahren kann - wenigstens mal ins Freibad gehen darf.
Das ist Ihre Forderung an die Politik: Lasst uns wenigstens die Freibäder öffnen?
Nein, ich fordere gar nichts. Ich sage nur: Wenn die Corona-Zahlen sich in den nächsten Monaten so entwickeln, dass die Politik uns öffnen lässt, dann freuen wir uns. Aktuell können auch wir es uns noch nicht vorstellen.
Sind diese Schließungen von Bädern denn für Sie nachvollziehbare Maßnahmen? Gab es 2020 Infektionen, die Sie auf Besuche in Bädern zurückführen konnten?
Uns sind keine Ansteckungen in Bädern bekannt. Sie waren ja auch nur sehr restriktiv geöffnet. Ob das nun infektiologisch vertretbar wäre - diese Entscheidung überlasse ich lieber anderen. Aber Bäder sind sicherlich nicht der Hauptansteckungsbereich, der ÖPNV übrigens auch nicht.
Stadtwerke hatten Pandemie-Vorsorge-Pläne mit noch schlimmeren Szenarien
Sie sind nicht nur für Wasserspaß zuständig - sondern über Strom- und Wasserversorgung auch für Grundsätzliches. Haben Sie in der Pandemie je Sorge gehabt, die Versorgung nicht mehr gewährleisten zu können - etwa wegen Personalengpässen?
Wir hatten schon seit vielen Jahren Pandemie-Vorsorge-Pläne. Diese Notfallpläne haben sehr gut funktioniert und die schärfsten Maßnahmen darin mussten wir gar nicht ziehen. Wir hatten auch schlimmere Szenarien durchgeplant. Unsere Krankenquoten waren dann aber sogar niedriger als normal. Zum Glück gab es bei den SWM nur wenige Corona-Fälle und deutlich weniger andere Erkrankungen als in früheren Jahren.
Kurz nach der Wahl waren Sie relativ zufrieden mit Grün-Rot. Jetzt haben die Sie dazu verdonnert, Spirit Energy zu verkaufen, jenes Unternehmen, das für Sie Erdöl in der Nordsee fördert. Ist die Beziehung zum Rathaus ein bisschen angeknackst?
Nein, die Beziehung ist überhaupt nicht angeknackst: Dass wir mittelfristig aus Spirit Energy aussteigen wollen, war schon länger klar. Das war keine Kursänderung, man hat lediglich die Priorität erhöht.
Aber?
Aber in der Praxis ist es halt oft nicht so einfach, wie es sich manche vorstellen: Es nutzt der Umwelt überhaupt nichts, wenn wir jetzt zum Beispiel aus der Gasproduktion aussteigen, aber in München weiter Gas zum Heizen und zum Kochen verbrannt wird. Dann müssen wir das Gas halt von jemand anderem kaufen, statt es selbst zu produzieren - was aus meiner Sicht eher eine Verschlechterung wäre. Mit den Stadträten sind wir aber in sehr guten Gesprächen über vernünftige Ausstiegspläne aus allen fossilen Energieträgern.
"Manche Klimaschützer machen es sich schon sehr leicht"
Bei Fridays for future taugen die Stadtwerke hingegen eher als Negativbeispiel.
Die Szene der Klimaschützer besteht aus sehr unterschiedlichen Menschen. Da gibt es viele, die uns sehr positiv sehen, sehr gut nachvollziehen können, was wir tun. Wir erhalten viel Anerkennung für den Ausbau erneuerbarer Energien, etwa im Bereich Geothermie. Gerade auf überregionaler und internationaler Ebene werden wir sehr positiv wahrgenommen. In München gibt es auch ein paar, die uns sehr kritisch sehen. Ich finde, die machen es sich sehr leicht.
Klären müssen Sie auch viele Unstimmigkeiten mit der Gemeinde Unterföhring, die Sie am liebsten gar nicht mehr Ihr Gaskraftwerk bauen lassen würde. Wie wollen Sie das denn lösen?
Wir bieten immer wieder an, unsere Planungen zu erklären. Bisher haben wir diese Chance in Unterföhring noch nicht bekommen.
München hat "riesiges Photovoltaik-Potenzial, das nicht genutzt wird"
Wenn es nicht weitergeht: Droht dann eine Versorgungsknappheit für die Münchner?
Wenn diese Ersatzanlage für das Kohlekraftwerk nicht gebaut werden kann, dann heißt das zunächst mal, dass das Kohlekraftwerk länger laufen muss. Das ist dann weiterhin systemrelevant - und darf nicht stillgelegt werden. Verstanden habe ich das nie, warum das für Unterföhring ein Vorteil sein soll. Eine schwierige Situation.
Sie haben sich offen gezeigt für mehr Solarenergie auf Dächern. Zuletzt haben in der AZ Experten und Aktivisten kritisiert, dass es in der Stadt großes ungenutztes Potenzial gebe. Muss München das Thema endlich ernster nehmen?
Es ist schon richtig, dass es in München noch ein riesiges Photovoltaik-Potenzial gibt, das nicht genutzt wird. Aber die Schuld darf man nicht so sehr der Stadt München geben. Das Hauptproblem ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Das ist von Berlin zwar reformiert worden, aber das Thema städtische Photovoltaik wird wieder mal nahezu völlig ignoriert. Nach wie vor rechnet es sich wirtschaftlich für einen Hausbesitzer in München in der Regel nicht, Photovoltaik auf sein Dach zu setzen. Die ganze Förderung in Deutschland fußt darauf, dass Menschen Hauseigentümer sind und einen wirtschaftlichen Anreiz bekommen, auf ihrem eigenen Dach Strom zu erzeugen, den sie dann selbst verbrauchen. Da hat sich Deutschland verrannt. Man hat immer nur den Eigenheim-Besitzer irgendwo auf dem Land im Kopf.
"Photovoltaik-Förderung ist nur auf den Einfamilienhaus-Besitzer zugeschnitten"
Sie sind - wie mancher Grüne - ein Gegner der Einfamilienhäuser?
Nein, das bin ich nicht. Aber die Photovoltaik-Förderung ist nur auf den Einfamilienhaus-Besitzer zugeschnitten. An der typischen Wohnsituation in München - größere Gebäude mit Mietwohnungen - geht die Förderung weitgehend vorbei. Wir unterstützen Interessierte, wo wir können. Die Möglichkeiten der Stadtwerke sind aber begrenzt. Wir können niemanden zwingen.
Reden wir noch über die Arbeitskultur bei den Stadtwerken: Wie sind die Erfahrungen mit Homeoffice? Werden Sie wie viele große Unternehmen Büroflächen einsparen - weil die Leute dauerhaft von daheim arbeiten?
Homeoffice hat sehr gut funktioniert, wobei man dazu sagen muss, dass bei uns nicht mal die Hälfte der Mitarbeiter eine Tätigkeit hat, die man von zu Hause machen kann. Man kann einen Bus nicht von zu Hause fahren, man kann auch kein Kraftwerk von zu Hause warten. Von den anderen sind aber fast alle im Homeoffice und das ziemlich konstant. Ich selbst übrigens auch, ich bin nur einen Tag die Woche im Büro.
Mehr Homeoffice durch die Coronakrise - auch bei den Stadtwerken
Wie geht es weiter?
Wir wollen unseren Beschäftigten auch nach Corona die Möglichkeit geben, mehr Homeoffice zu machen als früher. Allerdings nicht so radikal, dass jeder nur noch einmal die Woche reinkommt. Denn dabei bleiben einige Dinge auf der Strecke: Vertrauen, Bindung, auch Informationsaustausch, wenn man sich gar nicht mehr sieht. Wir werden bei den SWM zu einer gesunden Mischung kommen.
Sie gehen nicht davon aus, dass Sie in großem Stil Büroflächen sparen können?
In großem Stil nicht, aber wir reduzieren schon.
"Möglich, dass auf mich zwei Frauen als Chefinnen folgen"
Sie haben jetzt zwei Chefinnen bei den Bädern. Eine Konstellation mit Zukunft? Bekommt Florian Bieberbach gar keinen Nachfolger - sondern zwei Nachfolgerinnen?
Das ist möglich, mal sehen. Wir möchten, dass das Modell keine Eintagsfliege bleibt. Jobsharing, auch in leitenden Positionen, kann ein sehr wirksames Instrument sein, um den häufigen Karriere-Knick aufgrund familiärer Verpflichtungen zu vermeiden.
Das kommt per se nicht für alle Funktionen in Frage?
Grundsätzlich kommt das für alle Hierarchieebenen in Frage.
Also halten wir fest: Es wird zwei Bieberbach-Nachfolgerinnen geben.
(lacht) Darüber entscheidet der Aufsichtsrat. Wir als Geschäftsführung entscheiden bis zur ersten Führungsebene und da haben wir zumindest gezeigt, dass das möglich ist.
Wie sind die ersten Erfahrungen mit den zwei Kolleginnen? Funktioniert das so, wie Sie sich das vorgestellt hatten?
Die beiden sind schon länger als Tandem unterwegs, ich habe lange, positive Erfahrung mit ihnen. In all den Jahren hat das sehr gut funktioniert in diesem Modell.
SWM-Chef bleibt trotz Krise Optimist
Sie haben uns mal gesagt, Sie seien Optimist. Wie lange darf die Krise noch dauern, ohne dass Sie zum Pessimisten werden?
Ich glaube, das wird nicht passieren. Ich persönlich bleibe optimistisch, dass wir es im Mai, Juni, Juli mit mehr Impfungen und wärmeren Temperaturen schaffen, dass die Infektionszahlen runtergehen. Und wir einen einigermaßen entspannten Sommer erleben können.
Also würden Sie mit uns wetten, dass die Schwimmbäder wieder öffnen dürfen?
Ich würde noch keine Wette eingehen, dass sie im Mai öffnen. Aber im August, doch, die Wette würde ich eingehen.