Münchner FFF-Aktivist: "Wir könnten viel weiter sein!"
München - Was passiert, wenn zu viel CO2 ausgestoßen wird, welche Folgen hat die Erderwärmung, was kann die Menschheit dagegen tun? All diese Fragen raubten dem Gymnasiasten Nicolas Zanthier schon den Schlaf, als viele Gleichaltrige noch mit der beginnenden Pubertät überfordert waren.
Heute ist Zanthier auf jeder Fridays-For-Future-Demo dabei, die in München stattfindet. Mit der AZ sprach er über die Energiepolitik der Stadt - ein Jahr nach der Wahl, die die Grünen zur stärksten Kraft im Stadtrat gemacht hat.
AZ: Herr Zanthier, eine kleine Bestandsaufnahme. München hat zwei Windräder, Photovoltaikanlagen, Wasserkraftanlagen, Biogasaufbereitung, Geothermie, beteiligt sich an Windkraftanlagen bei Sylt, auch beim Kernkraftwerk Isar 2, München hat das Heizkraftwerk Nord und Süd. Was ist die Kritik von Fridays For Future?
NICOLAS ZANTHIER: Die wichtigsten Beschlüsse der Stadt sind eigentlich da. Die begrüßen wir sehr: Klimaneutralität bis 2035 - und damit eine unabhängige Versorgung aus erneuerbaren Energien.
Was läuft schief?
Die praktische Umsetzung. Wenn es so weitergeht, ist das in knapp 15 Jahren kaum zu schaffen.
"Es müsste viel schneller gehen"
Wird zu viel hinausgezögert?
Die Stadt geht zu wenig an. Wir haben seit anderthalb Jahren den Klimanotstand. Die Stadtwerke haben zwar gute Klimaziele...
...die zur Not auch mit käuflichen CO2-Zertifikaten erreicht werden könnten...
...aber oft sehen die Zielsetzungen besser aus als der Weg dorthin. Das Ziel von 100 Prozent erneuerbarer Stromversorgung ergibt sich bisher vor allem aus dem überregionalen Ausbau von Kapazitäten außerhalb Münchens, der dann der Stadt angerechnet wird.
Was müsste also dringend getan werden?
Am Ende geht es darum, die dreckigen Stromerzeuger vor Ort auszuschalten. Dafür müssten die erneuerbaren Kapazitäten in München aufgebaut werden. Und die Geschwindigkeit - das haut sonst nicht hin. Es müsste viel schneller gehen.
Was steht da im Fokus von Fridays For Future?
Beim Stromverbrauch ist es die Photovoltaik, die bis 2035 um den Faktor 40 schneller ausgebaut werden müsste, um das gesamte Potenzial vollständig zu nutzen. Eine Energieexpertin hat in der AZ kürzlich gesagt, dass München ein Drittel seines Strombedarfs aus Photovoltaik decken könnte. Vor Ort. Es passiert aber nicht viel.
"Es ist vielleicht eine Generationenfrage"
Kritisieren Sie die Stadtwerke?'
Auch. Sie haben immer noch viele Gebäude ohne Photovoltaik. Erst vor zwei Monaten kam man dort auf die Idee, mal die eigenen Immobilien auf die Photovoltaik-Tauglichkeit zu prüfen. Aber man muss natürlich auch sagen, dass die Stadtwerke am Ende immer dem Stadtrat unterstellt sind.
Das Problem liegt also im Stadtrat?
Ja, auch da, wir könnten schon viel weiter sein. Es ist vielleicht eine Generationenfrage.
Wie meinen Sie das?
Bei den Stadtwerken sitzt hauptsächlich noch die ältere Generation. Die sind ganz natürlich damit aufgewachsen, fossile Energieträger zu nutzen. Das ist in meiner Generation nicht mehr so selbstverständlich.
"Es ist frustrierend. Die junge Generation sieht man in der Politik kaum"
Wie kann man das ändern?
In der Politik, indem man das Wahlalter senkt. Aktiv und passiv. Es ist extrem frustrierend, dass die junge Generation da bisher noch unsichtbar ist. Gleichzeitig entscheidet die ältere Generation über die Zukunft der jüngeren.
An welches Alter denken Sie, statt 18?
Das kann ich nicht genau sagen. Aber auf jeden Fall muss es Minderjährigen möglich sein, politisch mitzubestimmen. Warum dürfen nicht auch 16- oder 17-Jährige wählen?
Welche energiepolitischen Themen der Stadt findet Fridays For Future besonders brisant?'
Das Heizkraftwerk Nord ist sehr polarisierend. Das dortige Kohlekraftwerk darf nicht abgeschaltet werden, bis ein neues Gaskraftwerk als Ersatz fertig ist. Das frustriert. Einerseits verlieren wir viel Zeit, indem wir erneut auf den fossilen Brennstoff Gas setzen. Und andererseits widersprechen sich da die Gutachten, ob so ein Gaskraftwerk auch wirklich nötig ist. Da hat die Stadt zu spät gehandelt und daher noch keine wirklichen Alternativen in der kurzen Zeit.
Wo genau sehen Sie die Problematik?
So ein Gaskraftwerk hat eine Laufzeit von 40 Jahren. Das beißt sich mit dem Ziel, 2035 klimaneutral zu werden. Das neue Gaskraftwerk soll bis 2027 fertig sein und den Münchner Wärmebedarf in Zeiten von besonders hohem Bedarf sicherstellen. Aber hätten wir früher mit dem Geothermieausbau begonnen, hätten wir problemlos auf das Gaskraftwerk verzichten können.
"Wasserstoff wird nicht umsonst 'Champagner der Energiewende' genannt"
Wir stehen gerade vor dem Heizkraftwerk Süd. Wird man solche Kraftwerke in einem Energiemix der Zukunft brauchen?
Wer auf erneuerbare Energien setzt, wird über kurz oder lang die Heizkraftwerke abschalten und abbauen, sobald der Wärme- und Strombedarf alternativ gedeckt ist. Wir brauchen langfristig keine Gasturbinen und vor allem keine dreckigen Kohlekraftwerke. Es gibt zwar Ideen, diese Turbinen mit Biogas oder Wasserstoff zu betreiben. Aber wer genauer hinschaut, wird sehen, dass das extrem teuer und ineffizient ist. Wasserstoff wird nicht umsonst "Champagner der Energiewende" genannt. Wenn die Stadt konsequent ist, müsste sie die Heizkraftwerke eigentlich bis 2035 abschalten. Außer, wir kompensieren die CO2-Emissionen über Zertifikate. Aber das ist keine Ideallösung.
Wir leben in der Pandemie. Die Einnahmen der Stadt sind dramatisch eingebrochen. Für energiepolitische Alternativen bräuchte München mehr Geld.
Die Stadt möchte jährlich 100 Millionen Euro in erneuerbare Energien investieren. Daran wird - so weit ich weiß - trotz Corona festgehalten. Das ist schon mal eine gute Summe. Ein guter Anfang. Auf der anderen Seite investieren die Stadtwerke 3.000 Kilometer nördlich Geld immer noch in die Erschließung fossiler Brennstoffe.
"...dann sollte München Kredit aufnehmen"
Und wie finden Sie das grundsätzlich?
Extrem widersprüchlich. Da würde ich mir schon wünschen, dass diese Summen in die Entwicklung erneuerbarer Energien fließen. Ich habe gehört, dass sogar der Kooperationspartner der Stadtwerke eigentlich aus diesem fossilen Projekt aussteigen möchte. Das ist inzwischen allein wirtschaftlich zu risikoreich. Die Gaspreise zum Beispiel schwanken ja enorm.
Und wenn der Stadt das Geld grundsätzlich fehlt?
Dann sollte München Kredit aufnehmen. Es wäre eine gute Investition in die Zukunft, in Photovoltaik und Geothermie.
Der Münchner Zweig der Klimabewegung Fridays For Future tauscht sich regelmäßig mit Stadträten aus. Fühlen Sie sich da mittlerweile ernst genommen? Ganz am Anfang war ja oft mal die Rede von den protestierenden Schulschwänzern.
Wir haben 2019 unsere Forderungen gestellt und sind seither in regem Kontakt. Alle ein bis zwei Monate treffen wir uns mit Stadträtinnen und Stadträten wie Dominik Krause. Ich denke schon, dass wir inzwischen ernst genommen werden. Bei vielen Beschlüssen der Stadt hat Fridays For Future Anhörungsrecht.
Spielt die Generationenfrage bei diesen Gesprächen eine Rolle? Treffen Sie sich also meistens mit den jüngeren Stadträten?
Nein, das kann man so nicht sagen. Die Treffen sind bunt gemischt, mit Vertreterinnen und Vertretern aus allen Parteien und Altersstufen.
"Hinter Fridays For Future steht eine ganze Generation"
Seit wann sind Sie eigentlich aktiv bei Fridays For Future?
Ich war relativ früh bei den Demos dabei, aber richtig aktiv im Orga-Team bin ich seit etwa einem halben Jahr.
Seit wann interessieren Sie sich grundsätzlich für das Klimathema?
Das erste Mal wirklich intensiv beschäftigte ich mich mit der Klimakrise, als ich 2015 einen Artikel für die Schülerzeitung geschrieben habe. Der Titel war: Warum schneit es an Weihnachten nicht mehr? Heute lese ich öfters Texte von Wissenschaftlern wie Joachim Schellnhuber.
Wie war denn die Reaktion Ihrer Mitschüler damals, als Sie den Artikel geschrieben haben?
Die Resonanz war erst mal gering. Aber wenig später gründete sich schon Fridays For Future. Da war ich überrascht, dass doch viele andere Schüler meiner Meinung waren. Viele hatten das Gefühl, dass schon damals die Bundesregierung zu wenig für den Klimaschutz getan hat. Was viele unterschätzen: Hinter der Bewegung steht eine ganze Generation.
Tut die Bundesregierung denn heutzutage genug gegen die Klimakrise?
Vielleicht sind wir einen bedeutenden Schritt weiter. Vor fünf Jahren hätte noch keiner gedacht, dass in Europa mal der Green Deal kommt. Aber auf Bundesebene: Ich glaube, die notwendige radikale Kehrtwende ist nicht da. Das momentane Ziel lautet: Klimaneutralität bis 2050. Das ist faktisch eine Absage an die Vereinbarung, die Erderwärmung bei 1,5 Grad zu halten.
2050, da sind Sie dann 47.
Ja, das ist viel zu spät.
"Die individuelle Konsumkritik bringt uns nicht weiter"
Zurück nach München. Vor einigen Monaten wurde das zweite Windrad der Stadt aufgestellt. Von Windparks fehlt jede Spur. Braucht die Stadt München mehr Windräder?
Nein, in München gibt es dafür zu wenig Platz. Da eignet sich Photovoltaik deutlich besser - und ist rentabel. Auf Dächern oder an Fassaden könnte man die Zellen leicht aufstellen. Vielleicht wäre es eine Möglichkeit, auf dem Land Windparks aufzustellen. Aber die bayerische Regierung ist ja bekanntlich kein großer Fan von Windkraft.
Sie haben vor, nach dem Abitur ein Jahr durch die Welt zu reisen. Sie werden dabei viel CO2 ausstoßen. Wie gleichen Sie das aus?
Ich schaue, dass ich so wenig wie möglich fliege. Aber ehrlich gesagt, geht das jetzt an den Standpunkten von Fridays For Future vorbei.
Aber warum?
Weil wir eben nicht den Einzelnen für seine Emissionen verantwortlich machen wollen. Unser Ziel ist es, klimagerechtere Strukturen zu schaffen, damit alle einen deutlich niedrigeren CO2-Ausstoß verursachen und ökologischer Leben können. Der Einzelne kann die Welt nicht retten. Wir würden auch nie sagen: Du musst weniger Fleisch essen oder dir eine Bambus-Zahnbürste kaufen. Das Ziel müsste da sein, das Ernährungssystem an der Wurzel zu verändern. Da ist die Politik verantwortlich. Die individuelle Konsumkritik bringt uns nicht weiter.
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