Münchner Bau-Experte: "Nicht noch mehr Bürohäuser!"
Seit einem Jahr regiert im Rathaus eine Koalition aus Grünen und SPD. Welche seiner hochgesteckten Klimaziele hat das Bündnis bisher erreicht? Welche hat die Stadtregierung verfehlt - und warum? Um diese Fragen geht es am kommenden Dienstag bei einer Podiumsdiskussion (siehe unten). Dabei kommt auch der Architekt Rainer Vallentin als Klima-Experte für den Bereich Gebäude- und Stadtplanung zu Wort. Die AZ hat vorab mit ihm gesprochen.

AZ: Herr Vallentin, warum sind Haus- und Städtebau eigentlich so wichtig für den Klimaschutz?
RAINER VALLENTIN: Das liegt am hohen Energieanteil: Heizen, Lüften, Warmwasser, Strom und gegebenenfalls auch Kühlen. Dazu kommt der hohe Materialeinsatz, der mit viel Energieeinsatz und Treibhausgasemissionen verbunden ist. Zählt man alles zusammen, landet man in einem Bereich zwischen 40 und 50 Prozent vom gesamten Energieverbrauch mit entsprechend hohen CO2-Emissionen. Und da kommen bauinduzierte Mobilität oder Infrastrukturen noch hinzu.
"Hohe Qualität wie im Prinz-Eugen-Park - das ist leider die Ausnahme"
Wie sollte denn mit Blick aufs Klima gebaut werden?
Da habe ich eine klare Haltung. Wir brauchen sehr hohe energetische Qualitäten - etwa beim Wärmeschutz: Wie gut ist das Gebäude gedämmt, welche Fenster sind eingebaut, gibt es eine Lüftung mit Wärmerückgewinnung? Das sollte Standard sein. Wir sollten darauf achten, dass die Gebäude nicht fossil beheizt werden, sondern mit erneuerbarer Energie - und dass sie auch mit erneuerbaren Stromsystemen versehen sind.
Passiert das bei Neubauten in München zuverlässig?
Nein. Es gibt leider die typische Kultur, dass nur in mittlerer Qualität gebaut wird. Und der Standard, der im Gebäudeenergiegesetz festgelegt ist, hat aus meiner Sicht nun mal nur mittlere Qualität. Damit schaffen wir riesige Probleme. Denn wir kommen zehn, 20 Jahre lang an die Gebäude ja nicht mehr ran, vielleicht erst nach 50 Jahren. So lange stehen die Gebäude, ohne dass etwas an ihnen passiert.
Richtet sich Ihre Kritik gegen städtische oder private Neubauten?
Das geht querbeet. Es gibt ein paar Spieler auf dem Markt - wie etwa das Unternehmen Nest -, die bauen nichts anderes als Passivhäuser. Wir haben auch Genossenschaften und Baugemeinschaften, die in hoher energetischer Qualität bauen. Das trifft etwa für die Holzbausiedlung im Prinz-Eugen-Park zu. Aber das sind leider eher Ausnahmen.
Was bedeutet in dem Zusammenhang graue Energie?
Das ist das, was bei der Herstellung, der Instandhaltung und -setzung oder beim Rückbau von Gebäuden an Energieaufwand notwendig ist.
Welches ist - aus Klimaschutzaspekten betrachtet - der vernünftigste Rohstoff?
Um diese Frage wird in München durchaus kontrovers gestritten. Eine große Fraktion sagt, der Holzbau soll es sein. Dem schließe ich mich persönlich an - aber mit einer kleinen Abweichung: Ich würde Holzbau dort einsetzen, wo er relativ kostengünstig erstellt werden kann und damit CO2-intensive Baustoffe wie Stahl, Beton oder Ziegel ersetzen kann. Ich bin Anhänger von hybriden Bauweisen: Lasst uns Massivbau dort einsetzen, wo Holzbau schwierig ist. Etwa Decken, Dächer oder Treppenhauswände, wo wir uns mit Holz schwer tun, den Brand- und Schallschutz zu erfüllen. Aber die Gebäudehüllen sollten wir in Holz machen. Lasst uns Holz, anstatt es zu verheizen, lieber auf der stofflichen Ebene nutzen - eben in Gebäuden.
"Die Sanierungskosten allein auf die Mieter zu übertragen, ist unfair"
Welchen Vorteil hat das?
Aus Klimaschutzsicht ist das so bedeutsam, weil Holzbau eine der wenigen Möglichkeiten ist, bei denen wir CO2 speichern können. Während des Wachstums im Wald wird CO2aufgenommen, also stofflich gebunden. Wird Holz verheizt, wird das CO2 sofort wieder freigesetzt. In einer Baukonstruktion wird es 50, 80, vielleicht 100 Jahre lang gebunden. Wenn es dann noch einmal verwendet wird - man nennt das Kaskadennutzung -, ist es noch besser.
Für so eine Wiederverwendung von Baustoffen gibt es inzwischen Materialbörsen. Auch in München?
Das wäre sehr sinnvoll, steckt aber erst in der Planung. Baustoffe - das sind ja gewaltige Massen und Tonnagen. Wenn man das organisiert bekommt, schafft man die Möglichkeit für eine Kreislaufwirtschaft.
Was kann die Stadtregierung tun, um beim Bauen klimafreundlich nachzusteuern?
Die Stadt hat einen eigenen großen Gebäudebestand. Den könnte sie auf ein hohes Niveau energetisch sanieren. Das passiert noch nicht konsequent - wenngleich die Botschaft angekommen ist. Hier sollte man aber klarstellen: Hohe Dämmqualitäten, hochwertige Fenster und Lüftung mit Wärmerückgewinnung müssen Standard sein. Gerade im Bereich Schulen - das ist ja auch bei Corona deutlich geworden - sind wir bei Lüftungskonzepten nicht gut aufgestellt. Da müssen sich die Einstellungen und Vorgaben grundlegend ändern.
Was kann die Stadtregierung noch tun?
Die Förderung durch die Stadt läuft aus meiner Sicht zwar schon sehr gut. Da sollte sie aber den Verzicht auf fossile Energien vorschreiben und mit speziellen Förderprogrammen verstärkt Anreize für Sanierungen schaffen.
"Auf einen Deal mit der Stadt würden Bauträger durchaus eingehen"
Beim Begriff "energetische Sanierung" zucken Mieter in München erstmal zusammen - weil klar ist: Am Ende müssen sie das bezahlen. Und die Wohnungen werden noch teurer.
Das ist das typische Nutzer-Investor-Dilemma. Wir haben ein Umlagesystem, in dem ein Eigentümer die Kosten in relativ kurzer Zeit abschreiben und an die Mieter übertragen darf. Der Betrag, den ein Eigentümer umlegen darf, ist aus meiner Sicht unangemessen. Denn mit einer energetischen Sanierung hat ein Eigentümer für sich ja auch einen Mehrwert geschaffen: Er hat den Wert seines Gebäudes gesteigert. Das allein auf die Mieter zu übertragen, ist ungerecht.
Da verweisen Kommunalpolitiker darauf, sie könnten ja nichts dafür - das sei Bundespolitik. Die Münchner Stadtregierung muss sich vor allem an der Zahl neu geschaffener Wohnungen messen lassen, oder?
Klar, da gibt es einen wahnsinnigen Fehlbestand. Aber alles auf Neubauten zu setzen, ist aus meiner Sicht auch nicht zielführend. Das zeigt etwa die Sanierungsrate, die aktuell in München bei etwa einem Prozent aller Bestandsgebäude liegt. Wenn es den Rückstau nicht gäbe und sich nicht alles auf Neubau fokussiert, läge die Sanierungsrate bei zwei Prozent. Baukapazitäten sind nun mal begrenzt. Aus Klimaschutz-Gründen fände ich es richtig, Neubau-Aktivitäten für energetische Sanierungen zurückzustellen. Das gilt vor allem beim Neubau von Bürogebäuden, der unter den aktuellen Rahmenbedingungen wenig Sinn macht. Da werden wir eher noch mehr Leerstände bekommen. Also bitte keine neuen Bürohäuser!
Sind Fassaden- und Dach-Begrünungen eigentlich nur hübsch - oder auch wichtig für den Klimaschutz?
Da geht es weniger um Klimaschutz als um Klimaanpassung - und auch um die psychologische und physiologische Wirkung, gerade beim Sommerklima in ganzen Quartieren. Auch mein Reihenhaus wächst zunehmend zu. Ich sage dazu: Die Architektur verschwindet - was mir als Architekt sogar ganz gut gefällt.
Was tut die Stadt in Neubaugebieten wie etwa Bayernkaserne für den Klimaschutz?
Vorbildlicherweise lässt sie Klimaschutz- und Energiegutachten für neue Quartiersplanungen anfertigen. Das wird dann aber in einem aufwendigen Prozess so moderiert, dass es am Ende doch nur auf den mittleren Standard runter gezoomt wird - obwohl die Gutachter eine hohe Qualität empfohlen haben, etwa Passivhaushülle mit erneuerbarer Energieversorgung - also einen Neubau gleich klimagerecht auszuführen.
Wie ginge das besser?
Mein Vorschlag wäre: Die Stadt erlaubt dichteres Bauen, also mehr Geschossfläche, wenn hohe Klimaschutz-Standards eingehalten werden. Mehr zu dämmen bedeutet ja zugleich, dass man Wohnfläche verliert. Auf diesen Deal würden Bauträger und Wohnbaugesellschaften durchaus eingehen. So etwas ist durch die Stadt München im Baugebiet Domagkpark auch schon erfolgreich umgesetzt worden, leider ohne Fortsetzung in weiteren Quartieren.
Klimaherbst: Podiumsdiskussion mit allen Rathausfraktionen live aus dem Stadtmuseum
Wie lautet das Fazit nach einem Jahr Grün-Rot im Münchner Rathaus? Zum Abschluss des 14. Münchner Klimaherbsts widmet sich eine Podiumsdiskussion der Frage: Was hat sich im vergangenen Jahr in München für den Klimaschutz getan? Wo besteht Aufholbedarf?
Zu der Veranstaltung vom Netzwerk Klimaherbst und von München muss handeln in Kooperation mit der AZ und dem Stadtmuseum treten Fraktionsspitzen und Stadträte an: Florian Roth (Grüne), Anne Hübner (SPD), Tobias Ruff (ÖDP), Sebastian Schall (CSU), Stefan Jagel (Linke), Jörg Hoffmann (FDP) sowie Etienne Denk (Fridays for Future).
Moderiert wird die Diskussion von Christiane Stenzel (Tollwood) und Michael Schilling (Abendzeitung). Die Veranstaltung beginnt am Dienstag, 16. März, um 19 Uhr und wird per Stream übertragen. Wer dabei sein möchte, meldet sich bis Montag, 15. März hier an. Der Link zum Livestream wird Ihnen spätestens am Veranstaltungstag per E-Mail zugeschickt.
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