Interview

Energie-Expertin: "Die Strategie der Stadt stimmt nicht"

Vor der Klima-Diskussion der Fraktionen übt eine Energie-Expertin Kritik an Grün-Rot - und macht Vorschläge, was die Stadt besser machen könnte.
Michael Schilling
Michael Schilling
|
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
16  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
"Ein Drittel des Münchner Strombedarfs könnte mit lokal produziertem Solarstrom auf den Dächern gedeckt werden": Diese Anlage steht allerdings auf einem Dach in Dresden, nicht in München.
dpa 2 "Ein Drittel des Münchner Strombedarfs könnte mit lokal produziertem Solarstrom auf den Dächern gedeckt werden": Diese Anlage steht allerdings auf einem Dach in Dresden, nicht in München.
Die Energie-Expertin ist Vorstandsmitglied der  Bürgerenergiegenossenschaft Beng und sitzt im Vorstand beim Bündnis
Bürgerenergie.
ho 2 Die Energie-Expertin ist Vorstandsmitglied der Bürgerenergiegenossenschaft Beng und sitzt im Vorstand beim Bündnis Bürgerenergie.

München - Seit einem Jahr regiert im Rathaus eine Koalition aus Grünen und SPD. Welche seiner hochgesteckten Klimaziele hat das Bündnis bisher erreicht? Welche hat die Stadtregierung verfehlt - und warum?

Um diese Fragen geht es am kommenden Dienstag bei einer Podiumsdiskussion (siehe unten). Dabei kommt auch Katharina Habersbrunner als Energie- und Klimaschutz-Expertin zu Wort. Die AZ hat sie vorab gesprochen.

AZ: Frau Habersbrunner, welche Schulnote hat sich die grün-rote Stadtregierung nach ihrem ersten Jahr im Amt verdient, wenn es um Energiepolitik und Klimaziele geht?
KATHARINA HABERSBRUNNER: Eine Vier - wobei Corona die Regierungsarbeit auf jeden Fall stark erschwert.

Die Energie-Expertin ist Vorstandsmitglied der  Bürgerenergiegenossenschaft Beng und sitzt im Vorstand beim Bündnis
Bürgerenergie.
Die Energie-Expertin ist Vorstandsmitglied der Bürgerenergiegenossenschaft Beng und sitzt im Vorstand beim Bündnis Bürgerenergie. © ho

Das ist nicht mal befriedigend. Warum nicht?
Ich sehe, dass die Koalition einige erste Schritte gemacht hat, also Beschlüsse im Koalitionsvertrag getroffen hat, um die Klimaziele zu erreichen: die Klimaneutralität bis 2035, ein starker Photovoltaik-Ausbau, die Einrichtung einer Koordinierungsstelle Solarenergie im Bauzentrum und dass es eine Klimaschutzprüfung für alle Stadtratsbeschlüsse braucht. Und es wurde ein eigenes Referat für Klima- und Umweltschutz gegründet und damit klarere Strukturen und Verantwortlichkeiten geschaffen.

Aber?
Es bleibt bisher meist bei den Beschlüssen. Die Dringlichkeit ist wohl erkannt, aber es wurde fast nichts umgesetzt, es fehlt die Stringenz in den Maßnahmen. Es wurde auch Schlimmeres nicht verhindert: Es gibt weiter Investitionen in fossile Energien. Es wurde klimatechnisch nichts erreicht. Dabei gibt es Studien wie die Wärmestudie, den Energiebedarfsplan, eine Solar-Potenzial-Analyse. Aber es fehlt weiter eine Strategie für einen mutigen und zukunftsfähigen Fahrplan mit zentralen und dezentralen Konzepten für eine erneuerbare Energieversorgung.

Lesen Sie auch

"Mit einer Photovoltaikpflicht tut sich die Koalition schwer"

Wo, bitte, investiert die Stadt in fossile Energieträger?
Die Stadtwerke sind zu 31 Prozent an der Gesellschaft Spirit Energy beteiligt, die Erdöl- und Gasvorkommen in der Nordsee erkundet und auch fördert. Das ist mit den Klimazielen völlig unvereinbar. Das ist ökologisch aufgrund der Emissionen eine Katastrophe, aber auch ökonomisch für die Bürger in München - weil Investitionen in fossile Energien längst auch wirtschaftliche Risiken sind: Große Rückversicherungen, Pensionsfonds, andere Versicherungen steigen ja aus den Fossilen aus.

Was könnte Grün-Rot tun?
Da gäbe es schöne kommunale Instrumente - etwa die Solar- bzw. Photovoltaikpflicht und höchst energieeffiziente und nachhaltige Gebäudestandards für alle Neubauten. Damit tut sich die Koalition trotz der hohen Dringlichkeit leider sehr schwer.

"München könnte Solar-Champion sein"

Wie effektiv wäre Photovoltaik in der Stadt?
Laut der verbesserten Solarpotenzialkarte und der begleitenden Studie gibt es ein großes Potenzial von bis zu 2.300 Megawatt in der Spitze - und darin sind nur die geeigneten Dachflächen in München berücksichtigt, also ohne Verschattung und Denkmalschutz und anderweitige Nutzungen. Damit kann sofort angefangen werden, auch und gerade bei kommunalen Gebäuden. Das tut nicht weh und könnte München als Solar-Champion leuchten lassen, positiv für uns und für das Klima. Da kreide ich der grün-roten Koalition an, zu langsam zu agieren.

2.300 Megawatt - welche Menge darf man sich darunter vorstellen?
Vereinfacht gerechnet: Ein PV-Potenzial von 2.300 Megawatt bedeutet durchschnittlich einen jährlichen Stromertrag von rund 2.300 Milliarden Kilowattstunden. München verbraucht insgesamt aktuell etwa 7.200 Gigawattstunden pro Jahr. Es könnte also rund ein Drittel des Münchner Strombedarfs mit lokal produziertem Solarstrom auf den Dächern gedeckt werden. Die Fassaden haben übrigens laut aktuellen Studien ein ähnliches Potenzial. Darin stecken so viele Möglichkeiten, die leider derzeit noch von der Stadtregierung marginalisiert werden. Dezentrale Maßnahmen auszuschöpfen - mit Photovoltaik, Solarthermie, Wärmepumpen, Quartierskonzepten mit Mieterstrom -, das ist jetzt wichtig. Jetzt! Denn in zehn, 15 Jahren bauen wir nicht mehr, weil es keine Flächen dafür mehr gibt. Wir bauen jetzt Freiham, wir bauen jetzt Neu-Pasing. Bei allem, was nun neu geplant und gebaut wird, können diese Technologien und Standards sofort umgesetzt werden.

"Geothermie gehört noch forciert"

Wie hoch ist der Anteil von Fernwärme in der Stadt?
Etwa 34 Prozent. Die geplante Umstellung der Fernwärmeversorgung auf erneuerbare Energieträger ist von zentraler Bedeutung. Hier ist lobenswert, dass die Stadt mit Geothermie auf erneuerbare Energie umstellt - auch wenn es noch forciert gehört. Die Geschwindigkeit bei Geothermie muss erhöht werden - auch in Zusammenarbeit mit den Nachbargemeinden, damit die Bohrungen auch im Umland vorankommen.

Lesen Sie auch

Wie denken Klimaschützer über die Pläne fürs Gaskraftwerk in Unterföhring?
Die Formel der Stadt lautet "Kohle ersetzen durch Gas", was mittelfristig mit grünem Gas funktionieren kann, aber keinesfalls bis 2035, da bis dahin fossiles Gas genutzt wird. Aber es ist strittig, ob so ein Gaskraftwerk für die Spitzenwärmeversorgung in München wirklich benötigt wird. Das lässt sich beispielsweise durch die Erweiterung der Kessel der bestehenden Wärmekraftwerke kompensieren. Das wäre viel ökologischer und ökonomischer. Die Strategie der Stadt stimmt nicht. Ergänzend sind hier dezentrale Lösungen sinnvoll - etwa durch große Solarthermiespeicher wie am Ackermannbogen, also Speicher in den jeweiligen Quartieren.

Wie bewerten Sie die Rolle der Grünen in der Koalition? Die gelten doch per se als Klimaschützer.
Die Grünen haben auf jeden Fall durch die Beschlüsse höhere ökologische Ziele gesetzt. Und wir haben eine Koalition im Rathaus und ich weiß nicht, wer wo bremst. Mir fehlt einfach der starke politische Wille für eine ambitionierte Energiewende. Es ist ja gut, dass wir Stadtwerke haben und die wirtschaftlich so erfolgreich sind. Aber wir haben mit dem Klimaschutz ein übergeordnetes Ziel. Sich dann den Stadtwerken anscheinend so unterzuordnen und hohe Emissionen in Kauf zu nehmen nach dem Motto "Es ist alternativlos", das gefällt mir an den Grünen nicht. Wir müssen erkennen, dass wir nur dieses Zeitfenster von jetzt bis 2035 haben, in dem wir handeln können, um das 1,5-Grad-Ziel zu stemmen.


Live aus dem Stadtmuseum: Die Podiumsdiskussion mit allen Rathaus-Fraktionen

Wie lautet das Fazit nach einem Jahr Grün-Rot im Münchner Rathaus? Zum Abschluss des 14. Münchner Klimaherbsts widmet sich eine Podiumsdiskussion der Frage: Was hat sich im vergangenen Jahr in München für den Klimaschutz getan? Wo besteht Aufholbedarf? 

Zu der Veranstaltung vom Netzwerk Klimaherbst und von München muss handeln in Kooperation mit der AZ und dem Stadtmuseum treten Fraktionsspitzen und Stadträte an: Florian Roth (Grüne), Anne Hübner (SPD), Tobias Ruff (ÖDP), Sebastian Schall (CSU), Stefan Jagel (Linke), Jörg Hoffmann (FDP) sowie Etienne Denk (Fridays for Future). Moderiert wird die Diskussion von Christiane Stenzel (Tollwood) und Michael Schilling (Abendzeitung).

Die Veranstaltung beginnt am Dienstag, 16. März, um 19 Uhr und wird per Stream übertragen. Wer dabei sein möchte, meldet sich bis Montag, 15. März, an unter: klimaherbst.de 

Der Link zum Livestream wird Ihnen spätestens am Veranstaltungstag per E-Mail zugeschickt.

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
16 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
  • Kampf den Grünen am 14.03.2021 17:14 Uhr / Bewertung:

    Bin ich nicht der einzige der diese irrealistischen Ziele der Grünen grinsend zur Kenntnis nimmt. Wenn man sich Ziele in kleine erreichbar Abschnitte einteilt und diese Teilziele erreichbar und bewertbar sind, hat man eine Chance auf Zielerreichung. Setzt aber auch voraus, dass man nicht nur Ideologen hat die das Blaue vom Himmel runterlügen sondern auch Macher in den eigenen Reihen, die diese Hirngespinste erreichen können. Solange die Grünen sich in einer fiktiven Welt bewegen zeigen sie keine Regierungsreife. Zwar können sie gewählt werden, werden dann aber jämmerlich in der Verantwortung versagen. So geschieht es gerade für alle sichtbar in München.

  • am 15.03.2021 21:26 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Kampf den Grünen

    Die Grünen regieren in München schon seit Jahrzehnten mit. Ein paar ökologischen 'Symbole' im Sinne von Symbolpolitik hat es immer dafür gegeben. Praktisch ist die Partei in München das Auffang-Becken für die versprengten SPD-Klein-Funktionäre geworden, die um ihre Pöstchen im Bereich der Städt. Subventions-Wirtschaft (Städt. finanzierte Betriebe / Soziales, Kultur, Bildung, Infrastruktur usw.) fürchten, wenn die SPD weiter abbaut. Öko ist da nur ein Anstrich, der die Korrosion, den Rost, der kommunalen Spez'l mit ihren Immobilien-Hai-Freunden überdeckt. Beginnt man zu bohren zeigt sich schnell dass alles nur eine hohle Fassade ist. Die Ausreden der Grünen klingen anders als die der Münchner SPD. Praktisch bedeutet Grün in München einfach nur 'Weiter So'. Alter Wein in Neuen Schläuchen.

  • am 14.03.2021 16:14 Uhr / Bewertung:

    Wann begreifen diese Öko-Apostel endlich dass ihre Konzepte auch finanziert werden müssen. Photovoltaik-Pflicht ist sehr schön, wenn sie es selbst bezahlen. Ich zahl mit meiner Stromrechnung die 'Gewinne' die die Betreiber der Klein-Anlagen damit machen. Das ist die EEG-Umlage. Dann gehen die Kraftwerks-Betreiber wegen der Überschüssigen Energie bei Sonnenschein in die Defensive und schalten Kraftwerke ab. Gaskraftwerke müssen dann zur Netz-Stabilisierung her, die Zahl ich wieder mit der Stromrechnung oder über Steuern weil der Staat zuschießen muss. Und die Photovoltaik ist doch so toll für die Betreiber der Klein-Anlagen. Für die lohnt sich das tatsächlich. "Seltsame" Heilige diese Öko-Apostel. - Machen Sie doch bitte mal Vorschläge die sich tatsächlich rechnen, ich meine damit ohne den Anderen auf der Tasche zu liegen. Oder Stiften Sie ihr privates Häuschen für die gute Sache. (incl. Photo-Voltaik-Anlage und Windrad)

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.