Strenggläubige Muslima: Erst vor Gericht zeigt sie ihr Gesicht

Ordnungshaft angedroht: Im Berufungsprozess wegen Beleidigung lüftet eine strenggläubige Muslima ihren Gesichtsschleier  
John Schneider |
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Amira B. auf dem Weg in den Gerichtssaal. Erst dort lüftet sie ihren Schleier.
dpa Amira B. auf dem Weg in den Gerichtssaal. Erst dort lüftet sie ihren Schleier.

Ordnungshaft angedroht: Im Berufungsprozess wegen Beleidigung lüftet eine strenggläubige Muslima ihren Gesichtsschleier

München - Sie könne ihren Strafantrag ja zurücknehmen und so der Entschleierung entgehen, schlägt Richterin Claudia Bauer vor. Ansonsten müsse sie Ordnungsmaßnahmen gegen die Zeugin Amira B. (43) verhängen, wenn sich diese weiterhin weigere, ihren Gesichtsschleier, einen so genannten Niqab, vor dem Landgericht abzulegen.

Lesen Sie hier: Münchner Gericht will Muslima entschleiern

Die Vorgeschichte: Die Muslima hatte einen Architekten (59) angezeigt, weil er sie im Mai 2015 am Hauptbahnhof beleidigt haben soll. Beim ersten Prozess am Amtsgericht hatte sich die Frau aber geweigert, ihren Schleier zu lüften. Der Richter bestand angesichts des eher kleinen Delikts nicht weiter darauf, ihr Gesicht zu sehen, Und sprach den Angeklagten frei. Der Fall machte in der ganzen Republik Schlagzeilen. Darf die das? Eine voll verschleierte Frau im Zeugenstand stieß vielen Juristen auf. Schließlich sei auch die Mimik wichtig, um die Glaubwürdigkeit eines Zeugen zu beurteilen, so das Argument. Da traf es sich gut, dass die Staatsanwaltschaft Berufung gegen das Urteil einlegte.

Der Medienandrang am Donnerstag ist riesig. Für die Zeugin, die sich einen Weg durch die Journalisten bahnen muss, wird der Gang zum Gerichtssaal zu einem Spießrutenlauf. Weinend nimmt sie endlich vor der Richterbank Platz.

Doch sie erholt sich schnell und gibt sich kämpferisch. Der Richterin will sie ihr Gesicht zeigen, dem Angeklagten und seinem Anwalt Tom Heindl nicht. Richterin Bauer versucht sie umzustimmen. Sie verweist sie auf das Gutachten eines saudischen Islam-Gelehrten. Darin steht, dass es auch streng gläubigen Muslima erlaubt sei, vor Gericht ihren Schleier zu lüften.

Als das nichts nützt, wird die Richterin deutlicher. Der Zeugin drohen Ordnungsmaßnahmen, auch eine Ordnungshaft sei denkbar. Oder aber Amira B. zieht ihren Strafantrag zurück. Doch davon will die 43-Jährige nichts wissen. „Er hat mich angegriffen“, sagt sie.

Lesen Sie hier: AZ-Kommentar:Die Grenze der Freiheit

Als der Angeklagte sich dann bereit erklärt, sich für die Dauer der Aussage von ihr abzuwenden, lüftet Amira B. endlich ihren Schleier.

Der Fall selbst ist da längst Nebensache. Amira B. erklärt, dass der Angeklagte sie im S-Bahn-Geschoss des Münchner Hauptbahnhofs wüst beschimpft habe. Das Wort „Arschlöcher“ sei ebenso gefallen wie das Götz-Zitat. So etwas passiere ihr nicht zum ersten Mal, erklärt die Zeugin.

Der Architekt bestreitet die Beleidigungen. Amira B. habe vielmehr zu einer Frau auf deren Bemerkung über ihren Gesichtsschleier gesagt: „Immer diese intoleranten Deutschen!“ Er habe nur gesagt, warum sie Deutschland nicht verlasse, wenn es ihr hier nicht gefalle.

Auch der einzige Augenzeuge erklärt, dass er keine Beschimpfungen vernommen hat. Das gibt den Ausschlag. Es steht Aussage gegen Aussage. Also Freispruch. Gemäß dem Grundsatz: „Im Zweifel für den Angeklagten“.

Wichtiger noch, ein neuer Grundsatz ist am Donnerstag dazu gekommen: „Im Zeugenstand nur ohne Schleier“.

 

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