"Anders geht es nicht mehr": Münchens Mitarbeiter im Einzelhandel streiken – und erklären Gründe

12.000 Menschen demonstrieren in München, darunter auch die Beschäftigten aus dem Einzelhandel. Warum sie streiken, was sie fordern – und warum ihre Streiks andauern.
Laura Meschede |
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Am Odeonsplatz versammeln sich Mitarbeiter des Einzelhandels und aus dem öffentlichen Dienst, um zu protestieren.
dpa/Uwe Lein 2 Am Odeonsplatz versammeln sich Mitarbeiter des Einzelhandels und aus dem öffentlichen Dienst, um zu protestieren.
"Das íst harte Arbeit": Athanasios Papoulis.
lm 2 "Das íst harte Arbeit": Athanasios Papoulis.

München - Das Ende des Demonstrationszuges zu erkennen, das ist auch aus dem hinteren Drittel der Demo noch vollkommen unmöglich. Es sind einfach zu viele Menschen, die sich anlässlich des Großstreiks in der Innenstadt versammelt haben.

Pflegerinnen, Feuerwehrleute, Theaterbeschäftigte. Universitätsdozentinnen, Studenten, Restauratoren. Ein Meer aus gelben Verdi-Westen und roten Verdi-Fahnen.

Riesen-Streik am Dienstag in München: 12.000 Angestellte fordern höhere Löhne

Die Mitarbeiter des Freistaats sind im Streik. Um 10.30 Uhr haben sie sich am Odeonsplatz versammelt, sind einmal durch die Innenstadt gezogen und steuern dann auf die Abschlusskundgebung zu. 12.000 Menschen, aus Universitätskliniken, Hochschulen und Jugendeinrichtungen; Landes- und Kommunalbeamte – und Beschäftigte aus dem Handel.

Letztere sind natürlich nicht beim Freistaat angestellt. Aber die Gewerkschaft Verdi hat sie kurzfristig ebenfalls zum Streik aufgerufen. Einmal mehr – für viele Beschäftigte des Groß- und Einzelhandels ist es bereits der 30., der 40. oder sogar der 50. Streiktag.

Der 41-jährige Shkelqim Selemi beispielsweise ist seit Mai bereits 31 Mal in den Streik getreten. Heute ist sein 32. Streiktag. Selemi arbeitet bei Edeka in Moosach und sagt: "Mir ist klar, dass Streiks nervig sind. Aber heutzutage geht es anders nicht mehr."

Beschäftigte im Handel fordern 2,50 Euro mehr Lohn die Stunde

Im April ist der Tarifvertrag im Handel ausgelaufen. Seither versuchen die Beschäftigten, ihre Forderung von 2,50 Euro mehr die Stunde im Einzelhandel und 13 Prozent im Großhandel durchzusetzen.

Das Angebot der Arbeitgeberseite bewegt sich aktuell zwischen 4,5 und 5,3 Prozent für 2023, gefolgt von einer Erhöhung um 2,9 bis 3,2 Prozent im folgenden Jahr. Zu wenig, findet Selemi. "Die Arbeitgeber schneiden sich ins eigene Fleisch, wenn sie unseren Forderungen nicht nachgeben", sagt er. "Wir werden nämlich immer mehr. Heute ist zum Beispiel ein Kollege zum ersten Mal dabei, der bis vor Kurzem nicht einmal wusste, was eine Gewerkschaft ist."

"Wir werden immer mehr": Angestellte im Handel demonstrieren für mehr Lohn

Der 52-jährige Zoran, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will, hat ähnliches beobachtet. Er arbeitet bei Metro in München und hat am Dienstag gemeinsam mit fast 30 Kollegen die Arbeit niedergelegt. "Das sind zwei Drittel des Betriebs", sagt er. "Wir werden immer mehr."

Die Arbeitsbedingungen bei Metro seien schon lange nicht mehr tragbar, sagt Zoran. "Die Warenverräumer verdienen bei uns gerade einmal 2.500 Euro brutto", sagt er. "Und mehr als 3.000 Euro brutto bekommt überhaupt niemand."

Davon ein Leben in München zu bezahlen, sei für viele Kollegen nicht möglich. "Viele von uns machen nebenher noch einen Nebenjob, sie putzen oder sind bei Aldi an der Kasse – und das neben der Vollzeitstelle", sagt er. "Das kann so nicht weitergehen."

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Verdi-Streikleiter: "Das könnten sich die Unternehmen locker leisten"

Dominik Datz, Streikleiter von Verdi für den Bereich des Einzelhandels, geht davon aus, dass es nicht der letzte Streiktag gewesen sein wird. "Wir haben eine Streikplanung bis zum 23. Dezember", sagt Datz. "Man muss sich vor Augen halten: Die reichsten Deutschen sind Händler, Rewe hat gerade erst das beste Ergebnis seiner Unternehmensgeschichte erzielt – unsere Forderungen zu erfüllen, könnten sich diese Unternehmen locker leisten. Aber sie wollen nicht."

Stattdessen würden sie ein "mieses Propagandaspiel" betreiben und auf Konzerne wie Galeria und deren schlechte finanzielle Lage verweisen. "Dabei sind die überhaupt nicht tarifgebunden – bei dem Streik geht es gar nicht um sie. Es geht um die Großen, die Krisengewinner."

Das sagt ein Angestellter bei Penny: Athanasios Papoulis (59)

"Das íst harte Arbeit": Athanasios Papoulis.
"Das íst harte Arbeit": Athanasios Papoulis. © lm

"Alles wird teurer, ich sehe das ja bei mir im Laden. Was letztes Jahr 1,95 Euro gekostet hat, kostet jetzt 2,49 Euro. In den vergangenen zwei Jahren sind Lebensmittel um mehr als 25 Prozent teurer geworden. Und im Mai habe ich dazu noch einen Brief von meinem Vermieter bekommen, dass ich ihm 100 Euro mehr im Monat zahlen soll. Nur: Wovon? Ich verdiene jetzt 1.700 Euro netto. In Vollzeit! Und inzwischen zahle ich fast 1.000 Euro Miete, man kann sich ja ausrechnen, was da übrig bleibt. Dabei leisten wir harte Arbeit. Wir sitzen an der Kasse, räumen die Regale ein, beruhigen unangenehme Kunden. Und Penny macht immer mehr Gewinn – seit der Corona-Krise sind die noch mal weiter gestiegen. Allein gestern habe ich 9.800 Euro verkassiert. Im Mai haben sie uns eine Erhöhung von 5,5 Prozent gegeben, davor habe ich nur 14 Euro pro Stunde verdient. Aber die 1.700 Euro netto im Monat, die ich jetzt bekomme, gleichen die gestiegenen Preise nicht aus. Wir fordern 2,50 Euro mehr pro Stunde und das ist nur gerecht. Wir sagen: Alles wird teurer – wir auch!"

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  • Unbesorgter Bürger am 06.12.2023 13:47 Uhr / Bewertung:

    Sie sollen alle Streiken bis die Schwarte Kracht. Habn meine volle Sympathie, denn sind halt Machen Läden, auch vor Weihnachten, geschlossen. Leider haben wir in Deutschland nicht die sle e Streikkultur wie in Frankreich, dann könnte man mit einem Generalstreik auch mal Druck auf Entscheidungsträger aus Berlin ausüben.

  • Gelegenheitsleserin am 06.12.2023 12:31 Uhr / Bewertung:

    Laut AZ sind Landes- und Kommunalbeamte im Streik.
    Weiß die AZ nicht, dass Beamte kein Streikrecht haben?
    Oder "denkt" die AZ vielleicht, dass alle, die in einem Amt beschäftigt sind, Beamte sind?

  • SL am 07.12.2023 17:12 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Gelegenheitsleserin

    Klar Beamte lassen die Vasallen von verdi streiken und übertragen dann die Ergebnisse auf sich und die Pensionäre. Und sehr eigenartig, dass gerade der dbb ständig zum Streik aufruft und Herr Silberbach droht notfalls das Land still zu legen

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