Kirschgelände im Nordwesten Münchens: Betonwüste wird grünes Dorf
Allach-Untermenzing - Der Tag, an dem Wolfgang Bogner zum ersten Mal hier oben auf dem Flachdach im achten Stock gestanden ist, war nasskalt und herbstverhangen. Die zwölf Lagerhallen da unten lagen grau im Nieselregen. Von den Alpen im Süden nichts zu sehen. Immerhin im Osten ragte der Olympiaturm durch die Wolken, halbverdeckt vom o2-Tower, der sich aus dieser seltenen Perspektive aus dem Münchner Nordwesten optisch vor den Turm schiebt. 2015 war das.
Zwölf Hektar Grund zwischen Allach und Untermenzing
Sollte er kaufen? Viel Zeit zum Nachdenken hatte Bogner nicht. Der Eigentümer des Kirschgeländes wollte noch vor Weihnachten verkaufen. Zwölf Hektar Logistik- und Lagerfläche mit wenig ansehnlichen Hallen aus den 1960er Jahren an der Grenze zwischen den Vierteln Allach und Untermenzing, direkt neben der Bahnstrecke nach Dachau.
Dazwischen nichts als Betonwüste, Schwerlastverkehr und geparkte Lastwagen.

"Mein Gefühl war", sagt Wolfgang Bogner, "dass die Hallen ein Fremdkörper sind zwischen den ganzen Einfamilienhäusern von Allach und Untermenzing". Dass man das besser machen könne.
Ein Bild mit Holz-Wohnhäusern für Familien sei damals in seinem Kopf entstanden, mit einem Park, Schulen, Kitas, Gärten auf Dachterrassen, Photovoltaik, kurzen Wegen für alle. Alles klimaneutral – und mit möglichst wenig Autos.
Bald kann die Bebauung starten
Acht Jahre ist das jetzt her, Bogner, der damals gerade mit Partnern die Eckpfeiler Immobiliengruppe mit Sitz in Pullach gegründet hatte, wagte den Ankauf des Areals (anfangs zusammen mit der Büschl Unternehmensgruppe, inzwischen macht Eckpfeiler das allein). Viele Gespräche mit der Stadt, Lokalpolitikern und Anwohnern hat es seither gegeben, eine Umwidmung vom Gewerbe- zu einem Wohngebiet, einen städtebaulichen und landschaftsplanerischen Wettbewerb – und heute nun hat der Stadtrat den Bebauungsplan gebilligt.
"Jetzt ist endlich der Weg frei, dass wir den Bau planen können", sagt Bogner und schaut fröhlich aus dabei, weil es ihn seit 30 Jahren antreibt, großen Arealen neues Leben einzuhauchen – am liebsten, wenn es Industriebrachen sind.

Anfangs entwickelte er Projekte für die Immobilienunternehmen Dibag und Doblinger, später für Knorr Bremse, nun, mit Eckpfeiler, für sich selbst. Genaugenommen ist auch das Kirschgelände eine Industriebrache. Bis 1954 war hier nahe dem Allacher Bahnhof das Dampfsäge- und Hobelwerk "Theodor Kirsch und Söhne" gestanden (seit 1892). "Schade", sagt Bogner, "dass von den historischen Industriegebäuden nichts mehr da ist, das hätte Spaß gemacht, die zu erhalten im neuen Konzept."
Mehr als 1.000 nachhaltige Wohnungen sollen entstehen
Wie also soll es werden, sein aktuelles Lieblingsprojekt? "Grün, liebenswert, fast klimaneutral", malt er aus und zeigt die Pläne der Münchner Wettbewerbsgewinner Hilmer Sattler Architekten mit den Landschaftsarchitekten Keller Damm.

Zunächst werde die Betonwüste mit allen Hallen, von denen keine erhaltenswert sei, weggerissen. "Viel von dem Beton recyceln wir und verwenden ihn wieder", sagt er, für Fundamente, Schallschutzwände oder den Straßenbau. "Was übrig bleibt, bis hin zu den Steckdosen, geht zur Weiterverwertung in die Materialbörse."
Danach entstehen in drei Bauabschnitten 1.300 Wohnungen für rund 3.000 Bewohner (40 Prozent gefördert oder preisgedämpft). Und zwar in nachhaltiger Holzhybridbauweise. Das Fichtenholz dafür werde aus bayerischen Wäldern kommen.
Auch zum Lärmschutz: Gebäude werden unterschiedlich hoch sein
Auf begrünten Dachterrassen werden die Bewohner gemeinsam garteln können. Geplant sind auch Photovoltaikanlagen zur Stromerzeugung und Grundwasserwärmepumpen, die die Wohnungen das ganze Jahr über mit nachhaltiger Wärme versorgen.
Gebaut wird gestaffelt: Im Südwesten sind die Häuser dreistöckig, in der Mitte sieben bis neun Stockwerke hoch. Den Lärm der Bahnlinie auf der Ostseite schirmen sechsgeschossige Blöcke ab. Dazu kommen Tiefgaragen, Läden, Gastronomie, ein Anwohnertreff plus vier Kitas und eine Grundschule, die die Stadt bauen wird.

Und vor allem Mobilitätsstationen mit 30 Stellplätzen für Carsharing-Autos, Platz für Pedelecs und Lasten-E-Bikes und eine neue Bushaltestelle. Ein Radlweg wird an den Wohnungen vorbeiführen und das neue Quartier liegt genau zwischen den zwei S-Bahnstationen Allach und Untermenzing.
Ausreichend Begrünung ist Wolfgang Bogner wichtig
"Nicht nur, dass der ganze Schwerlastverkehr von heute ohne die Hallen weg sein wird", sagt Bogner, "in Zukunft wird kein Bewohner sein Auto hier wirklich dringend brauchen."
Einerseits wird das die dichteste Bebauung im eher dörflichen Allach-Untermenzing, die Einwohnerzahl wird um zehn Prozent wachsen. Andererseits wird die Hälfte des Areals sehr grün sein. Neben Stadtgartenflächen will Bogner nach Westen hin einen Park bauen, der zweieinhalb Fußballfelder groß wird – und 400 Bäume pflanzen. "Ich sehe da vor meinem geistigen Auge schon Kinder spielen und Menschen auf Bänken sitzen", sagt er, "das wird schön."
Dass ihm übrigens Holzbau so wichtig ist, dürfte auch mit seiner eigenen Familiengeschichte zusammenhängen. Er sei im Sägewerk seiner Eltern in der Oberpfalz aufgewachsen, erzählt er, und habe erst Holzbau studiert, bevor er Wirtschaftsingenieur und dann Projektentwickler wurde. "Der frische Duft von Holz ist wunderbar, den kann ich mir heute noch gut vorstellen."
Bis 2030 sollen die letzten Wohnungen bezugsfertig sein
Diesen Dienstag ist Wolfgang Bogner wieder auf dem Flachdach im achten Stock des Bürogebäudes gestanden und hat hinunter geschaut. Die ersten Firmen sind raus aus den Hallen, ab Herbst beginnt der Abriss. Erste Bewohner werden wohl in drei Jahren einziehen, die letzten 2030.
Und wieder war da ein Bild vor seinem inneren Auge: Wie er in zehn Jahren wieder hierher kommen wird, sich auf eine Parkbank setzt und sich umschaut. "Das ist das Allerschönste in meinem Job", sagt er, "wenn keiner weiß, wer man ist, und man schaut, ob das funktioniert, was man sich ausgedacht hat."
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