Fünf Jahre mit der toten Mutter: So tickt die Tochter

Fünf Jahre lebt Kathrin L. mit einer Toten. Als die Hausverwaltung das Amt einschaltet, ist der Spuk innerhalb weniger Tage vorbei
Natalie Kettinger |
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In diesem Haus in der Blumenau wurde die Leiche der Mutter gefunden. Rechts: Die Wohnungstür wurde von der Polizei versiegelt.
Daniel von Loeper In diesem Haus in der Blumenau wurde die Leiche der Mutter gefunden. Rechts: Die Wohnungstür wurde von der Polizei versiegelt.

München - Ein verdunkeltes Fenster im ersten Stock eines Münchner Mehrfamilienhauses. Was sich dahinter abgespielt hat, ist kaum vorstellbar: Seit März 2009 lebte Frührentnerin Kathrin L. (55, alle Namen geändert) dort mit der Leiche ihrer Mutter Inge ( † 77). Jahrelang. Obwohl den Nachbarn der bestialische Geruch auffiel, der aus der Dreizimmerwohnung in den Flur drang. Obwohl immer wieder Menschen nach der alten Dame fragten. Ende Oktober schaltete die Hausverwaltung schließlich die Behörden ein – und plötzlich ging alles ganz schnell: Ein aufmerksamer Bezirkssozialarbeiter folgte seinem „unguten Gefühl“. Der vertuschte Todesfall flog auf.

„Am 31. Oktober meldete sich die Hausverwaltung beim zuständigen Sozialbürgerhaus in der Plinganserstraße. Mitbewohner waren in Sorge, weil sie die alte Frau schon lange Zeit nicht mehr gesehen hatten“, sagt Andreas Danassy vom Münchner Sozialreferat.

Eine Mitarbeiterin rief in der Blumenauer Wohnung der Frauen an und erreichte Kathrin L. Ihre Mutter sei bettlägerig, sagte die 55-Jährige. „Sie schläft viel, aber ich kümmere mich um sie.“ Trotzdem wurde der Fall an einen Sozialarbeiter übergeben, der in der Folgewoche mehrmals versuchte, Kathrin L. ans Telefon zu bekommen. Ohne Erfolg. „Die Frau besitzt noch eine weitere Wohnung. Deshalb hat er versucht, die Nummer des dortigen Anschlusses dort in Erfahrung zu bringen und das auch geschafft“, erzählt Danassy. Nach etlichen Versuchen ging Kathrin L. schließlich am 10. November in ihrer Zweitwohnung an den Apparat.

Der Sozialarbeiter bot ihr Hilfe bei der Versorgung ihrer Mutter an. Die Frührentnerin lehnte ab. „Die Frau hat in dem Gespräch ganz normal gewirkt. Aber die Vehemenz, mit der sie jegliche Unterstützung verweigerte, hat den Kollegen stutzig gemacht“, so der Sprecher des Sozialreferates. „Sie wollte partout nichts mit der Bezirkssozialarbeit zu tun haben. Da hat sich der Kollege gedacht: Lieber schaue ich einmal zu oft nach, als einmal zu wenig.“ Der Mann drängt auf einen persönlichen Termin mit beiden Frauen in der Wohnung der Mutter, der am 13. November stattfinden soll. Irgendetwas sagt ihm, dass hier etwas nicht stimmt.

Als er zur vereinbarten Uhrzeit an der Wohnungstür klingelt, öffnet ihm niemand. Der Sozialarbeiter alarmiert die Polizei. Wenig später finden die Beamten die mumifizierte Leiche von Inge L. im Ehebett. Es ist offensichtlich, dass auch die Tochter dort zu schlafen pflegte. Die Tochter, die plötzlich mitten im Raum steht.

Sie sei dazu gekommen, als die Kollegen bereits in der Wohnung waren, sagt ein Polizei-Sprecher. „Sie ist ganz ruhig geblieben, schien nicht geschockt zu sein und hat Angaben zum Sterbedatum der Mutter gemacht.“

Die 55-Jährige soll schwer depressiv sein und ist in diesem Zusammenhang auch aktenkundig. Nach zwei gescheiterten Ehen und dem Tod des dominanten Vaters zog sie vor etwa zehn Jahren wieder zur Mutter, die zu diesem Zeitpunkt bereits ein Pflegefall war. Nach dem Leichenfund wurde Kathrin L. in eine Psychiatrie eingeliefert.

Bislang deutet alles darauf hin, dass ihre Mutter eines natürlichen Todes gestorben ist. „Wir gehen bisher weder von Selbst- noch von Fremdverschulden aus. Der Leichnam wird aber weiter untersucht“, sagt der Polizeisprecher. Sozialleistungen hat Inge L. zu Lebzeiten nicht erhalten – zumindest nicht nach unseren Erkenntnissen“, heißt es aus dem zuständigen Referat. Ob die Rente der alten Dame über ihren Tod hinaus weitergezahlt und möglicherweise von der Tochter kassiert wurde, ist Gegenstand der laufenden Ermittlungen.

Würde sich dieser Verdacht bestätigen, müsste sich die frühere Post-Mitarbeiterin wegen Betruges vor Gericht verantworten. Mit einem Verfahren wegen Missachtung der Bestattungspflicht muss sie in jedem Fall rechnen.

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